„Die Lüge von der Leistungsgesellschaft“ oder zur unauflösbaren Abhängigkeit aller von allen…

…darum geht es in einem Beitrag von Stephan Kaufmann in der Frankfurter Rundschau. Darin heißt es unter anderem:

„Aber selbst wenn man Produktivität als Maßstab für Leistung anerkennt, so scheitern Betriebe und Ökonomen doch notwendig an der Frage: Welchen Beitrag hat der Einzelne zum gesamten Umsatz des Unternehmens oder einer Branche geleistet? Welcher Teil der Erlöse ist dem Pförtner zuzurechnen, welcher Anteil der Sekretärin, welcher dem Verkaufsleiter? Diese Rechnung ist laut Horn ein Ding der Unmöglichkeit.“

Diese Einsicht stellt nicht nur die Vorstellungs eines „Leistungslohnes“ in Frage, der schon immer eine Fiktion war, sie greift noch weiter. Über Kaufmanns Ausführungen hinaus stellt sich die Abhängigkeit von anderen noch umfassender dar, als es im Wertschöpfungsprozess erscheint. Nicht nur ist eine Abhängigkeit in der Gegenwart unauflösbar, sie ist auch generationsübergreifend gegeben. Denn Infrastruktur, Wissen, politische Ordnungsgefüge usw. – all dies greift über die Gegenwart, in der die Leistungsmessung vollzogen werden soll, weit hinaus. Welcher Teil des „Erlöses“, um die Formulierung aufzugreifen, kommt dem politischen Gemeinwesen zu, das die Bedingungen für verlässliches Wirtschaften bereitstellt, z. B. durch Rechtssicherheit, staatliches Gewaltmonopol, Rechtsstaatlichkeit? Welcher Teil gebührt den Bürgern, die diese Ordnung tragen? Welcher Anteil gebührt denen, die an der Schaffung dieser Voraussetzung mitgewirkt haben in der Vergangenheit? Welcher Anteil gebührt denjenigen (vor allem Familien), die Bildungsprozesse durch verlässliche und bedingungslose Hinwendung zu ihren Kindern ermöglicht und unterstützt, damit dem Gemeinwesen eine Zukunft und die Basis für Leistung gelegt haben? An diesen Fragen zeigt sich, wie sehr ein Verständnis von Leistung, das individuelle Leistungsbeträge bestimmen will, an der Realität vorbeigeht. Das heißt nun nicht, dass es auf den Einzelnen nicht ankommen, aber anders als individualistisch gedacht. Er steht immer auf den Schultern von anderen und ist selbst zugleich Schulter für die anderen. Nimmt man dies ernst, liegt es auf der Hand, ein Bedingungsloses Grundeinkommen als allgemeinen Anteil an dem gesamten Leistungsgefüge zu verstehen, zu dem es ebenso gehört, dass jeder in einem Gemeinwesen so dazugehört, wie er ist. Das Gemeinwesen ist die Ermöglichung und die Grenze der Selbstbestimmung.

Sascha Liebermann