Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt…

…darum geht es im Interview mit Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie an der TU Dortmund, auf Zeit Online (paywall)Neuhäuser hatte sich bislang gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, was hat ihn dazu bewogen, seine Einschätzung zu revidieren?

„Neuhäuser: Als zweite Maßnahme würde ich mehr diskursive demokratische Elemente in Unternehmen etablieren, die Arbeitnehmer sollen mitsprechen dürfen, was Löhne anbelangt. Und als dritte Maßnahme – und das passiert jetzt auch, aber aus meiner Sicht noch zu zaghaft – sollte man den Mindestlohn anheben. Oder man sollte eine Kombination aus Mindestlohn und bedingungslosem Grundeinkommen einrichten. Das Grundeinkommen sollte ein bisschen niedriger liegen als der Mindestlohn, damit es einen Anreiz gibt, arbeiten zu gehen. Das würde den Menschen eine erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht verschaffen, um diesen Diskurs zu starten: Welche Arbeit hat eigentlich welchen Lohn verdient?“

Neuhäuser plädiert dafür, den Mindestlohn anzuheben, um Löhne nach unten abzusichern. Alternativ sei eine Kombination aus Mindestlohn und Grundeinkommen einzurichten – das sind zwei unterschiedliche Mittel, denn das eine sichert Erwerbstätige ab, Nicht-Erwerbstätige hingegen gar nicht, das andere hilft beiden. Wie verhalten sie sich zueinander? Das Grundeinkommen sollte „ein bißchen“, also wirklich wenig, niedriger sein als der Mindestlohn, um den „Anreiz“ zu erhalten, erwerbstätig zu werden. Zum einen stellt sich hier die Frage, worin er den „Anreiz“ erkennt, wenn der Unterschied nur gering ist? Damit rückt er vom Stellenwert des Lohnabstandsgebots schon weitgehend ab, das sich auf das Armutsfallentheorem gründet. Welche Art von Grundeinkommen mag Neuhäuser hier vor Augen haben, wenn es doch ohnehin so wäre, dass ein BGE immer ausbezahlt würde und jedes andere Einkommen „oben drauf“ käme und – je nach Vorschlag – besteuert würde? Das alleine würde immer bedeuten, dass jemand, der erwerbstätig wäre, auch über mehr Einkommen verfügte (BGE plus Lohn). Wozu dann noch den Abstand, der ohnehin gering sein soll? Neuhäusers Überlegungen wirken hier nicht ganz durchdacht. Wenn ein Grundeinkommen „erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht“ verleihe, wozu braucht es dann einen Anreiz? Apropos, Autonomie lässt sich stärken, aber nicht verleihen, denn sie zeichnet den Menschen aus. Verhandlungsmacht allerdings würde durch ein Grundeinkommen erheblich gestärkt, weil nun auf Erwerbstätigkeit verzichtet werden kann – anders als heute. Direkt im Anschluss an diese Passage geht es wie folgt weiter:

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„Bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland und Europa?“

Eine neue Veröffentlichung zur Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, hrsg. von Thomas Meyer und Udo Vorholt, in der Reihe Dortmunder politisch-philosophische Diskurse mit Beiträgen von Ute Fischer, Götz Werner, Christian Neuhäuser und Sascha Liebermann. Erschienen ist der schmale Band im projektverlag.