„Ein Grundeinkommen halte ich für moralisch verwerflich“…

…meint der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, und lässt erkennen, wofür er steht. Er stößt damit ins gleiche Horn wie sein ehemaliger Kollege Heinrich Alt Anfang Januar dieses Jahres (siehe auch hier). Scheele weist zu Beginn des Interviews, in dem er das geäußert hat, darauf hin, was es bedeutet, in „unserem Land“ arbeitslos zu werden. Es komme einer Entwertung gleich. Wenig später heißt es dann aber: „Man muss es nicht als Demütigung empfinden. Wenn man arbeitslos wird, hat man Anspruch auf Sozialleistungen“. Dann ist es ja nicht so schlimm, die Arbeitsstelle zu verlieren, oder doch?

Scheele trifft zwar einen wichtigen Punkt, dass nämlich Rechtsansprüche auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch heute bestehen und Bezieher tatsächlich erhobenen Hauptes diese Ansprüche geltend machen können. Doch eines sagt Scheele nicht – was es heißt, bestimmte Bedingungen erfüllen zu müssen, um diese Leistungen zu erhalten, zugleich Verpflichtungen einzugehen, deren Verletzung Sanktionen nach sich ziehen kann. Da ist es mit dem erhobenen Haupt schnell vorbei, wenn derjenige, der Rechtsansprüche hat, am kürzeren Hebel sitzt. Nicht von ungefähr möchten sich Anspruchsberechtigte diesem Zugriff der Behörden nicht aussetzen, rufen ihre Ansprüche also nicht ab, wie aus der Armutsforschung bekannt ist („verdeckte Armut“ und hier). Scheele färbt also in gewisser Weise schön, obwohl er wichtige Dinge über die Lage mancher Leistungsbezieher sagt, die zeigen, dass die Zentrierung unseres Sozialstaats auf Erwerbstätigkeit als höchstem Ziel Folgen hat. Genau das böte den Ansatz dafür, zu erklären, weshalb der Verlust des Arbeitsplatzes heute so folgenreich ist, weshalb er mit einer Entwertung der Person einhergeht. Es ist nicht der Verlust als solcher, sondern dass dieser Verlust normativ aufgeladen ist. Arbeitslos zu werden bedeutet, nichts zu leisten, also nichts beizutragen zum Wohlergehen des Gemeinwesens, daher die Entwertung. Daraus ließe sich nun problemlos folgern, wo angesetzt werden müsste, um diese Wirkungen der Arbeitslosigkeit aufzuheben: am normativen Status von Erwerbstätigkeit. Doch, was folgert Scheele? Beschäftigungsförderung sei nötig gerade für die, die es schwer haben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren:

„Wenn sie Arbeit haben, gibt ihnen das ein Stück Würde zurück. Sie können abends stolz sein auf das, was sie getan haben. Wenn Kinder im Haushalt wohnen, ist das umso wichtiger. Und selbst für einen Stadtteil ist es doch besser, wenn die Leute zur Arbeit gehen und nicht den ganzen Tag auf der Bank sitzen.“

Die Würde der Person und Arbeit stehen nicht in einem Bedingungsverhältnis. Vielmehr ist es so, dass die heutige normative Aufladung von Erwerbstätigkeit die Würde angreift, weil sie ihre bedingungslose Geltung untergräbt. Scheele spricht von daher treffend von einem „Stück Würde“, das Arbeit zurückgebe, so als ließe sich Würde aufteilen, sein Lösungsvorschlag ist also ein Irrweg. Daran wird erkennbar, dass Würde im Grunde von Arbeit gar nicht abhängt. An einer Stelle geht es auch um das BGE:

Tagesspiegel: „Die Arbeitswelt wird anspruchsvoller, gleichzeitig gibt es gesellschaftliche Tätigkeiten, die brachliegen. Ist es da nicht eine charmante Idee, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen?“
Scheele: „Nein, ich bin strikt dagegen. Ein Grundeinkommen halte ich für moralisch verwerflich. Der Staat würde sich freikaufen von seiner Verantwortung, sich um die Arbeitslosen zu kümmern. Es mag altruistische Akademiker geben, die gerne ein Leben mit Grundeinkommen führen würden. Aber die meisten Menschen, die arbeitslos sind oder in schwierigen Beschäftigungsverhältnissen stecken, wollen lieber eine ordentlich bezahlte Arbeit.“

Aber warum ist die ordentlich bezahlte Arbeit so wichtig? Der Würde wegen, wäre Scheeles Antwort und dreht sich im Kreis. Mit einem BGE kauft sich „der Staat“ ja gerade nicht frei von der Verantwortung für seine Bürger, er stellt sich ihr, ohne Illusionen aufzubauen. Dass über ein BGE hinaus immer noch politisch gestaltet werden muss, steht außer Frage. Gerade ein BGE würde der vielzitierten Würde der Person und zugleich noch der demokratisch verfassten Ordnung unseres Landes. Das aber scheint ein schwieriger Gedanke zu sein

Siehe frühere Kommentare von mir hier, hier, hier und hier.

Sascha Liebermann