Wissenschaft und Praxis – ein Kommentar zum Bericht von Enno Schmidt über den Kongress des Basic Income Earth Network

Enno Schmidt hat einen Bericht über den Kongress des Basic Income Earth Network in Montréal verfasst und seine Eindrücke dargelegt. Sie geben einen guten Einblick in die sehr unterschiedlichen Interessen am und Blicke auf das Bedingungslose Grundeinkommen, wie sie die Teilnehmer des Kongresses erkennen ließen. Teils, so scheint es, bleibt die Argumentation für ein BGE in der Bekämpfung von Armut stecken. So wichtig es ist, dagegen etwas zu tun, vom BGE bleibt sie nur eine Seite und kann leicht die vielen anderen Seiten verdecken.

Eine Einschätzung Enno Schmidts teile ich nicht, zumindest nicht so, wie sie im Bericht zu lesen ist. Er schreibt:

„Die Wissenschaftlichkeit lockt mit dem Erwiesenen anstatt dem Eigenen. Damit zieht sie Kräfte anderer an sich und stellt sie vor die rote Ampel. Denn da geht es nicht zum Grundeinkommen. Da geht es zu einem Auftreten in etablierten Formen. Man möchte sich keine Blöße geben. Man hofft, damit zu überzeugen. Aber wer soll daraus was machen?“

Diese Einschätzung ist eine Kritik an „Wissenschaftlichkeit“, damit auch an Wissenschaft. Woran aber genau? Das „Auftreten in etablierten Formen“ verweist auf Konventionen und Gebräuche, die es in der Wissenschaft gibt. Sie sind außerhalb des Wissenschaftmilieus oft unverständlich, teils sind sie durchaus festgefahren und steif. Man kann sich hinter ihnen in der Tat verstecken und mit Jargon beeindrucken oder verunklären. Teils allerdings sind die Konventionen schlicht deswegen für Außenstehende befremdlich, weil Wissenschaft keine Antworten auf die Frage danach geben kann, was sein und wie gelebt werden soll. Das erwartet die Praxis aber gemeinhin und überschätzt so, was Wissenschaft in praktischen Fragen zu leisten in der Lage ist. Sie bietet keine Sicherheiten und keine Gewissheiten für die Zukunft, nur Erkenntnisse über die Vergangenheit, und das noch unter dem Vorbehalt der Falsifikation. Methoden, die dazu eingesetzt werden, sind so unterschiedlich wie die Traditionen der wissenschaftlichen Disziplinen. Das macht es nicht einfacher, den Stellenwert von Befunden zu bewerten für diejenigen, die mit den Verfahren und den Tücken von Verfahren nicht vertraut sind. Deswegen kann in jeder Talk-Runde jeder seine Studie hochhalten, die dies oder jenes beweise. Solange man die Studie nicht gelesen und ihr methodisches Vorgehen verstanden hat, ist die Bewertung der Ergebnisse nicht möglich. Belegen, Nachweisen, Streit in der Logik des besseren Arguments – das „Erwiesene“ – das ist das Zentrum von Wissenschaft, daran muss sie sich messen und messen lassen. Beweisführungen müssen der Logik des besseren Arguments folgen, Autoritäten gibt es nicht, sie gelten nichts. Was Enno Schmidt beklagt, ist ihr Lebensnerv.

In anderer Hinsicht aber tifft er einen wunden Punkt, das Kind sollte jedoch nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Wenn Wissenschaft dazu benutzt wird, praktische Interessen zu bemänteln und hinter Verfahren und Methoden zu verstecken, ist diese Kritik berechtigt.  Der Wissenschaftler, der meint, aufgrund seiner Forschung sagen zu können, was praktisch richtig wäre, was zu wollen wäre, betreibt verkappte Politik. Das ist zu trennen, wie es schon Max Weber in seinem Verständnis vom Gebot der Werturteilsfreiheit dargelegt hat. Will er sich als Bürger für etwas einsetzen, das er für richtig hält, dann soll er es tun. Will er dazu forschen, dann soll er auch dies tun. Aber beides sollte er nicht in einen Topf werfen, denn dann ist beides dahin. Enno Schmidts Kritik ist berechtigt, wenn sie das meint, sie ist auch berechtigt, wenn sie sich an diejenigen richtet, die hoffen, Wissenschaft könne sagen, was sie zu tun hätten. Diese Hoffnung schwingt in der BGE-Diskussion mit, wenn es um Berechnungsmodelle geht, die erweisen sollen, das es schon klappen wird mit dem BGE.

Von wissenschaftlichen Kongressen, von Wissenschaft im Allgemeinen, ist lediglich Aufklärung darüber zu erwarten, wie empirische Phänomene zu erklären sind, nicht aber, was daraus zu machen wäre. Insofern ist es angemessen, Wissenschaft in ihre Schranken zu weisen, nicht aber sie deswegen zu verdammen, weil sie etwas, das sie nicht kann, auch nicht tut.

Sascha Liebermann