Solidarisches vs. Bedingungsloses Grundeinkommen…

…dafür plädiert der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel. Sein Vorschlag kommt einem bekannt vor, in mancher Hinsicht erinnert er an frühere Ideen Ulrich Becks zur Bürgerarbeit. Wie sie mit einem Grundeinkommen zusammengedacht werden könnte, erklärte Beck in einem Interview im Jahr 2008. Welche Folgen hätte ein „solidarisches Grundeinkommen“ Müllerscher Denkungsart? Wenige Passagen seien dazu kommentiert:

„Deswegen ist es ein wichtiger Erziehungsauftrag unserer Bildungseinrichtungen, unsere Kinder mit unseren demokratischen Grundregeln und unseren Instrumenten der Gewaltenteilung und Partizipation vertraut zu machen und so eine schwer zu erschütternde Basis für mündige und demokratische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu legen. Hier beginnt Prävention vor jeder Form der Radikalisierung durch Extremisten.“

Dieses Ziel ist sicher unumstritten, Müller sagt aber nichts darüber, wie er das erreichen will. Davon abgesehen kann sich jemand nur dann mit etwas von solch großer Bedeutung „vertraut“ machen, wenn er es praktizieren kann. So sind Kinder und Jugendliche eben mündiger Bürger der Zukunft und diese Mündigkeit hängt nicht von Schulleistungen oder anderen Leistungsformen ab. Mündigkeit ist eine Voraussetzung der politischen Ordnung, die von ihr immer schon in Anspruch genommen wird. Sie steht nicht unter Vorbehalt. Dazu sagt Müller wenig, vor allem zieht er keine Konsequenzen daraus.

Es darf in dem Beitrag natürlich nicht das Schlagwort „Aufstieg durch Bildung“ fehlen, doch auch hier wird nichts über das Wie der Bildung gesagt (siehe stattdessen hier). Bildung von oben, wie sie kürzlich in einer Äußerung eines Geschäftsführers von Bosch, Christoph Kübel, deutlich wurde? Als sei Bildung eine einseitige Angelegenheit, als könne sie in jemanden hineinbefördert werden.

Müller schreibt, als es um das Bedingungslose Grundeinkommen geht:

„Ich halte in diesem Zusammenhang nichts von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Zumal Diskussionen um soziale Hängematten, Hartz-IV-Adel und die Vorstellung, dass sich Arbeiten nicht lohnt, wenn man es doch gut mit Stütze aushalten könne, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs noch viel zu sehr in diesem Kontext prägen. Es ist zudem meine feste sozialdemokratische Überzeugung, dass Arbeit der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe ist.“

Wäre es nicht Aufgabe eines Amtsinhabers, solchen Vorurteilen entgegenzutreten und auf die hinter den Phänomenen liegenden individuellen Problemlagen hinzuweisen? Wäre es nicht Aufgabe, herauszustellen, wie gering die Anzahl derer ist, über die er spricht? „Teilhabe“ – ein den mündigen Bürger passiv machender Begriff – ist in zwei gänzlich verschiedenen Formen möglich: 1) durch Zugehörigkeit, die mittels eines Status deutlich wird, Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsbewilligung; 2) durch einen Beitrag zu gemeinschaftlich zu lösenden Aufgabe oder in anderer Form zu Gemeinwohl, Erwerbsarbeit ist nur einer davon, wenngleich heute normativ herausgehoben. Es ist ein Syndrom der Arbeitsverherrlichung, dass die unbezahlte Arbeit nicht gesehen wird. Aus den Grundfesten der Demokratie, die Müller zu Beginn des Beitrags noch in ihrer Bedeutung betont, ist an dieser Stelle nichts übrig geblieben, sonst hätte ihn die Frage, wie eine umfassende Anerkennung der Person um ihrer selbst willen möglich sei, gerade zum BGE führen müssen.

Nun fehlt ja noch sein Gegenvorschlag zum BGE:

„Sehr wohl kann ich mir aber ein solidarisches Grundeinkommen vorstellen. Damit komme ich wieder auf meinen Gedanken zurück, dass es genug zu tun gibt. Ich bin sicher, jedem von uns fällt einiges ein, was wegen klammer staatlicher Kassen heute nicht möglich ist: Sperrmüllbeseitigung, Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreifen, Begleit- und Einkaufsdienste für Menschen mit Behinderung, Babysitting für Alleinerziehende, deren Arbeitszeiten nicht durch Kita- Öffnungszeiten abgedeckt werden, vielfältige ehrenamtliche Tätigkeiten wie in der Flüchtlingshilfe, als Lesepatin oder im Sportverein als Übungsleiter und und und.“

Der Braten ist schon zu riechen, ein solches Grundeinkommen kann es nicht ohne Gegenleistung geben.

„Ist eine Gesellschaft gerecht und solidarisch, die sich damit abfindet, dass Menschen für sich keine Zukunft mehr auf dem Arbeitsmarkt sehen, dieses Schicksal sogar an ihre Kinder „weitervererben“? Warum finden wir uns damit ab, dass abertausende Kinder in Berlin in Haushalten aufwachsen, in denen es keinen durch Arbeit geregelten Ablauf gibt, in denen es auch wenig Hoffnung gibt, aus der Hartz-IV-Falle der Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen? Wieso finanzieren wir den Ausschluss aus der Gesellschaft, anstatt uns um die Teilhabe zu bemühen? Wieso machen wir mit dem vielen in Sozialetats veranschlagten Geld aus den verwaltenden Arbeitsagenturen nicht endlich „Arbeit-für-alle-Agenturen“?“

Eine neue Form von „there is no alternative“, es gibt keine Alternative zu Leistung für Gegenleistung, Arbeit für alle ist ein Muß, Freiräume dafür, zu entscheiden, wo man wirken will, adé.

Der Beitrag hat etliche Kommentare hervorgerufen, siehe z. B. Carsten Werner „Geld und Anerkennung – für alle?“ und „Trauen Sie den Menschen die Freiheit zu!“, Stephan Haselberger „Geteiltes Echo auf Müllers Vorstoß“. Besonders reflektiert reagierte auf Müllers Vorschlag Jan Fleischhauer in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk „Unser Grundeinkommen heißt Hartz IV“. Damit ist alles gesagt.

Sascha Liebermann