„Das Kind muss weg“ – gemeinsame Erfahrungen in der Familie lassen sich nicht organisieren…

…ein Beitrag von Delna Antia-Tatić im Magazin jetzt der Süddeutschen Zeitung übernommen aus dasbiber.at.

Kürzlich kam ich anlässlich eines Vortrags über Nachhaltigkeit auf die Frage zu sprechen, wie denn eine entsprechende Familienpolitik aussehen könnte, die diesem Anspruch genüge. Als ich darauf hinwies, dass sozialpolitisch gegenwärtig alle Entscheidungen in die Richtung weisen, weniger Zeit für Familie haben zu sollen und man sich fragen müsse, wie viel Familienleben möglich sei, wenn es wenig Zeit für gemeinsame Erfahrungen gebe, stimmte der Moderator ein Lob auf die Kita ab dem ersten Lebensjahr an. Doch woran lässt sich erkennen, wann Kinder von ihrer Entwicklung her auch bereit sind, dorthin zu gehen? Nur wenn sie die Möglichkeit haben, das selbst zu artikulieren – das ist tatsächlich im Alter zwischen drei und viereinhalb Jahren der Fall. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang immer wieder, dass Eltern nicht wahrhaben wollen, wie sehr sich Kinder an Entscheidungen anpassen, die ihre Eltern für sie treffen, ohne dass sie selbst die Eltern entbehren wollen. Es wurde in der Diskussion wieder deutlich, wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen den Rahmen schafft, dass Eltern freier als heute darüber entscheiden können, wie sie mit der Herausforderung Elternschaft umgehen wollen, ohne dass das Erwerbsgebot „ruft“.

Siehe unsere früheren Beiträge zu Familie hier und hier.

Sascha Liebermann

„We should not be pushing everyone to leave the home and go the workforce“…

Eine weitreichende Äußerung Andrew Yangs, die auch hiesiger Sozialpolitik weit voraus ist, man denke nur an den forcierten Ausbau von Ganztagsbetreuung in Vorschule und Schule, wie er im Achten Familienbericht schon vorgeschlagen wurde, der bezeichnenderweise den Titel „Zeit für Familie“ hatte, der allerdings auf weniger oder keine Zeit für Familie hinausläuft.

Weitere Beiträge dazu, siehe hier.

Sascha Liebermann

„Studie zur Familienpolitik: So plump rechnet Unicef“…

…darüber schreibt Christoph Schäfer auf faz.net (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Er befasst sich mit einer vielzitierten Studie, deren Ergebnisse jüngst in den Medien kursierten, ohne dass die Studie selbst zugänglich wäre. Schäfer spießt die Kriterien auf, nach denen eine Länderrangfolge in Familienfreundlichkeit erstellt wurde, weist auf fragwürdige Vergleiche hin und gibt an einer Stelle zu bedenken, dass Familienfreundlichkeit doch am ehesten dort herrsche, wo Eltern entscheiden können, wie sie mit der Aufgabe Elternschaft umgehen wollen. Doch, wo gibt es eine Familienpolitik, die nicht normativ lenken will? In Deutschland zumindest nicht, wenn man an das Elterngeld denkt und die immer weitere Ausdehnung von Betreuungszeiten in Kitas sowie der Absenkung des Zutrittsalters. All das segelt unter der Fahne der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Altersarmut von Frauen soll durch ausgiebigere Erwerbsteilnahme vorgebeugt werden. Wo bleibt da „Zeit für Familie“, die einst der Achte Familienbericht im Titel hatte, dann aber vorschlägt, die Ganztagsbetreuung flächendeckend auszubauen, also: keine Zeit für Familie.

Sascha Liebermann

Steigerung der Erwerbstätigenquote als Hilfsmittel gegen demographische Entwicklung – was bleibt von Familie übrig?

Das muss man fragen, wenn man den Beitrag von Gustav A. Horn und Rudolf Zwiener auf Makronom und seine resümierenden Vorschläge liest.

Statistisches Bundesamt

Resümierend halten die Autoren fest, dass eine Steigerung des Erwerbspotentials, insbesondere von Frauen, Älteren und Migranten, eine Möglichkeit ist, dem demographischen Wandel zu begegnen. Was würde das praktisch heißen? Angesichts einer Erwerbstätigenquote bei Frauen, die in den letzten zehn Jahren schon deutlich zugenommen hat und im Vergleich mit anderen europäischen Staaten hoch ist, hieße das, noch weniger „Zeit für Familie“ (der widersprüchliche Achte Familienbericht heißt so), als es heute schon der Fall ist. Frauen als Mütter würden sich auf die beklagenswert viel zu häufige Abwesenheit von Vätern zubewegen. Was wäre damit gewonnen? Nur, dass Familie noch weiter hinter den Arbeitsmarkt zurücktreten soll, als es schon der Fall ist (siehe dazu auch diesen Beitrag von Stefan Sell, siehe auch meinen Kommentar hier).

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„Kinder sollen sich auch langweilen…Frühförderung heisst auch Freiraum, Freizeit, Freiheit“…

…ein interessantes Interview mit der Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag über die Bedeutung des Spiels für Bildungsprozesse, Zeit mit den Eltern und Freiräume für unbeaufsichtigtes Erkunden der Lebenswelt. Wie stark die von Margrit Stamm vertretene Haltung der aktuellen Sozialpolitik entgegensteht, lässt sich am Achten Familienbericht ersehen:

„…Notwendig ist ein bedarfsgerechter Ausbau an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen in Kindertageseinrichtungen und in der Tagespflege, der den Bedürfnissen der Kinder und Eltern entspricht und mit der lokalen Infrastruktur vernetzt ist. Erst wenn für alle Kinder Ganztagsbetreuungsplätze in hervorragender Qualität vorhanden sind, haben Eltern tatsächlich eine Wahlmöglichkeit. Die zeitliche Flexibilität der Betreuungsangebote sollte sich nach den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Eltern ausrichten. Für lange Betreuungsbedarfe im ersten Lebensjahr oder abends und nachts eignet sich (ergänzend) eine Tagespflegefamilie, die dem Kind eine familienähnliche, vertraute Umgebung bietet, besser als eine Kindertageseinrichtung, in der Kleinkinder schicht- und fluktuationsbedingtem Personalwechsel ausgesetzt sind.“ (Achter Familienbericht, 2012: „Zeit für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik“ – Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/9000, S. 137).

Von den Bedürfnissen von Kindern und Eltern zu sprechen ist in diesem Zusammenhang bloße Gleichheitsrhetorik, die die Bedürfnisse der Kinder schon vergessen hat. Sie artikulieren von sich aus bis weit in das vierte Lebensjahr hinein gar kein „Bedürfnis“, einen Kindergarten oder eine Kita zu besuchen (siehe auch „Wahlfreiheit, die sogenannte“). Es sind die Eltern, die diese Bedürfnisse äußern, unter anderem weil Erwerbstätigkeit im Allgemeinen als erheblich wichtiger erachtet wird, als Zeit für die Kinder zu haben.

Vielleicht sollte der Familienbericht in Anlehnung an dieses Zitat besser umbenannt werden in „Zeit für Erwerbsarbeit“, denn alle „Wahlmöglichkeit“, die es heute gibt, besteht auf eigenes Risiko (kaum Anerkennung in der Rentenversicherung). Gravierender noch ist die normative Degradierung von Haushaltstätigkeiten. Wer für Kinder zuhause bleibt, um ihnen einen Schonraum in vertrauter Umgebung zu gewähren, muss sehen, wo er bleibt. Nur ein Bedingungsloses Grundeinkommen weist hieraus einen Ausweg, der nicht wieder über die Individuen hinweggeht.

Sascha Liebermann