„Grundeinkommen in der Schweiz: Wie weiter?“…

„Analyse, Reflexion und ein Ausblick“ von Che Wagner, veröffentlicht auf grundeinkommen.ch. Der Beitrag gibt Einblick in die Schweizer Diskussion vor der Volksabstimmung im letzten Juni und eröffnet eine Aussicht darauf, was nun folgen könnte.

Dass Volksabstimmungen Schritte erlauben, die dort, wo dieses Initiativrecht fehlt, nur auf Umwegen möglich sind, ist unbestritten. Deswegen aber repräsentative Demokratien damit gleichzusetzen, dass das Volk darauf warten müsse, bis „Eliten“ bereit seien, Veränderungen herbeizuführen, wie Che Wagner schreibt, halte ich für überzogen. Denn diese „Eliten“ sind gewählte Repräsentanten, die sehr wohl auf öffentliche Debatten reagieren und durch sie gedrängt werden können, Fragen aufzugreifen. Genau das war ja ein Ergebnis der jüngeren Grundeinkommensdiskussion nach der Jahrtausendwende, die mit wenigen Aktiven begann und sehr früh schon erstaunliche Resonanz erhielt, denn Parteien, Interessenverbände und die Kirchen nahme Stellung zum BGE. Heute kann der Vorschlag als etabliert gelten, obwohl er noch keine Mehrheiten findet, weder in der Schweiz noch in Deutschland.

Direkte oder repräsentative Demokratie – in beiden zählen Mehrheiten. Auf sie kommt es an. Es kommt einer Verklärung gleich zu meinen, in repräsentativen Demokratien gäbe es Mehrheiten, die sich gegenwärtig nicht artikulieren könnten, da es keine Volksabstimmungen gibt, wie man manchmal lesen kann.

Sascha Liebermann

Andres Veiel über Joseph Beuys und das Bedingungslose Grundeinkommen

In einem Interview mit dem Tagesspiegel, „Die Kunst des Hakenschlagens“, spricht Andres Veiel über seinen neuen Film über Joseph Beuys. Darin sagt er auch dies:

„…Beuys ging ja noch weiter. Er sagte, das Denken ist eine kreative Kraft, jeder Mensch hat das Potenzial, Gesellschaft zu gestalten und deshalb hat jeder das Anrecht auf Kredit. Niemand verstand, dass er keinen Bankenkredit meinte, sondern ein bedingungsloses Grundeinkommen.“

„Robotik-Bericht: Nein zum bedingungslosen Grundeinkommen“…

…meldet EurActiv:

„In dem Dokument schlug man vor, neue Beschäftigungsmodelle zu diskutieren und die Nachhaltigkeit bestehender Steuer- und Sozialmodelle zu bewerten – „ausgehend von der Existenz eines ausreichenden Einkommens, einschließlich der möglichen Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens“.
Insgesamt 286 EU-Abgeordnete stimmten dafür dieses Konzept, 328 dagegen und acht enthielten sich. Das Konzept war ursprünglich vom Rechtsausschuss des Parlaments angenommen worden. Am Vorabend der Abstimmung betonte die luxemburgische Sozialistin noch einmal, wie wichtig eine Diskussion über die Frage sei, wie man den Bürgern angesichts schwindender Arbeitsplätze ein ausreichendes Einkommen sichern könne.“

„Heilserwartung“, „sozialpolitische Widerstände“ – und blinde Flecken

Stefan Sell, der das Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ betreibt, hat sich in einem längeren Artikel „Zwischen Heilserwartung und sozialpolitischen Widerständen“ mit den Beiträgen in jüngster Zeit zum Bedingungslosen Grundeinkommen befasst. Der Titel kommt zwar etwas reißerisch daher, das erklärt sich jedoch teils aus der Kritik an fundamentalistschen Zügen, die Sell in der Diskussion auf beiden Seiten ausmacht. Er schreibt das zu Beginn:

„Um es gleich an den Anfang dieses Beitrags zu stellen: Hier soll und kann es nicht um eine abschließende Bewertung des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens gehen (oder sagen wir besser: der vielen teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon). Zuweilen hat man in der heutzutage sowieso immer gleich von Null auf Hundert beschleunigenden Nicht-Diskussionslandschaft des „Dafür“ oder „Dagegen“ den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem, was unter dem Etikett des „bedingungslosen Grundeinkommens“ verhandelt wird, partiell fundamentalistische Züge trägt. Die einen erwarten sich davon die Erlösung von Hartz IV und dem Erwerbsarbeitsjoch unserer Tage, die anderen sehen den Totalabriss der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und ein perfides Täuschungsmanöver der Kapitalseite ante portas. Man kann aus guten Gründen die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit großer Sympathie verfolgen für den gedanklichen Grundansatz, ohne deshalb die skeptischen Stimmen und die Gegenargumente hinsichtlich einer Umsetzbarkeit verdrängen zu müssen.“

Da trifft Sell einen Punkt, der sich in der medial aufbereiteten Debatte in der Tat häufiger findet. Wenig pragmatisch wird mit dem BGE umgegangen, hochgejubelt oder verteufelt wird es allzu oft. Es gibt jedoch durchaus eine sachliche, bodenständige Diskussion, die schon länger auslotet, welche Möglichkeiten ein BGE bietet ohne Heilsversprechen zu machen. In dieser Diskussion wird auf Grenzen dessen hinzugewiesen, was sich über tatsächlich eintretende Folgen eines BGE sagen lasst, da diese ja davon abhängen, was die Bürger mit dem BGE machen. Und selbstverständlich spielt die Ausgestaltung eine Rolle. Für diese realistisch-pragmatische Haltung, die auf Grenzen des Bestimmbaren hinweist, wird man dann durchaus ebenso gescholten, denn es sei ja fahrlässig, über die tatsächlichen Folgen nichts sagen zu können. Als hätte man bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland gewusst, was aus der Demokratie wird, für ein Gelingen sprach damals nicht allzuviel angesichts dessen, dass das deutsche Volk die Schrecken des Dritten Reiches zu verantworten hatte und nicht in der Lage war, den Krieg zu beenden.

Sell schreibt über die Zustimmung unter Vorständen großer Unternehmen, die Volksabstimmung in der Schweiz, den internationalen Aufwind für die Idee und die Unterstützung aus der IT-Branche im Silicon Valley. Er referiert die Ausführungen Thomas Straubhaars, der jüngst in verschiedenen Tageszeitungen publizierte, sowie die Rezension dessen Buches durch Christoph Eisenring in der Neuen Zürcher Zeitung.

Zu Straubhaars Ausführungen schreibt er an einer Stelle:

„Und man könnte und müsste an dieser Stelle ergänzen: Und noch höhere Steuersätze würden anfallen müssen, wenn man berücksichtigt, dass in einer idealen Welt vielleicht der Normalbürger über das Grundeinkommen halbwegs abgesichert werden kann – was aber ist mit den Behinderten und den Leistungen zur Inklusion, die sie erhalten? Was ist mit Zuschlägen beispielsweise für Alleinerziehende oder andere Personengruppen, die einen höheren Bedarf haben? Und auch wenn es nervt, müsste man die Frage stellen – wie anders als über einen Staatsstreich will man die erworbenen Ansprüche an die Sozialversicherungssysteme – man denke hier nur an die Rentenanwartschaften – beseitigen, um alles zu ersetzen durch ein einheitliches Grundeinkommen?“

Was Straubhaar in seinem Buch zu diesen Fragen sagt, weiß ich nicht. Meines Wissens hat er in jüngerer Zeit deutlich betont, dass es bedarfsgeprüfte Leistungen weiter geben kann und muss, weil ein BGE sie nicht decken könne. Würde das nicht vorgesehen, würde ein BGE eben nicht leisten können, was es leisten soll: Freiräume zu eröffnen, um Entscheidungen breiter treffen zu können als heute.

Und was ist mit erworbenen Ansprüchen? Das ist eine eminent politische Frage. Das BGE könnte einen Teil dieser Ansprüche ersetzen, den Teil, der darüber hinaus besteht, nicht. Es könnte eine Umwandlung der Ansprüche angestrebt werden, wenn das politisch gewollt ist. Oder das Rentenversicherungssystem wird beibehalten, die Rente aber stärker besteuert. Wege sind viele denkbar.

Aber wie ist es mit der heutigen Rente, worüber reden wir da? Die Deutsche Rentenversicherung verfügt über entsprechende Daten (siehe hier, S. 34). So betrug die durchschnittliche Altersrente in Westdeutschland in 2015 787 € (Männer 1040, Frauen 580). Vergleicht man diese Werte mit den von Straubhaar – und früher schon von anderen – ins Spiel gebrachten 1000 Euro BGE pro Monat und Person, lässt sich leicht erkennen, dass Frauen sich erheblich besserstellen würden, Männer würden auf dem heutigen Niveau etwa verbleiben. Auf Haushalte bezogen würde sich die Lage erheblich verändern, da BGEs in einem Haushalt kumulieren, also sich addieren. Ein weiterer Effekt des BGE ist, dass es immer zur Verfügung steht, so wird der Einzelne in den Stand gesetzt, Vermögen aufzubauen, wenn er es will. In Haushalten wirkt dies noch stärker möglich und würde gerade denjenigen zugutekommen, die heute am wenigsten dazu in der Lage sind. Dafür spielt es eine entscheidende Rolle, dass ein BGE für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen hoch ist und kein Unterschied in der Höhe gemacht wird. Dann erst würde es Alleinerziehenden auch helfen.

Es gibt noch einen ganz anderen Punkt, der gegen die bisherige Rentenversicherung spricht: Sie ist erwerbszentriert und bezieht andere Tätigkeiten kaum ein. Haushaltstätigkeiten, Sorge um die Familie, um Angehörige – sie finden nur geringe Berücksichtigung. Gemäß dem Motto „(Erwerbs)Arbeit schützt vor Armut“ – was nicht stimmt – setzt deswegen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik darauf, die Erwerbsteilnahme weiter zu erhöhen, das betrifft vor allem Frauen, die meist diejenigen sind, die sich um Haushalt und Familie kümmern. Das hat jedoch zur Folge, die Anwesenheiten im familialen Nahraum zu reduzieren, weniger Zeit für die Kinder zu haben, weniger gemeinsame Erfahrungen zu machen. Denn gegenwärtig wird angestrebt, Fremdbetreuung immer früher zu nutzen. So wird indirekt Druck auf diejnigen ausgeübt, die das nicht wollen, aber sehen müssen, dass sie einen Ü3-Platz bekommen können, wenn in derselben Einrichtung auch U3-Betreuung angeboten wird. Denn die U3-Kinder wachsen in die Ü3-Plätze hinein. Was für Väter schon als Missstand gelten kann, wird durch eine solche Sozialpolitik für Mütter nun zum Leitstern. Ein BGE würde eine Abkehr von dieser Haltung erlauben und den Sorgetätigkeiten die Basis verschaffen, die sie benötigen. Warum taucht dieses Argument für das BGE bei Sell in keiner Weise auf, wo es doch von so großer Bedeutung ist?

Gegen Ende seines abwägenden wohlwollenden Beitrags schreibt Sell, indem er einen anderen Beitrag zitiert:

„Aber man sollte vorsichtig sein, wenn uns wieder einmal eine allzu einfache Lösung in Aussicht gestellt wird. So auch die Kritik bei Andreas Hoffmann in seinem Kommentar Das Grundeinkommen würde uns alle überfordern: »Je mehr ich über das Konzept nachdenke, umso mehr Fragen stellen sich mir. Es ist, als hätte sich die Tür in ein Labyrinth geöffnet. Bald taucht die nächste Tür auf. Dann noch eine. Und noch eine.« Als Beispiel: »Wie steht es mit Tarifverträgen oder Kündigungsschutz? Die Arbeitgeber könnten dann jeden sofort rausschmeißen und sagen: „Du hast ja dein Grundeinkommen.“ Wozu noch Abfindungen oder Betriebsräte? Oder Gewerkschaften? Das alles kann auf den Müllhaufen des Sozialstaats.“

Nach wessen Dafürhalten kann das auf den „Müllhaufen des Sozialstaats“? Hier entscheidet nicht eine Partei, kein Unternehmen, sondern politische Willensbildung. Wenn dieser Wille tatsächlich alles auf den „Müllhaufen“ werfen will, wird das geschehen, wenn nicht, dann eben nicht. Natürlich kann es Tarifverträge mit BGE ebenso geben, sie haben jedoch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie heute. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Tarifverträge in etlichen Bereichen heute gar nicht greifen. Die Tarifbindung lag nach Sells eigenem Verweis auf eine Erhebung in 2015 in Westdeutschland bei 59% der Beschäftigten. Weitere 21% hatten Arbeitsverträge die sich an Tarifverträge anlehnten. 20% hatten Verträge gänzlich ohne Tarifbindung. Auch mit BGE wird es Arbeitsverträge geben, wird es ein Arbeitsrecht geben – Arbeitsverhältnisse bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Wenn Betriebsräte für wichtig gehalten werden, wird es sie geben. Allerdings wird durch ein BGE ohnehin die Stellung der Belegschaften gestärkt. Das sollte nicht übersehen werden. Auch ein Betriebsrat ist nur so stark, wie er Unterstützung erfährt. Warum sollten Abfindungen nicht in Arbeitsverträgen geregelt werden können? Auch hier wieder ein blinder Fleck, weshalb taucht dieser gewichtige Aspekt in Sells Beitrag nicht auf? Straubhaar weist immerhin daraufhin.

In derselben Passage geht es mit Bezugnahme auf die Anfänge der „Hartz-Reform“ weiter:

„Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos. Es gibt die alleinerziehende Mutter, die arbeiten und ihre Kinder versorgen will. Es gibt den schlecht ausgebildeten jungen Mann, der sucht und sucht. Es gibt den Langzeitarbeitslosen, der mit physischen und psychischen Problemen kämpft. Und. Und. Und. Die Idee der Pauschale wurde still beerdigt.«“

Sell zitiert wieder den Beitrag von Hoffmann. Nun, Thomas Straubhaar spricht von 1000 Euro BGE im Monat. Werden wir konkret. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind hätten 2000, eine mit zwei Kindern 3000 Euro zur Verfügung. Wäre das eine Verschlechterung? Der hier zitierte junge Mann könnte sehr wohl weitersuchen, ohne sich den Regularien der Jobcenter unterwerfen zu müssen. Er könnte Beratungsangebote annehmen, die wirkliche Angebote sind, ohne Rechtsfolgenbelehrung wie heute. Wäre das keine Verbesserung? Würde die Befreiung von Druck nicht ihm vielleicht am meisten helfen? Zugleich ist das BGE Ausdruck eines starken Solidargefühls, weil es jedem zuallererst etwas zutraut. Auch das würde der junge Mann spüren können. Dasselbe gilt für den Langzeitarbeitslosen, der nicht mehr ausgeschlossen würde und sich angesichts des heute herrschenden Erwerbsideals als Gescheiterter sehen muss. Da sehe ich mehr Chancen als Probleme, die Probleme haben wir doch heute, nicht mit BGE.

Sell knüpft an die von Hoffmann zitierte Passage zu den Anfängen der Hartz-Reform an:

„An dem letzten Punkt könnte man etwas korrigierend ansetzen und sagen: Das Hartz IV-System hat genau deshalb so viele Probleme, weil es irgendwo hängen geblieben ist zwischen den Polen einer Einzelfallgerechtigkeit und einer unterschiedslosen Pauschalierung für alle, die aber aus fiskalischen Gründen zu niedrig bemessen wurde und ist. Und dann ist das „Grundeinkommen“ nach Hartz IV auch noch ein nicht-bedingungsloses Grundeinkommen, also an Verhaltenserwartungen und bürokratische Nachweispflichten geknüpft, die alle Beteiligten erschöpfen und einige teilweise zerstören. Aber wenn das schon so ist im Grundsicherungssystem SGB II, soll man wirklich glauben dürfen, dass das bei einem Grundeinkommen für alle ganz anders ausfallen wird?
Fragen über Fragen.“

Wenn das BGE ein gänzlich anderes Gefüge bildet und all die erniedrigenden Prozeduren des SGB II nicht enthält, dann wäre das ganz anders, sofern es nicht zu einer Sparversion eingedampft wird. Es steht außer Frage, dass es ein BGE in einer vernünftigen Variante nur geben wird, wenn die „schwarze Pädagogik“ aufgegeben wird, die den heutigen Sozialstaat durchzieht. Es erfordert eine Verbschiedung des Vorrangs von Erwerbstätigkeit, ohne diese Verabschiedung wird es ohnehin nicht kommen. Sorgen, die sich auf das BGE richten, müssten sie sich nicht genauso auf das heutige Gefüge richten? Wenn sich etwas ändern soll, muss das gewollt werden. Das ist immer so. Was dabei herauskommt, hängt von den Bürgern ab, da sind es leerlaufende, vielleicht sogar entmündigenden Vorbehalte, dem BGE Sorgen zuzuschieben, die in der Gegenwart genauso angebracht sind.

Sascha Liebermann

„Was machen wir, wenn sich zum Beispiel Pflegekräfte entschließen, weniger zu arbeiten?“…

…fragte sich laut einem Bericht von fnweb Kai Eicker-Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund in einer Diskussion mit Wolfgang Strengmann-Kuhn (MdB, Bündnis 90/ Die Grünen) über das Bedingungslose Grundeinkommen in Bensheim. Was wie eine besorgte Frage klingt, kann durchaus als Drohung verstanden werden, anders ausgedrückt: Wenn wir Menschen nicht dazu drängen, so Eicker-Wolf, Erwerbsarbeit aufzunehmen, dann werden bestimmte Aufgaben nicht erledigt. „Sicherstellen“ kann man das Erledigen von Aufgaben dann nur, wenn bei Nicht-Erwerbstätigkeit Einkommensentzug folgt. Genau das ist im heutigen Gefüge der Fall, wenn jemand keinen Arbeitsplatz findet bzw. im Leistungsbezug (ALG II) nicht bereit ist, seinen Pflichten nachzukommen. Doch, stellen wir so wirklich „sicher“, dass für alle Aufgaben, die erwerbsförmig erledigt werden sollen, sich jemand bereiterklärt, sie zu übernehmen?

Nein.

Wollen wir denn eine solche Drohung über allen schweben lassen? Würde das nicht Zwangsarbeit bedeuten? Diese Frage stellt das BGE und beantwortet sie mit Nein (wie das Grundgesetz ebenfalls). Schafft eine solche Drohung denn eine gute Ausgangsbasis dafür, Aufgaben gewissenhaft zu erledigen? Auch nicht. Was soll das also? Der Arbeitsmarkt von heute bzw. der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit wird indirekt so hingestellt, als löse er diese Fragen wie von selbst, doch das tut er nicht. Weshalb daran festhalten? Vielleicht müsste man die Perspektive auch herumdrehen: Ein BGE erleichtert es womöglich, Aufgaben zu übernehmen, die heute liegen bleiben. Darauf folgt dann wieder die Sorge, wer denn die „Scheißarbeit“ mache usw. usf.

Letzlich geht es also immer um die Frage, ob man ermöglichen will, sich engagieren zu können, in welcher Form auch immer, oder „sicherstellen“, dass dies in einer bestimmten Form geschieht – mit allen Konsequenzen, die wir heute ja erfahren.

Was die Digitalisierung bringen wird, ist nicht zu sagen, wir werden es sehen, welche Auswirkungen sie im auf die Arbeitswelt haben wird. Doch mit einer Aussage wie dieser „Alte Arbeitsplätze fallen weg, neue entstehen, aber die Arbeit geht nicht aus“ sollte man sich auch nicht beruhigen lassen. Wir wissen es schlicht nicht.

Siehe
„Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“ (und auch hier).

Sascha Liebermann

„…weil der Mensch zur Lethargie neigt“ oder: Nur lesen, was zu den eigenen Vorstellungen passt

In der Neuen Zürcher Zeitung hat Christoph Eisenring eine Rezension des neuen Buches von Thomas Straubhaar „Radikal gerecht“ veröffentlicht. Ich kenne das Buch nicht, da es noch nicht erschienen ist, es wird für diejenigen, die mit Straubhaars Überlegungen vertraut sind, womöglich keine Überraschungen enthalten (siehe meine Kommentare zur Straubhaars Ausführungen). Die Rezension ist dennoch bemerkenswert – ihrer Vorurteile und ihrer Nachlässigkeit wegen.

Eisenring wundert sich darüber, weshalb Straubhaar die verschiedenen Feldexperimente mit einer Negativen Einkommensteuer in den den USA und Kanada nicht diskutiert, denn, so Eisenring, schlage Straubhaar doch eine Negative Einkommensteuer vor (was allerdings nicht dasselbe wäre wie ein BGE). Nun sind die Befunde zu den Experimenten in Nordamerika gar nicht so leicht zu deuten, die Rezeptionsgeschichte der Befunde ist widersprüchlich, wie Karl Widerquist in einem Artikel deutlich machte. Sie ähnelt in manchem offenbar der Rezeption der Speenhamland-Gesetzgebung, die nicht selten als Beleg für das Scheitern eines BGE herhalten muss oder mancher Fehldeutung, auf die Evelyn L. Forget aufmerksam gemacht hat. Eisenring bezieht sich lediglich auf eine Quelle aus dem Jahr 1983, obwohl es etliche Untersuchungen gibt, deren komplexe Befunde genauere Sichtung verlangten. Der schon erwähnte Karl Widerquist hat dies in seinem Beitrag unternommen und schreibt S. 66 (im Schlussteil des Beitrags):

„Hopefully, Sections 2 and 3 have demonstrated that the findings of the NIT experiments are far more complex, subtle, and ambiguous than one might be led to believe by findings such as an X% decline in hours worked. But as this section shows, the complexity of the results was largely lost on politicians and members of the media to whom the findings were reported.“

Er fährt fort (S. 67):

„Results of the fourth and largest experiment, SIME/DIME, were released while Congress was debating PBJI. Dozens of technical reports with large amounts of data were simplified down to two statements: It decreased work effort and it supposedly increased divorce. The small size of the work disincentive effect that pleased so many of the researchers hardly drew any attention. Never mind that everyone going into the experiments agreed that there would be some work disincentive effect; members of Congress were appalled; and columnists across the country responded with a chorus of negative editorials decrying the guaranteed income and ridiculing the government for spending millions of dollars to find out whether people work less if you pay them not to work. “

Auf S. 69:

„Even if the public had been made to understand more of the complexities of results, as long as there is a significant political block believing that any work disincentive is unacceptable, the NIT experiments were bound to give ammunition to NIT opponents. To that extent it was a mistake for any guaranteed income supporters to agree to the ex- periments in the first place. […]

„To those who believe that low-wage workers need more power in the labor market, the NIT experiments demonstrated the feasibility of a desirable program. To those who believe all work-disincentives are bad, the experiments demonstrated the undesirability of a well-meaning program. These normative issues separate supporters from opponents of the basic income guarantee, and therefore, the NIT experiments, as long as they are discussed, will always mean different things to different people. […] It is better to understand that the NIT experiments were able to shed a small amount of light on the positive issues that affect this normative debate. They we able to indicate only that a basic income guarantee is financially feasible at a cost of certain side effects that people with differing political beliefs may take to be desirable or disastrous. To claim more would be to overstate the evidence.“

Eisenring folgt denen, die, wie Widerquist demonstriert, die Ergebnisse so rezipieren, wie sie zu ihren normativen Vorstellungen passen. Das wird den Ergebnissen aber nicht gerecht. Davon abgesehen weist er selbst darauf hin, dass die damalige Situation in den USA nicht der heutigen entsprach. Ja, wäre zu ergänzen, es war ja nicht einmal ein BGE und schon gar kein allgemeines.

Einen wunden Punkt in Straubhaars Überlegungen scheint er zu treffen, wenn er ihm vorhält, auf eine Umfrage als Beleg dafür zu verweisen, was Menschen mit einem BGE machen würden. Er wisse sicher welchen Erkenntniswert Umfragen haben. Recht hat er diesbezüglich.

Zeit Online hat einen Auszug aus dem neuen Buch abgedruckt, der ein wenig Einblick gibt:

„
Zwischen den Arbeitsanreizen jener, die staatliche Unterstützung erhalten, und den Leistungsanreizen der anderen, die staatliche Transfers durch Steuern zu finanzieren haben, besteht ein Spannungsfeld – immer, nicht nur beim Grundeinkommen. Ein hohes Grundeinkommen macht hohe Steuersätze erforderlich. Dadurch werden Anreize zu eigener Leistung geschmälert. Erwerbsarbeit wird dann weniger attraktiv. Ein niedriges Grundeinkommen lässt sich mit niedrigen Steuersätzen finanzieren. Eine geringe Steuerbelastung wirkt sich positiv auf die Leistungsanreize aus. Erwerbsarbeit wird erstrebenswerter.“ [Hervorhebung SL]

Bei aller Befürwortung eines BGE erweist sich Thomas Straubhaar hier doch einer sehr vereinfachenden Sozialmechanik verhaftet, als orientiere sich jemand in seinen Entscheidungen direkt daran, was dabei herausspringt. Der Begriff Anreiz wird wie eine Blackbox behandelt, die irgendwie wirke. Im Grunde argumentiert er wie Christoph Eisenring, der dem Menschen attestiert, dass er zu Lethargie neige. Da Straubhaar vollkommen undifferenziert Leistungsanreize und Steuersätze miteinander verknüpft, setzt das voraus, dass der Mensch nichts macht, wenn es sich nicht lohnt. Aber was heißt sich lohnen? Eine differenziertere Betrachtung von Handlungsmotivation (wie z. B. hier) würde deutlich machen, dass die Zusammenhänge komplexer sind. Es lohnt sich etwas relativ dazu, was ich als Ziel habe oder worin ich den Erfolg erkenne. Und wenn ich in jedem Fall zum BGE ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder Selbständigkeit hinzu erhalte, lohnt sich das immer. Allerdings macht es einen Unterschied, ob ein BGE immer zur Verfügung steht und nicht dem steuerbaren Einkommen zugeschlagen wird oder ob es mit diesem verrechnet wird.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland und Europa?“

Eine neue Veröffentlichung zur Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, hrsg. von Thomas Meyer und Udo Vorholt, in der Reihe Dortmunder politisch-philosophische Diskurse mit Beiträgen von Ute Fischer, Götz Werner, Christian Neuhäuser und Sascha Liebermann. Erschienen ist der schmale Band im projektverlag.