„Mutter zu werden kostet Frauen ein Vermögen“ – die gleichen Befunde, dieselben Empfehlungen wie stets – und dazu eine Studie?

Johannes Pennekamp berichtet in der Frankfurter Allgemeine Zeitung über eine neue Studie der BertelsmannStiftung, die im Titel angefügte Anmerkung zu den gar nicht überraschenden Ergebnissen macht er allerdings nicht. Man kann sich bei manchen Studien und noch mehr bei den Empfehlungen fragen, ob es denn der Studie bedurft hätte. In der Kurzdarstellung zur Studie heißt es auf der Seite der BertelsmannStiftung:

„Insgesamt bilden die Ergebnisse zum Gender Lifetime Earnings Gap und zur Motherhood Lifetime Penalty einen eindrücklichen Nachweis der immensen Ungleichheiten, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt zwischen den Geschlechtern und zunehmend auch innerhalb der Gruppe der Frauen bestehen. Diese doppelte Ungleichheit ist nicht nur ungerecht, sondern geht auch mit einer gesamtwirtschaftlichen Ineffizienz einher, die sich die deutsche Wirtschaft insbesondere angesichts des demografischen Wandels und des anhaltenden Fachkräftemangels nicht erlauben kann. Wenn Frauen – und insbesondere Mütter – nur rund die Hälfte der für Männer möglichen Lebenserwerbseinkommen erwirtschaften, obwohl sie ihnen in Leistungsfähigkeit und Bildung in nichts nachstehen, wird ein großer Teil des Arbeitskräftepotenzials nicht ausgeschöpft.

Für die Politik gibt es ein vielseitiges Tableau an Handlungsoptionen, um der doppelten Ungleichheit nicht nur Einhalt zu gebieten, sondern auch aktiv entgegenzuwirken. Die Optionen reichen von Maßnahmen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen (unter anderem durch einen kompromisslosen[!] Ausbau der Betreuungsinstitutionen), über eine Reform des Ehegattensplittings und der Minijob-Regelungen bis hin zu einer besseren Entlohnung und verstärkten tarifvertraglichen Abdeckung der als systemrelevant eingestuften Berufe.“

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Geld vom Staat kommt bei Kindern an…

…dieser Befund aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung scheint manche überrascht zu haben. Für Stefan Sell, der sich im Deutschlandfunk dazu äußerte, widerlegt sie anhaltende Vorurteile. Überraschen konnte diesen Befund nur, wer bislang vom Gegenteil überzeugt war, denn Untersuchungen mit nicht-standardisierten, sogenannten fallrekonstruktiven Verfahren fördern leicht zutage, dass dort, wo Eltern sich nicht zuerst um das Wohl ihrer Kinder sorgen, lebensgeschichtliche Sonderfälle vorliegen, Traumatisierungen, die Eltern also kaum in der Lage sind. Davor, diese Zusammenhänge nicht zu sehen, sind auch erfahrene Praktiker nicht gefeit, worauf die Studie zu Beginn gleich hinweist, siehe auch hier.

Methodisch basiert die Studie auf einem quasi-experimentellen Design und nutzt Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel, einer der großen Datensammlungen, die sehr oft für solche Untersuchungen herangezogen wird. Es handelt sich allerdings um standardisierte Daten, wie sie in der Regel durch Befragungen erhoben werden, die z. B. mit Antwortskalen oder vordefinierten Antworten arbeiten. Der Befragte kommt damit direkt gar nicht zur Geltung, nicht in seiner Sprache, nicht in der Konkretheit seiner Haltung zur Welt. Man kann auf diesem Wege also wenig bis gar nichts Konkretes über widersprüchliche Deutungen eines Befragten erfahren und schon gar nicht über die spezifische Dynamik in diesen Deutungen. Von daher gesehen sind standardisierte Verfahren gerade bezüglich des hier untersuchten Gegenstandes wenig aufschlussreich. Sie können Anhaltspunkte liefern, mehr nicht.

Seit Jahrzehnten gibt es eine differenzierte Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften, hier besonders der Soziologie, über Grenzen standardisierter und Möglichkeiten nicht-standardisierter Verfahren (z.B. Fallrekonstruktion). Beide Verfahren haben ihre Stärken in unterschiedlichen Hinsichten, es ist aber keineswegs so, dass nicht-standardisierte Daten nur Einsichten über „Einzelfälle“ liefern, wie oft zu lesen ist. Mit ihrer Hilfe kommt man so nah an die Lebenswelt heran, wie es anders nicht möglich ist. Erstaunlich genug, dass sie in der Sozialpolitikforschung nicht in der Breite eingesetzt werden.

Sascha Liebermann

Anerkennung oder Hinterfragung des status quo? Anmerkungen zu einer Studie über Armut

Vor kurzem haben wir auf eine Studie hingewiesen, die sich mit Kinderarmut befasste und dafür die Erwerbssituation der Eltern untersuchte. Entscheidend für die Einkommenssituation sei, ob die Mütter erwerbstätig sind oder nicht. Gemeinhin wird daraus der Schluß gezogen, dass die Erwerbsquote von Frauen insbesondere von Müttern erhöht werden müsse, dazu bedürfe es des Ausbaus von Betreuungsangeboten usw. Denn nur so sei Altersarmut bei Frauen vermeidbar. Für die Nachdenkseiten hat Marcus Klöckner die beiden Sozialwissenschaftler Claudia Wenzig und Torsten Lietzmann, die die Studie durchgeführt haben, interviewt. Was haben sie zu den Befunden zu sagen, welche Schlüsse ziehen sie daraus?

„Torsten Lietzmann: In Paarfamilien beispielsweise leben nahezu alle Kinder in einer abgesicherten Lage, wenn die Mutter dauerhaft Vollzeit oder Teilzeit oder geringfügig arbeitet. Wenn sie dauerhaft nicht erwerbstätig ist, ändert sich das Bild. 32 Prozent der Kinder sind dann in einer dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslage. […]

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„Wenn die Mutter nicht arbeitet, bleibt das Kind arm“…

…, wenn das so ist, liegt die Lösung nahe: ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das gerade Alleinerziehenden besonders entgegenkäme. In welche Richtung aber gehen die Ergebnisse einer Studie des IAB für die Bertelsmann-Stiftung, über die Spiegel online berichtete? „Müttern muss es erleichtert werden, arbeiten zu gehen“, so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Ergebnisse lassen sich in verschiedene Richtungen deuten und entsprechende Schlüsse ziehen. Was Dräger nicht sagt ist, welche Folgen seine Schlussfolgerung hat: weniger Zeit für Familie, für die Kinder. Diese Zeit ist aber gerade das, was es besonders braucht, wenn es ein Familienleben geben können soll, das sich nicht nur auf die Wochenenden, das Frühstück und das Abendessen bezieht. Die gegenwärtige Familienpolitik lenkt weg von Familie hin zu Erwerbstätigkeit, stärker denn je, alle etablierten Parteien sind sich einig, das zeigt ein Blick in die Programme zur Bundestagswahl. Familie ist ein Anhängsel der Arbeitsmarktpolitik, ihre Eigensinnigkeit wird nicht geachtet (siehe auch hier). Ein BGE würde hier ein starkes Gegengewicht bedeuten, ohne vorzuschreiben, was damit zu tun wäre. Aber alleine, dass die Option, mehr Zeit zuhause zu sein, dem Engagement in Erwerbstätigkeit gleichgestellt wäre, könnte viel verändern.

Sascha Liebermann