„Wir trauen Menschen nicht zu, …

…mit einem pauschalierten Regelsatz verantwortungsvoll umzugehen. Wir setzen es aber selbstverständlich und zu Recht voraus, sobald sie eine Arbeit haben. Eigenverantwortung stärken lautet der gesetzliche Auftrag, nicht portionierte Fürsorge.“, so Heinrich Alt, der nun in Rente gehende Vorstand der sogenannten Bundesagentur für Arbeit in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. Juni 2015. Er plädiert dafür, die vielen Einzelfall- und Einzelantragsentscheidungen („Duschgeld“!), die mittlerweile in die Hartz IV-Vergabe Einzug gehalten haben, zurückzufahren und den Empfängern zuzutrauen, verantwortlich mit dem Sozialtransfer umzugehen. Aber so ganz konsequent ist er dabei nicht, will er doch weiter vorschreiben: „Die Menschen sollen sich darauf konzentrieren, wie sie in eine existenzsichernde Arbeit kommen“. Wenn er die Verantwortungsübernahme durch die Bürger ernstnehmen würde, könnte er weder von „Kunden“ sprechen, noch etwa die Formulierung wählen, dass „der Arbeitsmarkt derzeit sehr aufnahmefähig ist.“ Denn weder können die Bürger, die auf Zahlungen angewiesen sind, wie Kunden auf einem Markt wählen, ob sie eine Ware erwerben (etwa eine „Maßnahme“ annehmen) wollen oder nicht, noch können sie über den Verkauf ihrer Arbeitskraft ernsthaft verhandeln, dient doch die auf dem sogenannten Arbeitsmarkt angebotene Arbeitsstelle der Existenzsicherung und nicht der Produktivität – wie die norwegische Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset schon 1908 in ihrer Erzählung „Den lykkelige alder“ schrieb: „Bürosklaven! Wir alle haben eine Arbeit, von der wir leben müssen – wir können nicht für sie leben.“ – Was also wäre konsequent? Nun, den Bürger als Bürger ernstzunehmen, seine Existenz mit einem BGE bedingungslos und in einem kulturell angemessenen Umfang zu sichern und es ihm zuzutrauen und zuzumuten, mit seinem Leben etwas anzufangen – ob es nun ein „für die Arbeit leben“ ist oder nicht – wobei also das „etwas“ eben nicht vorgeschrieben würde, sondern Moment der Verantwortung wäre, Moment der Verantwortung, die Herr Alt doch offensichtlich selbstverständlich und zu Recht wertschätzt.

Thomas Loer

Um welches Grundeinkommen geht es in Finnland?

In den vergangenen Wochen hat sich die Berichterstattung über den Stand der Grundeinkommensdiskussion in Finnland beinahe so dargestellt, als stünde ein Grundeinkommensexperiment kurz bevor. Um welche Art von Grundeinkommen es sich dabei handeln würde, war und ist allerdings keineswegs klar. Das Netzwerk Grundeinkommen berichtete im April über die Wahl in Finnland und erwähnte dabei das Programm der Grünen Partei. Unter Punkt 4.2 finden sich Ausführungen zum „Basic Income“, die Aspekte zusammenführen, von denen man sagen kann, dass sie sich widersprechen. Teils wird von Bedürftigen gesprochen, denen es helfen soll, teils soll es allen zustehen. Das Basic Income Earth Network berichtete im Juni wiederum über das Vorhaben eines Grundeinkommensexperimentes der neuen Regierung in Finnland. Worum es genau gehen sollte, blieb dabei unklar. Unter den Kommentaren zu diesem Beitrag bei BIEN findet sich ein Hinweis darauf, dass die Darstellung in dem Beitrag die gegenwärtigen finnischen Verhältnisse nicht angemessen wiedergebe. Ebenfalls im Juni, kurz nach dem Hinweis durch BIEN, berichtete wiederum das Netzwerk Grundeinkommen von dem Vorhaben eines Experiments, doch auch da erfährt man nichts Genaues. Nun hat auch Vice über das Vorhaben berichtet, dort gehen Grundeinkommen und Bedingungsloses Grundeinkommen Hand in Hand – ohne genauere Auskünfte zu geben. Bei Basic Income Europe hingegen findet sich zu einer Meldung ein Kommentar von Johanna Perkiö, einer finnischen Sozialwissenschaftlerin, der ganz anders klingt. Sie hebt hervor, dass es sich keineswegs um ein „Basic Income“ handele, vielmehr werde eine Workfare-Politik gegenwärtig favorisiert. Ein älterer Artikel in der Helsinki Times bringt ein wenig Licht in die unklare Lage, darin geht es allerdings wiederum nur um Vorschläge, nicht um konkrete Vorhaben. 

In der Berichterstattung wäre also mehr Zurückhaltung geboten hinsichtlich dessen, worum es in Finnland geht und was es mit womöglich erwogenen Feldexperimenten auf sich hat (zu Feldexperimenten siehe meinen Kommentar hier). Von einem Bedingungslosen Grundeinkommen ist nicht die Rede. Es ist der Diskussion nicht gerade förderlich, wenn durch vorschnelle Meldungen Verwirrung gestiftet wird. In Deutschland war dies auch wiederholt der Fall, so z.B. vor etlichen Jahren, als Jean Claude Juncker oder Horst Köhler (ehemal. Deutscher Bundespräsident) das Schlagwort Grundeinkommen erwähnten und damit kein BGE meinten, sie gleichwohl als Befürworter gehandelt wurden – es blieb unklar, was sie vor Augen hatten.

Sascha Liebermann

„…dass die Bundesrepublik dabei nach wie vor ein europäisches Entwicklungsland ist…“

…so Petra Pau, zitiert nach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie sieht auch im Grundgesetz keine Beschränkung dafür, denn dort stehe nicht, wie „Wahlen und Abstimmungen“ zu erfolgen hätten. Selbst wenn das so wäre, dass das Grundgesetz dies ablehnte – was eine ungewöhnliche Selbstknebelung bedeutet hätte -, müsste das nicht in Stein gemeißelt sein (Artikel 20 gehört nicht zu den Grundrechten).

In dem Beitrag der FAZ wird sie desweiteren so zitiert:

„Zum letztlich gescheiterten Luxemburger Referendum über das Wahlrecht von Ausländern sagte Pau: ‚Ich begrüße es, dass unsere Nachbarn zu einer so grundlegenden Frage abstimmen durften.‘ Eine Zustimmung wäre ‚ein großer Schritt dahin gewesen, wie ich eine Gesellschaft verstehe: Dass jeder Mensch, der in einem Land lebt, auch die vollständigen Bürgerrechte beanspruchen kann.“

Die Luxemburger hatten im Referendum darüber abgestimmt, ob Nicht-Staatsbürger bei nationalen Wahlen abstimmungsberechtigt sein sollten – das wurde abgelehnt. Nun ist es nicht so, dass die Linke laut dieser Meldung keine Status-Bedingungen für die Teilnahme an Wahlen vorsieht. Am Ende des Artikels wird erwähnt, dass durchaus „Fristen“ von fünf bis zehn Jahren denkbar seien, gemeint sind wohl Mindestaufenthaltszeiten, die Voraussetzung dafür wären, wählen zu dürfen.

Warum aber nicht die Staatsbürgerschaft als Kriterium bestehen lassen? Was spricht dagegen? Weshalb wirbt Petra Pau nicht dafür, sich einbürgern zu lassen, denn damit würden die vollständigen Bürgerrechte gewährt? Rechten korrespondieren auch Pflichten und die Entscheidung, ob diese Pflichten übernommen werden wollen, gebührt doch demjenigen, der sie zu übernehmen hätte. Es muss hierfür also eine klare Entscheidungsituation geben – mit der Frage der Einbürgerung ist sie gegeben. Einem Gemeinwesen muss ja daran liegen, dass jemand, der in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt dauerhaft hat, sich hier einbürgern lässt und nicht nur Recht, sondern auch Pflichten übernimmt. Denn ohne die Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung und den Normen des Zusammenlebens kann kein Gemeinwesen bestehen. Rechte haben, Pflichten aber nicht haben zu wollen, geht in diesem Zusammenhang nicht.

Wird über die Frage der Einbürgerung bzw. der Bedeutung von Staatsbürgerschaft diskutiert, gibt es zugespitzt gesagt zwei Lager. Dem einen ist noch nicht ganz wohl angesichts der Konsequenzen dieses universalistischen Prinzips – Staatsbürgerschaft kann erworben werden. Deswegen wird Einbürgerung nicht vorbehaltlos begrüßt und dafür geworben. Diese Position ist heute deutlich ins Hintertreffen geraten. Öffentlich gilt sie als rückständig und antiquiert. Die andere hingegen hält den Nationalstaat für überflüssig wie einen Kropf, weil er Einschränkung, Beschränkung, Diskriminierung, Ausgrenzung und Ähnliches mit sich bringe. Er sei wie eine Wand zwischen den Staatsbürgern und den Nicht-Staatsbürgern. Zu dieser Position gehört das Selbstverständnis, die Welt als große Einheit zu betrachten. Die bestehenden Differenzen gelte es nur noch zu überwinden, das sei eine Frage der Zeit. Diese Position führt zu ihrer Rückenstärkung häufig die Menschenrechte an, die seien ja universal und dürften niemandem vorenthalten werden.

Nun, letzter Punkt ist so einfach nicht, denn deren Universalität wird ja durchaus bestritten. Die Formulierung der Menschenrechte (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) ist selbst in manchem Gehalt Kind ihrer Zeit. Gravierender noch wäre es, wenn sie über die Souveränität und damit die Selbstbestimmungsrechte eines Gemeinwesens gestellt würden, darauf haben sowohl Ernst-Wolfgang Böckenförde als auch Ingeborg Maus hingewiesen. Denn dann erlaubten sie durchaus eine Durchsetzung der Menschenrechte gegen den Willen eines Gemeinwesens. Welche Folgen das mit sich bringt, zeigen z.B. die Interventionen im Irak und in Afghanistan. Wer also die Staatsbürgerschaft abschaffen will, der muss den Nationalstaat als Vergemeinschaftung von Bürgern zugleich mit abschaffen. Dann kann es aber auch kein souveränes (nicht autarkes) Gebilde mehr geben, dass darüber, wie es leben will, im Rahmen der Möglichkeiten selbst bestimmt. Jede politische Vergemeinschaftungsform geht mit einer Innen-Außen-Abgrenzung einher.

Man könnte es als Indiz für die innere Verfasstheit Deutschlands als politischen Gemeinwesen verstehen, dass die Vorbehalte gegen den Nationalstaat so groß sind. Sie erklären sich gerade nicht aus der Erfahrung mit dem Dritten Reich, sie sind vielmehr noch eine Fortsetzung der Vorbehalte gegen die moderne Demokratie, mit denen erst nach dem Zweiten Weltkrieg länger anhaltende Erfahrungen gemacht worden sind. Demokratie ist aber nur dann lebendig, wenn es in einem Gemeinwesen auch ein Bürgerethos gibt, wenn die Bürger sich also als Fundament begreifen und nicht nur oder vor allem erdulden. Es sind gerade diese Vorbehalte, die eine positive Bezugnahme auf die Universalität der Staatsbürgerschaft und damit zugleich ein souveränes Bekenntnis zur politischen Ordnung, für die der Streit von Interessen und die Notwendigkeit der Kompromissbildung unerlässlich sind, verhindern. – Die Lage in der EU sowie die Art und Weise der Auseinandersetzung um die Frage, was mit Griechenland werden soll, lässt erkennen, wie wenig die EU sich als politische Vergemeinschaftung begreift.

Sascha Liebermann

Zur Diskussion über Direkte Demokratie siehe auch folgendes Interview mit Manfred G. Schmidt, frühere Kommentare von uns, Ausführungen zur Stellung des Volkssouveräns von uns und diesen Beitrag zu Demokratie und Bedingungslosem Grundeinkommen von mir.

„Zeitschrift für Politik“ veröffentlicht Sonderband zum Bedingungslosen Grundeinkommen

Für den Juni schon kündigt der Nomos-Verlag in einem Prospekt die Veröffentlichung eines Sonderbandes der Zeitschrift für Politik an, der sich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen befassen soll. Herausgegeben wird er von Rigmar Osterkamp, wird etwa 260 Seiten haben und den Titel tragen „Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland?“

 

 

 

 

 

„Argumente gegen das „emanzipatorische Grundeinkommen“ der LINKEN-BAG“ – Neues von Christoph Butterwegge?

Christoph Butterwegge ist als ausdrücklicher Gegner eines Bedingungslosen Grundeinkommens bekannt (siehe hier; Dörre hat seine Haltung mittlerweile leicht verändert). Eine seiner jüngeren Abhandlungen war mit „Traumziel der Reformer“ übertitelt, die seine eherne Verteidigung der „Arbeitsgesellschaft“ deutlich machte. Wie steht es mit dem aktuellen Beitrag, den er auf den Nachdenkseiten veröffentlicht hat? Ich beziehe mich hierbei vor allem auf seine allgemeinen Einwände gegen ein BGE und weniger auf den Vorschlag der BAG, gegen den sich Butterwegge ausdrücklich wendet.

Schon zu Beginn des Beitrags fällt eine merkwürdige Gegenüberstellung von heutigen Systemen sozialer Sicherung und dem BGE auf. Butterwegge schreibt:

„Sieht man genauer hin, fallen jedoch gravierende Nachteile ins Auge, die damit einhergehen: Beim allgemeinen Grundeinkommen handelt es sich um eine alternative Leistungsart, die mit der Konstruktionslogik des bestehenden, früher als Jahrhundertwerk gefeierten Wohlfahrtsstaates bricht sowie seine ganze Architektur bzw. Struktur zerstören würde. Dieser gründet nämlich auf Sozialversicherungen, die in unterschiedlichen Lebensbereichen, -situationen und -phasen auftretende Standardrisiken (Krankheit, Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit) unter der Voraussetzung kollektiv absichern sollen, dass der versicherte Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber zuvor entsprechende Beiträge gezahlt haben. Nur wenn dies nicht der Fall oder der Leistungsanspruch bei Arbeitslosigkeit erschöpft ist, muss man auf steuerfinanzierte Leistungen (Alg II, Sozialgeld bzw. Sozialhilfe) zurückgreifen, die bedarfsabhängig – d.h. nur nach einer meist als schikanös empfundenen [Hervorhebung SL] Prüfung der Einkommensverhältnisse, vorrangigen Unterhaltspflichten und Vermögensbestände – gezahlt werden.“

Hält Butterwegge also das heutige System sozialer Sicherung für bewahrenswert, indem jeglicher Leistungsanspruch entweder über Erwerbstätigkeit erworben sein muss oder – falls nicht – in Erwerbstätigkeit auf jeden Fall zurückführen soll? Damit würde er ja all die stigmatisierenden Effekte heutiger Systeme verteidigen, er würde all die im System nicht oder kaum berücksichtigten Leistungen (Familie, Ehrenamt u.a.) genau in der Zweitklassigkeit belassen wollen, in der sie sich heute befinden? Was als „schikanös“ empfunden wird, hat seinen Grund in der Sache selbst und ist nicht Einbildung oder bloßes Empfinden der Betroffenen. Die Leistungsbezieher müssen sich vor der Behörde, d.h. letztlich dem Gemeinwesen rechtfertigen und Wohlverhalten an den Tag legen. Hält er auch das für bewahrenswert?

Weiter heißt es:

„Wenn (fast) alle bisherigen, zum Teil nach Bedürftigkeit gewährten Transferleistungen zu einem Grundeinkommen verschmolzen würden, wäre das Traumziel marktradikaler Reformer, die Sozialversicherungen zu zerschlagen und einen neoliberalen „Minimalstaat“ zu schaffen, ganz nebenbei erreicht, was sich noch dazu als Wohltat für die Bedürftigen hinstellen ließe … Als ein Kombilohn für alle könnte das BGE wirken, weil der Staat für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft aufkäme und der Unternehmer entsprechend weniger dafür aufwenden müsste.“

Es erstaunt wiederum die Grobschlächtigkeit. 1) Welche der bestehenden Leistungen ersetzt werden könnte, hinge nicht unwesentlich von der Höhe des BGE ab. Eine Sparversion, also ein niedriges BGE samt Abschaffung aller darüber hinausgehenden Leistungen, würde genau die Freiräume nicht eröffnen, die das BGE eröffnen soll. Sie schiede also, wenn man es ernst meinte, aus. 2) „Minimalstaat“? Ja und Nein. Ja – insofern als die Bereitstellung des BGE gerade keine Dauerkontrolle der Leistungsbezieher erforderlich machte, sie wäre gar nicht mehr erwünscht. Nur bedarfsgeprüfte Leistungen oberhalb des BGE bedürften noch der Feststellung bzw. Prüfung, jedoch gilt: Mit einem BGE änderte die Bedarfsprüfung für Bedarfe über das BGE hinaus ihren Charakter, weil sie sich über die Stellungs des Bürgers begründete und nicht durch den Erwerbsausfall. Was heute als Maßnahmenindustrie durch die Gesetzgebung erst zum Leben erweckt wurde, könnte erheblich anders aussehen, wenn nicht wegfallen, wo es sich um aberwitzige Angebote handelt. Nein – da das BGE vom Gemeinwesen, also dem von den Bürgern dafür beauftragten Staat, bereitgestellt würde. Es wäre ein Ausdruck von Solidarität ohnegleichen, ein gewaltiger Unterschied zu heute, weil er die Bürger machen ließe, statt sie zum Machen aktivieren zu wollen. 3) Kombilohn? Was soll man dazu sagen? Der Kombilohn ist stets an ein Erwerbsverhältnis gebunden, nur dann erhält z.B. der Arbeitgeber eine Subventionierung eines Arbeitsplatzes. Das BGE würde ja gerade unabhängig davon bereitgestellt und genau das verleiht Verhandlungsmacht, wo sie mit dem Kombilohn nicht besteht. Was die Einzelnen aus den Möglichkeiten machen, ob und wie sie verhandeln, bliebe deren Sache.

„Entweder erhalten jeder Bürger und jede Bürgerin das Grundeinkommen, unabhängig von den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. In diesem Fall müssten riesige Finanzmassen bewegt werden, die das Volumen des heutigen Bundeshaushaltes (ca. 300 Mrd. Euro) um ein Mehrfaches übersteigen und die Verwirklichung des bedingungslosen Grundeinkommens per se ins Reich der Utopie verweisen.“

Weshalb? Das BGE muss den heutigen Möglichkeiten gemäß eingeführt werden, es kann nicht herbeigezaubert werden, was nicht zu verteilen ist. Wer leugnet das? Weshalb bezieht sich Butterwegge auf den Bundeshaushalt, er ist nicht die Bezugsgröße. Es muss letztlich um alle Leistungen gehen, die heute bereitgestellt werden und dabei ist nicht nur das Sozialbudget zu berücksichtigen, sondern auch sind es die Freibeträge in der Einkommensteuer. Sie sind heute ein bewusster Verzicht auf Besteuerung von Einkommen und insofern ein Rechtsanspruch aller. Er greift allerdings erst, wenn steuerbares Einkommen vorliegt. Was heute als Freibetrag bzw. als existenzsichernde Leistungen bereitgestellt wird, kann auch als BGE bereitgestellt werden.

„Außerdem würde sich unter Gerechtigkeitsaspekten die Frage stellen, warum selbst Milliardäre vom Staat monatlich ein von ihnen vermutlich als „Peanuts“ betrachtetes Zubrot erhalten sollten, während Millionen Bürger/innen (z.B. solche mit schwerwiegenden Behinderungen) mehr als den für sämtliche Empfänger/innen einheitlichen Geldbetrag viel nötiger hätten.“

Wer sich, wie Herr Butterwegge seit Jahrzehnten mit dem deutschen Sozialstaat befasst, dem können die Freibeträge in der Einkommensteuer nicht entgangen sein. Sind sie heute gerecht, als BGE aber wären sie ungerecht? Ein BGE kann ja als ausgeschütteter Freibetrag betrachtet werden. – Und wieder wird die kumulative Wirkung bei Haushalten nicht beachtet. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto besser mit einem BGE die Einkommenssituation.

„Oder wohlhabende und reiche Bürger bekommen das Grundeinkommen nicht bzw. im Rahmen der Steuerfestsetzung wieder abgezogen. Dann wäre es weder allgemein und bedingungslos, noch entfiele die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, müsste doch in jedem Einzelfall herausgefunden werden, ob die Anspruchsvoraussetzungen nicht durch (verdeckte) anderweitige Einkünfte verwirkt sind.“

Hier müssen zwei Dinge unterschieden werden, der Bereitstellungsmodus auf der einen und die steuertechnische Bilanzierung von Ausschüttung (BGE als Steuerausschüttung) und Abschöpfung (z.B. direkte und indirekte Steuerleistung pro Person) auf der anderen Seite. Das erste ist wichtig, um ein BGE als Regelleistung von einem Mindesteinkommen als Ersatz- oder Kompensationsleistung zu unterscheiden. Eine Regelleistung wird immer ausgezahlt, egal welche Einkommen sonst erzielt werden, eine Ersatz- oder Kompensationsleistung wird nur bereitgestellt oder beibehalten, wenn kein ausreichendes Einkommen vorliegt oder erzielt wird. Etwas ganz anderes ist es nun, ob eine Person bezüglich ihrer Bilanz von erhaltener Steuer und abgegebener Steuer Nettoempfänger oder Nettozahler ist. Dabei wird nur bilanziert, ob er mehr Steuern erhalten (in Form des BGE) oder mehr Steuern abgeführt hat, weil etwa eine entsprechende Einkommensbesteuerung oder Konsumbesteuerung vorgenommen wird. Bezüglich dieses letzten Punktes kann man sehr wohl sagen, dass Haushalte mit höheren Einkommen Nettozahler sein werden, ohne dass ihnen vom BGE etwas „abgezogen“ würde.

Insofern, als das BGE nicht dauerhaft bereitgestellt würde, sondern nur als Ersatz- oder Kompensationsleistung gälte, hat Butterwegge recht, wenn er schreibt:

„Arbeitslose und Arme müssten eine Einkommensteuererklärung abgeben und wären einem ähnlichen Kontrolldruck wie gegenwärtig ausgesetzt. Diesen zu beseitigen ist jedoch ein, wenn nicht das Hauptargument für das BGE, zumindest für Mitglieder und Anhänger/innen der LINKEN“.

Hier bezieht er sich auf das Modell der Negativen Einkommensteuer, das im Vorschlag der LINKEN als Alternative zum BGE vorgesehen ist Butterwegge übersieht allerdings, dass der „Kontrolldruck“ heute von zweierlei Sachverhalten ausgeht. Das ist zum einen der schlichte Umstand, dass Erwerbstätigkeit einem Gebot folgt, sie wird von einem normativen Konsens getragen, der dem Leben eine bestimmte Ausrichtung auferlegt. Zum anderen wirken dazu die verschiedenen Prüfungsformen verstärkend, deren Legitimierung genau im Erwerbsgebot liegt. Wenn Butterwegge also diesen Druck auf beiden Ebenen aufheben wollte, müsste er ein BGE befürworten, denn nur dann gäbe es keine Norm mehr, die besagt: Du sollst erwerbstätig sein.

Was schreibt Butterwegge noch?

„Mein zentrales Gegenargument ist allerdings ein verteilungspolitisches: Auf ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird mit der Forderung nach einer Geldzahlung in gleicher Höhe reagiert. Dabei muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden, denn eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip vermag keine Bedarfsgerechtigkeit zu schaffen. Das bedingungslose Grundeinkommen als solches tastet den privaten (Vermögens-)Reichtum aber nur an, wenn es über die Erhöhung/Erhebung von Gewinn- bzw. Vermögensteuern finanziert wird. Durch seine gigantischen Kosten für den Staatshaushalt verschärft es sogar das Problem der öffentlichen Verarmung – zur Zeit der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ und des Fiskalpakts ein nicht zu vernachlässigendes Problem.“

Die Schuldenbremse ist ein Problem eigener Art, eine Art Selbstknebelung aus dem Misstrauen heraus, nicht verantwortungsvoll mit öffentlichen Einnahmen umgehen zu können. Sie ist insofern auch ein Symptom unseres Selbstverständnisses. Der erste Teil der Ausführungen allerdings ist so nicht haltbar. Man muss sich lediglich vor Augen führen, was es heißen würde, eine dauerhafte Einkommensabsicherung zu haben (pro Person) – und diese Situation mit heute vergleichen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse haben durchaus damit etwas zu tun, welche Verhandlungsmöglichkeiten Menschen haben, wenn es um einen Arbeitsplatz geht. Die durch ein BGE verliehene Verhandlungsmacht könnte sich also sehr wohl erheblich auf die Einkommensverteilung auswirken, weit über das hinaus, was die Bereitstellung eines BGE als solches schon bedeutete. In der Debatte über prekäre Einkommensverhältnisse darf ein Aspekt, der in meinen Augen unterschätzt wird, nicht vernachlässigt werden. Es ist für die Einkommensentwicklung in Deutschland nicht unerheblich, wieviel man bereit ist, sich gefallen zu lassen und schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen oder anders ausgedrückt: wie sehr man sich in die Verhältnisse einpasst und in der (teils berechtigten, teils unberechtigten) Furcht, unangenehm aufzufallen, jedes auffällige Manöver, jeden auffälligen Schritt eher unterlässt. Man nehme nur die teils hysterischen Reaktionen auf die Streiks der GDL oder der Kitas als Indiz dafür, wie ausgeprägt die Anpassungsbereitschaft ist.

„Es ist eine Illusion zu glauben, der Kommunismus („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“) lasse sich nach dem Modell eines reichen Müßiggängers bereits im Rahmen des heutigen Finanzmarktkapitalismus verwirklichen. Vielmehr ist Kapitalismus ohne Arbeitszwang wie ein Gefängnis ohne Gitterstäbe und Mauern – beides gibt es nicht.“

Das ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man sich selbst entmündigen kann (ein ähnlicher hier). Wir haben viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten, als wir glauben, die Frage ist doch, ob wir sie nutzen wollen und wie. „Der Kapitalismus“ zeugt sich nicht einfach so fort, er bedarf gestaltender Entscheidungen, das war immer so. Worin diese Entscheidungen bestanden, kann, was die letzten Jahrzehnte betrifft, leicht nachvollzogen werden. Die Umgestaltung des Bildungswesens, ganz besonders der Hochschulen hat klar benennbare Verantwortliche: die Bildungspolitik und die Hochschulen samt der Entscheidungsträger darin selbst. Dasselbe gilt für die Sozialpolitik: Der Geist von Hartz IV ist überall.

„Zu verwirklichen ist das BGE auch nur mittels seiner Begrenzung auf den Nationalstaat und im Falle des Ausschlusses von Zuwanderern. Das strenge Armutsregime namens „Hartz IV“ würde also transformiert in ein noch rigideres Grenz- und Migrationsregime.“

Dass der Nationalstaat dafür wichtig ist, steht außer Frage, denn er – als Gemeinschaft von Bürgern – muss es bereitstellen und die Verantwortung dafür tragen. Weshalb aber sollten Zuwanderer ausgeschlossen werden? Zwar stellt sich die Frage, welcher Aufenthaltsstatus zur Voraussetzung für den Bezug wird, also eine Mindestaufenthaltszeit oder Ähnliches, doch die Ausweitung auf Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ist sogar unabdingbar. Wie kommt Butterwegge auf den Gedanken, das sei nicht möglich? Der zweite Teil ist pure Phantasie des Autors. Mit dem BGE entsteht die Frage, wie mit Zuwanderung umzugehen ist, nicht erst, wir befinden uns schon länger mittendrin.

„Mindestlohn und BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser: Wenn der Staat das Existenzminimum und die gesellschaftliche Teilhabe für alle Wohnbürger/innen garantiert, können Arbeitnehmer/innen keinen Anspruch mehr auf Lohn in einer die physische Existenz und die gesellschaftliche Teilhabe sichernden Höhe erheben.“

Dem ersten Teil würde ich durchaus zustimmen, aber nicht aus den Gründen, die Butterwegge anführt. BGE und Mindestlohn zugleich haben zu wollen, bedeutet, zwei einander gegenläufigen Prinzipien zu folgen. Beide dienen der Mindesteinkommenssicherung, der Mindestlohn aber ist erwerbsabhängig, das BGE ist erwerbsunabhängig.

„Auch der Sozial(versicherungs)staat und das BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Wenn alle Wohnbürger/innen auf einem das sozioökonomische Existenzminimum garantierenden Niveau abgesichert wären, würden nicht bloß die (steuerfinanzierten) Fürsorgeleistungen des Staates entfallen, vielmehr auch die Sozialversicherungen weitgehend überflüssig, die vor den Standardlebensrisiken schützen sollen.“

Sofern das BGE eine Höhe hätte, die heutigen Versicherungsleistungen entspräche, weshalb sollten sie dann beibehalten werden? Wer wird denn von den bestehenden Versicherungen tatsächlich geschützt? Überwiegend diejenigen, die in entsprechendem Umfang erwerbstätig waren. Die Folgen sehen wir beim Arbeitslosengeld I, bei der Rentenversicherung.

„Für die LINKE macht das BGE (partei)strategisch deshalb keinen Sinn: Erstens schwächt die Forderung nach einem BGE den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, weil es den Staat aus seiner Verantwortung für deren Beseitigung entlassen würde.“

Strategische Fragen der LINKEN will ich hier nicht kommentieren, was darüber hinaus geht schon. Weshalb und wer entließe den Staat aus seiner Verantwortung? Wenn dieser „Kampf“ weiterhin für wichtig erachtet würde, dann würde er auch geführt werden, um in Butterwegges Duktus zu bleiben. Doch, wäre Arbeitslosigkeit, wenn es ein BGE gäbe, noch dasselbe wie heute? Wohl kaum, denn die gesamte Bedeutung erhält Arbeitslosigkeit aus zwei einfachen Gründen: Wer arbeitslos wird, verliert sein als legitim anerkanntes regelmäßiges Einkommen – das er sich „verdient“ hat. Darüber hinaus bedeutet Arbeitslosigkeit, dem Gebot der Erwerbstätigkeit nicht zu folgen und somit zum Gemeinwohl den entscheidenden Beitrag nicht zu leisten. Das ist als solches schon eine Bürde, die Bezugsbedingungen der entsprechenden Leistungen verstärkt das lediglich.

Abschließend schreibt er:

„Was die LINKE braucht, um erfolgreicher als bisher sein zu können, ist keine unrealistische Vision von einem „Schlaraffenland“, in dem niemand arbeiten muss, sondern eine überzeugende Alternative zum modernen Kasinokapitalismus, die Perspektiven jenseits von prekärer Beschäftigung, Armut und sozialer Ausgrenzung weist.“

Wo bleibt hier die Differenzierung? Butterwegge möchte wohl ein politisches Statement abgeben, von Analyse kann keine Rede sein. Dass ein BGE gerade nicht zum Schlaraffenland führt, sondern bei aller Absicherung eine gewaltige Zumutung darstellt, weil der Freiraum, den ein BGE schafft, eben auch gefüllt werden muss, seine Füllung jedoch nicht mehr vorgespurt ist durch die heute in jeder Hinsicht als sinnvoll anerkannte Erwerbstätigkeit, kann oder will er nicht sehen.

„Selbst wenn die Erwerbslosen mit dem BGE materiell besser als bisher abgesichert wären, bliebe das Problem ihrer sozialen Desintegration bestehen. Denn in einer Arbeitsgesellschaft wie unserer resultieren der Lebenssinn, der soziale Status und das Selbstwertgefühl der Menschen aus der Erwerbsarbeit.“

Diese Passage spricht Bände, weil der Autor damit übergeht, was die politische Ordnung in ihren Grundfesten auszeichnet: der Bürger steht in ihr im Zentrum, nicht der Erwerbstätige (siehe auch hier und hier). Mit seiner Behauptung befindet sich Butterwegge allerdings in guter Gesellschaft (siehe hier und hier), denn die These, wir lebten in einer Arbeitsgesellschaft, gehört zu den weit verbreiteten Deutungen. Dabei könnte einem schnell auffallen, dass gerade in Erwerbstätigkeit der Einzelne nicht um seiner selbst willen zählt, sondern als Aufgaben- oder Funktionsträger. Deswegen ist er ja auch – notwendigerweise – dort austauschbar, er kann und muss entlassen werden, wenn er nicht den Anforderungen entspricht. Das ist nur deswegen ohne Schaden für ein Unternehmen, sei es privat, sei es öffentlich möglich, weil der Einzelne eben nur für die Bewältigung der Aufgabe da ist. Sie aber ist genauso gut auf andere übertragbar. Er ist also darüber gerade nicht integriert. Wo er hingegen nicht austauschbar ist, sondern um seiner selbst willen gilt, das ist das Gemeinwesen der Bürger, in dem die Bürgerrechte bedingungslos verliehen werden. Gerade dadurch ist jeder politisch „integriert“. Heute hingegen gilt diese Integration nicht viel, stattdessen wird die in Erwerbsätigkeit in ihrer Bedeutung überhöht und mit nicht einlösbaren Erwartungen verbunden.

Sascha Liebermann

„Das gefährdet die Existenz“…

…so Richter Jens Petermann vom Sozialgericht in Gotha, das die Sanktiongsregelung im SGB II vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen will, in einem Interview mit dem mdr. Siehe auch diesen Beitrag des mdr.

Siehe unseren Kommentar zur Frage, ob solche Fragen juristisch oder politisch gelöst werden müssen sowie weitere Kommentare hier und hier zur Geschichte der Sanktionen im Bundessozialhilfe- wie im Arbeitsförderungsgesetz von 1969. An dem heute geltenden Sozialgesetzbuch gibt es Vieles zu kritisieren, es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, das sei alles von gestern auf heute über uns gekommen – es hat vielmehr Tradition.