„Papa, trau‘ Dich!“

So lautete der Titel der „Story im Ersten“ am 19. Januar. Die Sendung beschäftigte sich damit, wie Väter heute mit der Herausforderung Elternschaft umgehen. Begleitet wurden Väter, die Elternzeit nahmen – manche kürzer, manche länger – und von ihren Erfahrungen berichteten. Das hätte die Chance geboten, mehr darüber herauszufinden, wie Väter das Hin- und Hergerissensein zwischen Beruf und Familie erleben. Ansatzweise geschieht das auch, so werden zwei Väter porträtiert, die „nur“ noch halbtags berufstätig sind, um nachmittags für ihre Kinder da zu sein. Einer berichtet darüber, dass er erst seit Aufgabe seiner leitenden Funktion realisiert hat, wie stark der Druck zuvor war und wie wenig er von seiner Tochter mitbekommen hatte. Beider Frauen allerdings arbeiten Vollzeit, die „traditionelle“ Aufteilung wird also einfach umgedreht und kein Blick daruf geworfen, wie ein Familienleben aussehen könnte, für das sich beide mehr Zeit nehmen. So ist am Film ein Widerspruch erfahrbar, der leider nicht weiter filmisch aufgenommen wird. Dass es keine „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf gibt, wie der prägnante Titel eines Buches „Die Alles ist möglich-Lüge“ es auf den Punkt bringt.

Siehe auch KannMannFrau von Gabriele von Moers und „Superfrauen, Supermütter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf“

Sascha Liebermann

Die Debatte um das Betreuungsgeld als Symptom

Ausbau von Betreuungsreinrichtungen für Kinder auch unter drei Jahren, Verkürzung von Schul- und Studienzeiten, Förderung der Berufstätigkeit von Eltern, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Entscheidungen, die diese Ziele befördern, werden als Erfolge gefeiert, nicht nur in der Politik. Wir begegnen diesen „Erfolgen“ auch in der Ausweitung von Betreuungszeiten und Betreuungsaltersgruppen in Kindergärten und Kindertagesstätten (siehe Bericht Bildung in Deutschland 2010). Heute ist es nicht mehr ungewöhnlich, Kinder um 7 Uhr in die Kita zu bringen und zwischen 14 und 17 Uhr abzuholen. Zu dieser Entwicklung fügt sich auch die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit (G 8). Die Begründungen, die für diese Entwicklungen vorgebracht werden, weisen alle in dieselbe Richtung, sie gelten auch für die Kontruktion des Elterngeldes (siehe unsere Kommentare hier und hier) und für das Betreuungsgeld.

Dabei wird diese Auseinandersetzung, die jüngst zwar an Heftigkeit gewonnen hat (siehe „Zankapfel der Nation (FAZ)„), schon seit mehr als zwei Jahren geführt (siehe den offenen Brief: Betreuungsgeld ist ein sozial- und gleichstellungspolitischer Rückschritt – man beachte die Unterzeichner). Die Positionen lassen sich grob so umreißen: Auf der einen Seite wird das Betreuungsgeld als „Herdprämie“ kritisiert (wie das Bedingungslose Grundeinkommen ja auch), es verleite Frauen (obwohl es auf sie gar nicht festgelegt sein soll, siehe hier: „Subvention einer Sehnsucht“ (Spiegel online) dazu, länger von Erwerbstätigkeit fern zu bleiben, ja länger als was? Ja, länger als es diejenigen gerne hätten, denen Erwerbsarbeit das höchte Gut ist. Auf der anderen Seite finden sich diejenigen, die meinen, es dürfe nicht einseitig öffentliche Betreuung gefördert werden, auch Familien bedürfen der Unterstützung, wenn sie keine solche Betreuung in Anspruch nehmen, Stichwort Wahlfreiheit. Kürzlich erst wurde hervorgehoben, das Betreuungsgeld solle als Anerkennung für die Leistungen von Familien dienen.

Was gut klingt, ist zynisch, bedenkt man die Höhe des Betreuungsgeldes von 100 bis 150 Euro pro Kind im Monat. Treffender wäre es wohl, das Betreuungsgeld als Symptom von Familienvergessenheit zu bezeichnen. Es bringt zum Ausdruck, wie wenig uns Familien als solche wert sind (Steuerfreibeträge greifen ja erst, wenn Einkommen vorhanden ist, damit ist Familie der Erwerbstätigkeit nachgeordnet). Schon das Elterngeld, wenngleich üppiger sogar in der Basispauschale von 300 Euro, ist bei genauerer Betrachtung keine Familienförderung, sondern eng verbunden mit der Förderung von Erwerbstätigkeit. Es handelt sich um eine Leistung, die Gutverdienern entgegen kommt. Denn selbst bei Bezug des Höchstsatzes von 1800 Euro können nur dann beide Eltern sich erlauben ein Jahr zuhause zu bleiben, wenn sie über die finanziellen Rücklagen verfügen, um das Elterngeld aus der eigenen Tasche aufzustocken. Wer die Rücklagen nicht hat und dazu nur ein geringeres Elterngeld erhält, kann es sich nicht leisten. Gefördert werden also Eltern, die ein gutes Einkommen vor Bezug des Elterngeldes hatten, das sie wahrscheinlich danach wieder anstreben. Statt also Familien zu fördern, werden sie durch die Erwerbsfixiertheit des Elterngeldes bedrängt: das Elterngeld betont die hohe Bedeutung von Erwerbstätigkeit, weil sie die Gewährung am Erwerbserfolg misst und nicht bloß ein Leistung um der Person selbst willen darstellt.

Wo dieses Bedrängtwerden durchaus kritisch gesehen wird (wie z.B. hier: „Der Fischer und seine Frau“ (FAZ), die jüngste Sendung von Beckmann und den Beitrag von Wolfgang Lieb (Nachdenkseiten)), bleibt die Kritik in der Erwerbsfixierung der Gegenwart stecken. Sie ist es jedoch, die viel zur Überlastung von Familien, zur die Überforderung von Eltern beiträgt. Wer Eltern nicht dirigieren, wer nicht in ihre Entscheidungen hineinwirken will, der muss Möglichkeiten schaffen, damit sie sich unbedrängt fragen können, ob und wie sie sich der Aufgabe Elternschaft stellen wollen (siehe auch hier). Als erstes bedarf es dazu eines gesicherten Einkommens, das den Status als Person stärkt: also ein Bürgereinkommen – ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Denn nur dann können beide sich um die Kinder kümmern, aber nicht nur das. Nur durch eine solche Entlastung von Erwerbstätigkeit sind Eltern in der Lage, sich auf die vielfältigen Veränderungen und Verunsicherungen, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen, einzulassen. Nur so haben sie die Freiräume, um sich über diese Verunsicherungen auszutauschen. Ein Elternteil, der voll erwerbstätig ist, während der andere zuhause bleibt, macht ja gerade diese durchaus verstörenden Erfahrungen nicht oder nicht so intensiv. Was erzählt wird vom Partner, der zuhause ist, ist nicht erfahren. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat kürzlich in einem Radiointerview dargelegt, welche Herausforderungen auf Eltern eines Neugeborenen zukommen und wie wichtig es wäre, dass sich Väter wie Mütter die Zeit nehmen, in die neue Situation hineinzufinden. Geschieht das nicht, leiden darunter nicht nur die Kinder, es leiden auch die Eltern und ihre Partnerschaft (siehe auch einen Beitrag von Karl Heinz Brisch). Bei aller Entlastung, die in dieser Situation Verwandte, Freunde und eine gute Nachbarschaft leisten können, keine kann den Austausch der Eltern miteinander über die neue Situation ersetzen. Auf die Frühförderungspolitik angewandt: Bindung ist die Voraussetzung für Bildung (siehe auch „Erfahrung ermöglichen oder Wissen vermitteln?“).

Es ist verwunderlich, eben ein Symptom für unsere Haltung zu Familie, wie wenig solche Aspekte in der öffentlichen Diskussion aufgegriffen werden. Ebenso selten wie diese Belastung für Familien diskutiert wird, liest man über die Folgen von Ganztagsbetreuung für das nachbarschaftliche Miteinander. Zwar gehört die Sorge um den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ und Solidarität zu den Sonntagsredenvokabeln, auf einfache Fragen hingegen werden sie nicht angewandt. Dabei können Kinder gerade in der Nachbarschaft, dem unmittelbaren Lebensumfeld also, relativ früh schon unbeaufsichtigt Erfahrungen machen, sei es mit anderen Kindern, sei es im Erkunden des Nahraums als solchen. Die Wege sind kurz, es bedarf kaum organisatorischen Aufwandes und es meist auf einfache Weise zu bewerktstelligen, dass Kinder sich begegnen. Voraussetzung ist aber zum einen, dass auch Eltern zuhause sind, die ein Auge auf die Kinder haben, wenn sie im Garten oder Garagenhof oder wo auch immer spielen. Zum anderen bedarf es Kinder, die zuhause sind. Es kommt aber schon heute öfter vor, als man denkt, dass ein gemeinsames Spielen von Kindern unter drei Jahren erst am Nachmittag – nach 15 oder 16 Uhr – möglich ist. Spielplätze sind vormittags häufig ebenso verwaist wie Nachbarschaften – weil Kinder in Kitas oder von Tagesmüttern betreut werden. Diese Umstände erschweren es Kindern erheblich, die einfache Form des Miteinanders, wie sie in Nachbarschaften möglich ist, zu erfahren. Was heute Kitas als große Leistung zugeschrieben wird, wäre also einfach zu haben im eigenen Lebensumfeld – es sei denn die Kinder sollen schon Mandarin oder Russisch lernen.

Was signalisiert dieser Geist, frühe Betreuung für das Nonplusultra zu halten Kindern? Wenn beide Eltern erwerbstätig sein müssen, weil das Einkommen sonst hinten und vorne nicht ausreicht, erfahren Kinder sehr früh, wie wenig Familie vom Gemeinwesen gefördert wird. Sie verstehen zwar die Zusammenhänge nicht, sehr wohl aber erfahren sie ihre Folgen. Wenn beide Eltern erwerbstätig sein wollen (und nicht müssen), weil sie auf beruflichen Erfolg nicht verzichten möchten, stellen Eltern den Beruf de facto über die Familie, das ist nicht nur für Kleinkinder folgenreich, eine solche Haltung prägt die Familiendynamik. Welche Vorstellung von Familie wird damit vorgelebt und welche Folgen hat sie auf die Vorstellungen davon, die die Kinder einmal haben werden? Es geht hierbei also um langfristige Auswirkungen auf unser Zusammenleben, denn Entscheidungen im Leben werden von gemachten Erfahrungen bestimmt und nicht von bewussten Abwägungen. Erfahrungen leiten wie ein innerer Kompass, wie sich gerade den eigenen Kindern gegenüber täglich zeigt.

Dem Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens wird immer wieder entgegengehalten, es sei kein Allheilmittel. Nun, ein trivialer Einwand, das BGE nimmt auch nicht in Anspruch für alles eine Antwort zu bieten. Es wird aber unterschätzt, reduziert man es auf seine unmittelbaren Auswirkungen. Die Bereitstellung eines BGEs entlastet Eltern zuerst einmal direkt. Es bringt allerdings auch eine andere, dann gemeinschaftlich getragene Vorstellung von Zusammenleben, von Familie, von Individuum und Autonomie zum Ausdruck. Diese, die mittelbaren Auswirkungen wiegen mindestens ebenso schwer, wie die unmittelbaren. Ein BGE reißt die Stützpfeiler der heutigen Sozialpolitik weg und setzt andere an ihre Stelle. Damit wirkt es sich auf alles aus, was die heutige Sozialpolitik ausmacht. Eltern würden eben nicht mehr in eine bestimmte Richtung gedrängt, was heute nicht durch Geldleistungen geschieht, es geschieht durch die normative Vorstellung davon, welche Art von Leistung gemeinschaftlich wert geschätzt wird. In dem Moment – durch ein BGE -, da Familie als solche anerkannt und nicht mehr als Personalbereitstellungsinstitut für den Arbeitsmarkt betrachtet wird, ändern sich die Verhältnisse erheblich. Eltern würden dann vermutlich anders entscheiden, da nicht wenige sich zwischen Beruf und Familie hin- und hergerissen fühlen. Wenn Kinder durch ihre Eltern und die Entscheidungen, die sie dann treffen könnten, erführen, dass Familie einen eigenen Wert hat, würde sich auch das Familienbild wandeln. Ab welchem Alter, wann, wieviel und wo Kinder dann betreut werden, könnte anders erwogen werden. Wenn kritisiert wird, dass sich noch immer Frauen mehr als Männer in der Pflege und Hinwendung zu Menschen, auch in der eigenen Familie, engagieren (in Bezug auf die Grundeinkommensdiskussion siehe die Beiträge von Antje Schrupp hier und meine Replik hier), ist das eine Folge zum einen der traditionalen Arbeitsteilung, zum anderen aber auch der normativen Überhöhung von Erwerbstätigkeit, die in den letzten Jahren gerade zu- und nicht abgenommen hat. Erst wenn sie zurückgenommen bzw. relativiert wird, erst wenn das Individuum um seiner selbst und des Gemeinwesens willen Anerkennung findet, wie es ein BGE ermöglicht, werden andere Vorstellungen von Familie und ein anderes Verständnis von Fürsorge und Pflege Angehöriger Platz greifen. Dazu braucht es eine öffentliche Debatte, einen anderen Weg gibt es nicht.

Sascha Liebermann