„Das bedingungslose Grundeinkommen – realitätsferne Utopie oder praxisnahes Zukunftsmodell?“…

…eine Diskussion zwischen Philip Kovce und Julian Nida-Rümelin in Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Zum Beitrag auf grundeinkommen.ch.

Ein früherer Kommentar zu Nida-Rümelins Kritik am BGE von Sascha Liebermann finden Sie hier, die überarbeitete und aktualisierte Fassung hier.

„…möglichst alle Kinder und Jugendlichen möglichst früh zu erreichen…“

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion über  „kulturelle Bildung“ vom 29. Oktober 2015 zum Thema „Wie Kreativität entsteht“ äußerte sich die amtierende Ministerin Christina Kampmann, Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW folgendermaßen:

„…Ich komm selber wahrscheinlich aus einer Familie die man vielleicht als bildungsfern bezeichnen würde ich habe auch erst in der Schule mit dem Thema [Kunst und Kultur, SL] zu tun bekommen […] und unser Ziel ist es, möglichst alle Kinder und Jugendlichen möglichst früh zu erreichen…“

Was heißt das genau? Sind damit, wie an späteren Ausführungen der Ministerin in der Diskussion anklingt, Bildungsangebote gemeint? Oder doch Bildungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters? Das würde wiederum, wie sie selbst äußerte, dem widersprechen, dass die Entfaltung von Kreativität und Phantasie Freiräume benötigt, Zwang das Gegenteil bewirken würde. Davon zu sprechen, jemanden zu erreichen, heißt jedoch wörtlich, mit ihm tatsächlich in Kontakt zu treten – nicht nur es zu versuchen oder anzustreben. Erreicht wären alle Kinder und Jugendlichen tatsächlich erst, wenn sie an Angeboten teilnähmen. Um dahin zu gelangen bedürfte es mindestens einer Pflicht, von der jedoch nicht die Rede ist. Damit wäre es kein Angebot mehr, denn das müsste ausgeschlagen werden können. Diese widersprüchliche Haltung, die in den Ausführungen zum Ausdruck kommt, ist der Haltung der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (siehe einen früheren Kommentar) ähnlich, die vor wenigen Jahren in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung folgendes sagte:

„…Jeder Kita-Platz ist eine gute Prävention. Wir wissen aus einer Untersuchung des Prognos Instituts, dass sich jeder Kita-Platz volkswirtschaftlich schon nach einem Jahr rechnet, weil Mütter dann erwerbstätig sein können, Steuern und Sozialabgaben zahlen, anstatt Transferleistungen zu beziehen. In vielen Fällen möchten gerade Alleinerziehende gerne wieder arbeiten, haben aber keine verlässliche Betreuung. Deshalb stellen wir uns auch so massiv gegen das Betreuungsgeld. Bisher waren wir uns mit der CDU einig, dass Bildung schon in der Kita beginnen muss. Dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind [Hervorhebung SL], statt eine Prämie für Kinder zu zahlen, damit sie fernbleiben. Das ist vollkommen unsinnig. Es würde auch keiner auf die Idee kommen, jemandem einen Bonus zu zahlen, der nicht ins Museum geht.“

Im markierten Passus widerspricht das Vorhaben, die Anwesenheit von Kindern sicherzustellen den vorangehenden Ausführungen darüber, Möglichkeiten zu schaffen („…Mütter erwerbstätig sein können…“). Sicherstellen kann man Anwesenheit bestenfalls, wenn es eine Pflicht gibt, anwesend zu sein – wobei auch diese Pflicht die Anwesenheit nicht wirklich garantiert, zumindest aber die Abwesenheit unter Strafe stellt wie bei der Schulpflicht (zur Diskussion um ihre Abschaffung siehe hier, hier, hier und hier).

Der Geist aktivierender Sozialpolitik, wie sie in der Agenda 2010 formuliert wurde, zeigt sich in seiner Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite soll es darum gehen, dass Bürger ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, auf der anderen will man aber nicht dazu lediglich Freiräume eröffnen und Angebote bereitstellen, man will auch sicherstellen, dass die Freiräume wie die Angebote richtig genutzt werden. Wollen und Können schlagen in Müssen um (siehe auch hier und hier). Dieser Geist entsprang nicht der Agenda 2010, er machte sie möglich und reicht weiter zurück als oft angenommen. Auch findet er sich durchaus bei denjenigen, die gegen diesen Geist wettern (siehe z. B. hier).

Das ist der Grund, weshalb es ein Bedingungsloses Grundeinkommen so schwer hat, weil diese widersprüchliche Haltung nicht auf so hermetische Weise zutage tritt, dass sie eine klare Unterscheidung in Befürworter und Gegner zulässt.

Sascha Liebermann

P.S: Im kommenden WDR 3 Forum am 10. Janaur wird eine weitere Podiumsdiskussion gesendet, an der ich beteiligt war.

„Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht“…

…ein Feature im Deutschlandfunk von Mathias Greffrath vom 3. Januar.

„Homo sapiens ist der Primat, der Werkzeuge herstellen kann, vom Faustkeil und Pflug über Windmühle und Dampfmaschine bis zu den Computersystemen, die die geistige Arbeit automatisiert und die Fantasieproduktion standardisiert haben. Und wie es scheint, ist der neuerliche Automatisierungsschub erst am Anfang.“

Was von den Erwartungen bzw. Befürchtungen um die Automatisierung zu halten ist, ist schwer zu sagen. Einen jüngeren Kommentar dazu von unserer Seite hier, eine Übersicht über ältere hier. In der NZZ am Sonntag wurde die Digitalisierung ebenfalls thematisiert unter dem Titel: „Uns braucht es bald nur noch als Konsumenten“. Dazu auch ein Interview mit Erik Brynjolfsson daselbst.

Greffrath hat sich schon wiederholt ablehnend mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen befasst, siehe hier und hier.