„…nur dann erledigt werden, wenn auf den Leuten ein gewisser Erwerbsdruck lastet“

Grundeinkommen.ch hat den Beitrag über das Bedingungslose Grundeinkommen und die Schweizer Debatte, der in der vorletzten Ausgabe des Spiegels (20/2016) erschienen war, online verfügbar gemacht. Der Artikel bietet eine Übersicht über die Diskussion, enthält allerdings auch manch Sonderbares. Dass in den USA die Debatte über Grundeinkommen schon ziemlich weit sei, wird da behauptet. Wo der Autor diese Debatte ausmacht, wird nicht geschrieben. Es gibt einzelne, die sich damit beschäftigen wie Robert Reich, Albert Wenger und manch andere, durchaus auch mit sehr unterschiedlichen Begründungen für ein Grundeinkommen, ob es um ein bedingungsloses geht, ist dabei nicht immer klar. So war es auch bei dem Future of Work-Kongress in Zürich, auf den sich der Beitrag teils bezieht. Meiner Wahrnehmung nach ist die Debatte in den USA in der Öffentlichkeit überhaupt nicht weit, in den großen Parteien wird sie gar nicht geführt. Vergleicht man die Lage dort, damit, dass schon vor Jahren die Parteien in Deutschland sich damit befasst und Stellung bezogen haben, verwundert die Einschätzung besonders. Auch ist die politische Kultur in den USA eine sehr andere als in Kontinentaleuropa, zumal in Deutschland. Es verwundert nicht, dass dort Libertäre das Grundeinkommen teils begrüßen, um den Staat loszuwerden, das bezeugte auch die Diskussion mit Vertretern des Cato-Instituts auf dem schon erwähnten Kongress in Zürich.

Der Autor des Beitrags argumentiert, wie in letzter Zeit viele andere, vorwiegend entlang der Digitalisierungsdebatte, verweist dabei auf Erik Brynjolfsson, der allerdings keineswegs Befürworter eines BGE ist:

„Es ist fahrlässig, zu sagen, wir geben denen Geld, und fertig“, sagt Soziologe Engler. Silicon-Valley-Vordenker Brynjolfsson meint: „Ein allgemeines garantiertes Grundeinkommen schützt zwar vor Not, nicht aber vor Laster oder Langeweile.“ (zu Brynjolfsson siehe hier)

Wolfgang Engler hat seine Einschätzung des BGE, entgegen der Ausführungen im Spiegel-Beitrag nicht erst in jüngerer Zeit geändert. Schon 2006, kurz nach Erscheinen des von Mathias Brauck erwähnten Buches „Bürger, ohne Arbeit“ erwies sich Engler als verkappter Volkspädagoge (siehe auch hier), der der Freiheit nicht über den Weg traut und ein BGE nur mit einer Bildungspflicht verbunden befürworten konnte.

Brauck schreibt an einer Stelle:

„Das ist die Kehrseite der Utopie. Dass der Raum der Freiheit des einzelnen Bürgers nicht ausgeweitet, sondern eingeengt wird. Ist es besser, wenn er den Anspruch auf Arbeit gegen das Recht auf Faulheit eintauscht?
Jenseits aller Finanzierungsfragen und Faulheitsdiskussionen ist das der eigentlich riskante Punkt. Weil kaum vorherzusehen ist, wie die Menschen reagieren.“

Gibt es heute einen Anspruch auf Arbeit? Meint Brauck etwa, das Sanktionsregime im Arbeitslosengeld II entsprechen diesem Anspruch? Zumindest kann man es als konsequente Umsetzung der Vorstellung betrachten, es sollte einen Anspruch um jeden Preis geben.

Und welches Risiko ist es denn, nicht zu wissen, wie „die Menschen reagieren“? Wissen wir das denn heute etwa, was „die Menschen“ morgen tun? Wir meinen vielleicht es zu wissen und vertrauen auf unsere Erfahrung, wirklich wissen wir es jedoch nicht. A propos Erfahrung: sie müsste dann eher Anlaß sein, in die praktische Vernunft der Bürger zu vertrauen, die schon längst ihre Leben in die eigenen Händen nehmen.

In einer weiteren Passage wird dann Clemens Fuest, der neue Präsident des Ifo-Instituts zitiert, seine Äußerung spricht Bände:

„Es klingt erst einmal gut, den Menschen vom Erwerbsdruck zu befreien“, sagt der Ökonom und Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest. „Aber die Erfahrung zeigt doch, dass die Jobs, die keiner gern macht, nur dann erledigt werden, wenn auf den Leuten ein gewisser Erwerbsdruck lastet.“

Wer sagt denn, dass die nicht gern gemachten Jobs von anderen gemacht werden müssen als uns selbst? Und falls dies keine Option ist, wer sagt, dass Druck die angemessene Option sei in einer Demokratie? Und was bezeugt es, wenn Fuest „Erwerbsdruck“ für ein probates Mittel hält, ihre Erledigung herbeizuführen? Es ist doch klar, wen dieser Erwerbsdruck trifft. Demokratie adieu, könnte hier resümiert werden, wenn so offen das Ausüben von Druck befürwortet wird. Allerdings ist diese Haltung Fuests nicht neu. Sie zeigte sich schon vor vielen Jahren anlässlich einer Veranstaltung zum Solidarischen Bürgergeld im Deutschen Bundestag.

So passt auch das Zitat direkt im Anschluss:

„Er halte, sagt Fuest, die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen für ein Elitephänomen. „Es wird vor allem von Menschen propagiert, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie besser und kreativer arbeiten, je freier sie sind. Aber das trifft auf die Mehrheit der Arbeit nicht zu. Die muss einfach gemacht werden.“ Außerdem, sagt Fuest, sei es nicht bezahlbar.“

Was Fuest für ein Elitephänomen hält, das BGE, zeigt doch vielmehr, wie elitär er denkt. Weil Arbeit gemacht werden müsse, sei, so muss gefolgert werden, Druck angemessen. Wer sagt denn, dass es dieses Druckes überhaupt bedarf, damit diese „Arbeit“ erledigt wird? Weshalb sollte in einem demokratischen Gemeinwesen nicht die Möglichkeit bestehen, solche Tätigkeiten nicht machen zu wollen? Falls daraus ein Problem erwächst, wäre nicht Druck das Mittel der Wahl, sondern eine öffentliche Diskussion darüber, dass wir eine Lösung für „notwendige Arbeit“ finden müssen, ohne Druck auszuüben. Wir müssten sie dann zu einer res publica machen.

Dass Fuest ein Ökonom gegenübergestellt wird, der das BGE befürwortet und der sogar in seiner jüngsten Kolumne sich über das Menschenbild seines Kollegen gewundert hat, ist erfreulich. Doch Thomas Straubhaars Überlegungen für ein BGE lassen immer wieder erkennen, dass sein Menschenbild nicht gänzlich anders ist, wenn er die Bedeutsamkeit von Arbeitsanreizen herausstellt, für deren Erhaltung es wichtig sei, dass das BGE nicht zu hoch ausfalle. Seine widersprüchlichen Einlassungen zur bevorstehenden Volksabstimmung in der Schweiz lassen einen eher irritiert zurück. Es liegt nicht lange zurück, da feierte er das Agenda 2010-Jubiläum und die Erfolge der Hartz-Reformen. Beruhen diese vermeintlichen Erfolge aber nicht gerade auf dem Fuest-System?

Sascha Liebermann

Das Menschenbild des Grundeinkommens…

…ist das Menschenbild der Demokratie (siehe Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland).

Woher rührt dann die Frage nach dem Menschenbild, weshalb erhält sie so großes Gewicht?

Wer regelmäßig über den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, ist alsbald mit der Frage konfrontiert, ob denn die Menschen schon so weit seien, ob es denn erst einer Phase der Vorbereitung auf das bGE bedürfe, bevor es eingeführt werden könne. Manche Grundeinkommensbefürworter, wie Wolfgang Engler (siehe auch Gespräche über morgen), fordern deswegen ausdrücklich eine Bildungspflicht. Kritiker, wie Christoph Butterwegge, Klaus Dörre und Matthias Möhring-Hesse, trauen den Bürgern nicht zu, sich gegen einen Missbrauch der Grundeinkommensidee zur weiteren Schwächung sozialstaatlicher Einrichtungen einzusetzen, wenn sie es denn für richtig halten. Selbst wenn wir Bürger einen weiteren Abbau wünschten, dann wäre auch das demokratisch legitimiert, sofern die dafür vorgesehen Verfahrenswege erfolgreich beschritten werden. Wer sich, weil ein Vorschlag missbraucht werden kann, deswegen gegen ihn ausspricht, äußert damit auch einen Vorbehalt gegen die Demokratie – eine Haltung also, die man getrost als elitär bezeichnen kann.

Missbraucht werden kann jede Idee, wenn dies aber demokratisch geschieht und der Souverän sich für einen solchen „Missbrauch“ ausspricht, ist es kein Missbrauch mehr – vielmehr entspräche dies einer Entscheidung gegen die ursprüngliche Idee. Demokratie ist nicht dann demokratisch, wenn sie die Entscheidungen hervorbringt, die bestimmten Gesinnungen entsprechen, sondern dann, wenn sie aus dem Souverän hervorgehen und von ihm getragen werden. Was sagt uns das über die Menschenbilddiskussion (siehe auch die Debatte im ZDF Nachtstudio)?

Offenbar, so müssen wir aus der verbreiteten Skepsis schließen, passt das Menschenbild in diesen Einwänden gegen das Grundeinkommen nicht zum Menschenbild der tatsächlich existierenden Demokratie, in der wir seit sechzig Jahren leben. Nicht ist es das Grundeinkommen, das aberwitzige Voraussetzungen macht oder illusionäre Hoffnungen auf den „guten Menschen“ pflegt, es sind manche Befürworter und die Kritiker, die sich über die Grundlagen der Demokratie nicht im klaren sind. Oder heißen sie diese Grundlagen nur nicht gut? Wäre es dann nicht konsequent, offen und direkt für die Abschaffung der Demokratie zu plädieren, wenn man sie nur solange haben will, wie einem die Entscheidungen passen (siehe auch „Wieder einmal: Volksentscheid am Pranger“)?

Wo vom Menschenbild, das erforderlich sei, die Rede ist, wäre zu fragen, was damit gemeint sein soll. Zielt die Frage darauf, wie sich das Handeln der tatsächlich mitten unter uns lebenden Menschen darstellt? Oder zielt sie auf das Bild, das die Handelnden sich von ihrem Handeln – also wir uns von uns selbst – machen? Oder meint sie gar, dass ein demokratisches Handeln davon abhänge, das richtige Menschenbild zu haben?

Für unser tatsächliches Zusammenleben ist das wichtigste, wie wir de facto heute schon zusammenleben – wir leben in einer Demokratie, die es ohne unsere Bereitschaft, sie zu tragen, nicht gäbe. Daran kann niemand ernsthaft zweifeln, es sei denn, er hält die Menschen doch für fremdbestimmt, unmündig und manipuliert. Damit würde ihnen aber zugleich die Verantwortung für manche Missstände abgesprochen, die wir zu beklagen haben. Hier täuschen sich manche über die Mehrheitsverhältnisse hinweg, wenn sie mit Berufung auf Meinungsumfragen glauben, die meisten Bürger seien gegen die Nutzung von Kernenergie, „Stuttgart 21“, die Rente mit 67 oder Hartz IV. Wo sind die Großdemonstrationen, wo sind die Mehrheiten, die dagegen sein sollen? Weshalb sieht man sie nicht oder kaum? Meinungsumfragen sagen gar nichts darüber aus, wie Abstimmungen ausgehen würden, wenn sie denn stattfänden. Entscheidend ist, wie Menschen handeln, ob sie sich also für oder gegen etwas einzusetzen bereit sind.

Ein Menschenbild ist nicht Ausdruck unseres Handelns selbst, sondern Resultat dessen, wie wir unser Handeln deuten. Es kann sich mit dem Handeln weitgehend decken, es kann ebenso weit davon abweichen. Jemand kann sich für sehr liberal halten und ist tatsächlich aber dogmatisch. Ein Menschenbild bringt also zum Ausdruck, wie wir unser Handeln deuten, nicht aber, wie wir tatsächlich handeln. Gleichwohl ist es folgenreich. Es trägt dazu bei, ob wir Handlungsmöglichkeiten, die tatsächlich bestehen, als solche auch wahrnehmen, ob sie für uns überhaupt als Möglichkeiten erscheinen oder wir sie gar nicht erst in Betracht ziehen. Drastisch zum Vorschein kommt dies, wenn der vielbeschworene ‚kleine Mann‘ über sich selbst spricht und sagt, es bringe nichts sich einzumischen, da ohnehin keiner auf ihn höre. So macht der ‚kleine Mann‘ sich selbst klein. Der ‚kleine Mann‘ ist nur so klein, wie er sich macht, Möglichkeiten sich zu engagieren und Dinge zu verändern, gibt es immer – die Grundeinkommensdebatte ist hierfür nur ein Beispiel unter vielen.

Zwei Wege der Entmündigung müssen wir mindestens festhalten: der eine führt über die elitäre, hochmütige Haltung, Mündigkeit den anderen abzusprechen, was durchaus auch im Gewand der Fürsorge geschieht – ein allzubekanntes Phänomen. Es ist eine Haltung, die der verwandt ist, welche Zwangshilfe befürwortet und nicht gelten lassen will, dass sich jemand dagegen ausspricht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der andere Weg der Entmündigung ist die Selbstentmündigung, in der es sich bequem leben lässt, weil sie die Verantwortung für das Bestehende immer den anderen zuschiebt. Auch dieses Phänomen ist allzu verbreitet.

Beide aber täuschen gleichermaßen darüber weg, dass heute niemandem wesentliche Entscheidungen des Lebens abgenommen werden, in privaten wie in öffentlichen Angelegenheiten. Wie die Proteste gegen „Stuttgart 21“ und andere, viel kleinere und unauffälligere Bürgerinitiativen zeigen, sind die Bürger aktiver und interessierter, als gemeinhin behauptet wird. Wohl aber nicht aktiv genug und vor allem scheint es, dass wir uns zu wenig darüber klar sind, auf Basis welcher Voraussetzungen wir heute leben. Von diesen aus ist es zum bedingungslosen Grundeinkommen viel weniger weit, als es den Eindruck macht.

Sascha Liebermann