„80 Prozent der neuen Jobs entstehen im Niedriglohnsektor“…

…so Andy Stern in einem Interview für Die Zeit. Der ehemalige Präsident der US-amerikanischen Gewerkschaft Service Employees International Union hat sich wiederholt pro Grundeinkommen geäußert. Auch dieses Mal aber bleibt das Bedinungslose Grundeinkommen – so ist es im Interview übersetzt, Stern sprach bislang meist von Basic Income – reaktiv, es ist Reaktion auf eine Entwicklung, die als Bedrohung daherkommt: Digitalisierung, Automatisierung, Rationalisierung. In diesen Passagen wird das deutlich:

„Stern: Es sind uralte Denkgewohnheiten, die dem [den BGE, SL] widersprechen. Stellen Sie sich vor, dass Trucks ohne Fahrer fahren dürfen – technisch ist das ja schon möglich. Wir sprechen hier nicht über Science-Fiction, sondern in wenigen Jahren wird das Truckfahren anschlussfrei wegfallen, also dreieinhalb Millionen Jobs in den USA. Hinzu kommen nahestehende Jobs, etwa eine Million Versicherungsmitarbeiter, ein bis zwei Millionen Reparaturwerkstätten, Tankstellen, Motels, Restaurants und so weiter. Ein Heer von Arbeitslosen – beim Wegfall von nur einem Beruf! So werden an vielen Stellen technische Lösungen schlagartig unzählige Menschen arbeitslos machen. Diese Einsicht ist schmerzhaft. Wo sollen auf die Schnelle Jobs für all diese Menschen herkommen? Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten.“

Und auch hier:

Stern: Ein Grundeinkommen hilft, dass jeder ein tragendes Standbein hat und sein Spielbein selbstständig entwickeln kann, auch wenn der Job weg ist. Wenn wir dieses Standbein nicht bedingungslos gewähren, verlieren unzählige Menschen in Zukunft völlig ihren Halt. Diese ökonomische Grundbasis sollten wir uns zugestehen. Dann kann das zentrale Credo der Arbeitsgesellschaft wieder fruchtbar sein, nämlich Arbeit als Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, weil nicht mehr der Staat die Menschen in Arbeit bringt, sondern sie ökonomisch befreit, damit sie sich selbst verwirklichen können. Die meisten Erfindungen und Geschäftsideen scheitern heute, bevor sie versucht werden, aus Angst vor dem sozialen Abstieg.“

Treffend wird beschrieben, inwiefern ein BGE hilfreich wäre, wenn diese Entwicklung einträte, es wird aber auf sie beschränkt. Es geht nur um Arbeit, Erwerbsarbeit, um genauer zu sein. Es geht um ökonomische Befreiung, wie er gegen Ende des zweiten Zitats sagt. Dass ein BGE vor allem dem Geist der Demokratie entspricht, ganz gleich welche Folgen die Digitalisierung hat, dass ein BGE dem gerecht würde, was schon heute für das Zusammenleben in Demokratien unerlässlich ist: Vertrauen in das Individuum und zugleich Loyalität zum Gemeinwesen – davon kein Wort. Damit bleibt das BGE eine Reparaturmaßnahme und erhält keine davon eigenständige Begründung (siehe auch hier und zur Bedeutung von Feldexperimenten hier).

Sascha Liebermann

„Würde der Arbeit“ oder Markt-Paternalismus?

Diesen Alternativtitel verdient die Kolumne von Michael Hermann im tagesanzeiger. Während er früher, nach seinem Studium noch vom Bedingungslosen Grundeinkommen angetan gewesen sei, sehe er dies heute anders. Weshalb?

Er schreibt:

„Anders als Ende Studium bin ich heute vom Gegenteil überzeugt. Wahre Kreativität beruht auch in der Möglichkeit des Scheiterns. Sie erblüht am vollsten, wenn Netz und doppelter Boden weggeräumt sind. Der Mäzen hat bei mir nie angeklopft, und das ist gut so. Erst dies liess mich die Kraft entdecken, die aus Zeit- und Finanzierungsdruck entstehen. Gäbe es keine Abgabetermine wie etwa für diese Kolumne hier – manches Blatt wäre weiss geblieben, mancher Gedanke nie gedacht und manche graue Stunde vertrödelt worden. Gelegentlich braucht es den sanften Stoss ins kalte Wasser.“

Dem ersten Satz zu widersprechen wäre aberwitzig. Ein Leben ohne Scheitern gibt es nicht, denn Gelingen und Scheitern sind Geschwister im menschlichen Handeln. Der Mensch muss sich entscheiden, er steht stets vor Handlungsalternativen, so dass Gelingen und Scheitern immer nahe beieinander wohnen. Mit Scheitern ist hier wahrscheinlich, so verstehe ich es zumindest, nicht Scheitern im Sinne von Versagen gemeint, wie es uns im Alltag wertend begegnet. Scheitern im Sinne des schlichten Misslingens oder des Umstands, dass eine Entscheidung nicht die erwünschte Lösung erbracht hat.

Die dann von Hermann gezogene Schlussfolgerung allerdings ist gar nicht zwingend. Ein BGE würde das Scheitern gar nicht beiseite räumen oder aus der Welt schaffen, es würden den Raum des Scheiterns weiten, weil nun auch Handlungsalternativen in Betracht kämen, die nicht an Einkommenserzielung gebunden wären. Insofern handelt es sich um ein beinahe klassisches Missverständnis. Hermann verschmilzt zwei Dimensionen von Scheitern, die nicht zusammengehören: das Scheitern daran, Einkommen zu erzielen auf der einen, das Scheitern daran, etwas Sinnvolles zu tun, das Anerkennung findet, auf der anderen Seite. Das BGE würde, weil es das zweite vom ersten entbindet, den Raum des Scheiterns erweitern. Heute ist dieser eingeengt. Es würde aber zugleich die Gefahr des ersten Scheiterns mildern, dass existenzbedrohend werden kann, weil es Einkommensmangel hervorbringt. Hermanns Vereinseitigung führt ihn dann zu einer Verklärung der Kreativität aus Not und Druck. Wir könnten auch andersherum schließen: Welcher Unsinn wäre nicht entstanden, wenn es diese Not nicht gegeben hätte.

Die Verwirrung schreitet in der nächsten Passage voran:

„Dies gilt auch in ganz anderem Kontext. So zeigen Erkenntnisse aus der Entwicklungs­ökonomie, dass bedingungslos verteilte Entwicklungsgelder sich gern in Bier verflüchtigen und in Dinge wie DVD-Rekorder investiert werden. Fair verzinste Kredite dagegen werden viel eher für Zukunftsinvestitionen etwa im?(sic) eigenen Landwirtschaftsbetrieb verwendet.“

Hier hätte man doch gerne Belege gehabt. Für Projekte zum Grundeinkommen wie in Namibia oder cash-grants wie in Indien gibt es diese Belege nicht. Siehe die folgenden Beiträge dazu in der New York Times, des MIT (Debunking the Stereotype of the Lazy Welfare Recipient) sowie die Vorträge von Michael Faye und Guy Standing an der Future of Work-Konferenz. Zur Frage der Arbeitslosenfalle, siehe Georg Vobruba und Sonja Fehr.

Hermann fährt fort:

„Egal, wo wir uns auf der Welt befinden: Es ist das? (sic) Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, das schöpferische Kraft entfalten lässt. Es ist nicht nur besonders befriedigend, etwas zu schaffen, das Anerkennung bekommt. Oft ist es die Nachfrage, die zu Innovation anregt. Mit einem Grundeinkommen dagegen würden indirekt auch Tätigkeiten und Angebote subventioniert, die eigentlich einschlafen müssten, damit auf ihrem Boden Neues entsteht.“

Dass Angebot und Nachfrage ein hilfreiches Prinzip ist, wo es um standardisierte Massengüter geht, steht außer Frage. Aber gerade Produkte, also Problemlösungen, die von weitreichender Bedeutung sind und zuerst nicht in ihrer Tragweite erkannt wurden, brauchen länger, sofern sie sich überhaupt diesem Prinzip zufolge durchsetzen. In anderen Bereichen funktioniert es gar nicht, z. B. im Bildungswesen, weil Forschung und Lehre zugrunde gingen, wenn sie sich an Angebot und Nachfrage orientieren müssten (siehe hierzu „Not macht erfinderisch – aber nicht in der Wissenschaft“ von Thomas Loer). Die grundsätzliche Frag ist hier, nach welchem Maßstab entschieden werden soll, dass etwas „einschlafen müsste[n]“? Hermann behauptet hier einfach, dass das eine Prinzip die beste Lösung darstelle, das ist dogmatisch.

Und dann heißt es:

„Doch wie sieht es mit den vielen aus, die als Angestellte diese Freiräume nicht besitzen? Wie steht es um die, die innerlich gekündigt haben? Hier geht es um fehlende Anerkennung, um?(sic) Leerläufe und Willkür in hierarchischen Strukturen oder ganz einfach um unzumutbare Arbeitsbedingungen. Diese Herausforderungen lassen sich mit einem Geldregen nicht beheben. Unsere Gesellschaft muss sich nicht von der Logik des Erwerbseinkommens befreien, sie muss Organisationsstrukturen schaffen, welche die Arbeitnehmenden ermächtigen und ihnen ihre Würde zurückgeben.“

„Unsere Gesellschaft muss“…hier wird nun der oben geschmähte Eingriff beschworen. Wer ist denn die Gesellschaft? Meint er auch Gesetze? Auch reduziert er die Unzufriedenheit mit einem Arbeitsplatz auf ein Anerkennungsdefizit. Es könnte auch schlicht die Sinnlosigkeit einer Aufgabe sein, die jemanden frustriert oder enttäuscht. Wenn er aber partout lieber etwas anders machen möchte, dafür aber kein Einkommen erhielte, ist sein Freiraum heute erheblich beschränkt. Das BGE, bei dem es nicht nur oder nicht einmal vor allem um Geld geht, würde genau das tun, ohne lenkend einzugreifen und dem Handeln eine Richtung zu geben. Auch geht es nicht um die Würde der „Arbeitnehmenden“, es geht um die Würde der Bürger und derer die einen legalen Aufenthaltsstatus haben. Das ist viel breiter.

Abschließend offenbart sich nochmals die Einseitigkeit:

„Bedingungslose elterliche Liebe und Fürsorge sind die Grundlage für die Entwicklung eines Kindes. Bildungsangebote, die für alle kostengünstig zugänglich sind, schaffen Freiräume für die Entwicklung Jugendlicher. Zur Würde des Erwachsenwerdens gehört jedoch der Moment, in dem man lernt, auf den eigenen Beinen zu stehen. Alle, die mit Kopf und Händen einen Lohn verdienen, mit dem sie sich und ihre Familie ernähren können, sind auf eine besondere und reife Weise frei.“

Die Engführung auf Erwerbsarbeit ist erstaunlich angesichts dessen, dass er selbst auf das hinweist, was für ein Leben elementare Erfahrung darstellt: die Abhängigkeit von anderen: Zuerst sind es die Eltern und ihre bedingungslose Liebe, es ist aber auch das Gemeinwesen, das den Bürgern als Bürgern diese bedingungslose Anerkennung in der Demokratie gewährt; es ist die Loyalität der Bürger wiederum, von der das Gemeinwesen, aber auch jeder Einzelne abhängig ist und zuletzt das Vertrauen darein, dass andere sich einbringen wollen, dazu gehört auch, aber nicht nur Erwerbsarbeit.

Weiter:

„Arbeits­verhältnisse, die dies zulassen, müssen wir schaffen. Die Faszination für das bedingungslose Grundeinkommen hingegen lebt von der beinahe kindlichen Fantasie einer Rückkehr in eine unbeschwerte Welt der Fürsorge und Geborgenheit. Sie will das Gegenteil von Ermächtigung. Denn Ermächtigung bedeutet, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Sie will Entmündigung.“

Wie kommt er darauf? Weshalb sollte das BGE die Verantwortung für das eigene Handeln nehmen? Wo Verantwortung auf Geldverdienen reduziert wird, muss mit der Einkommenssicherheit des BGE natürlich jegliche Verantwortung abhanden kommen. Doch ist das ein realistischer Blick auf die Lebensverhältnisse? Woher stammt die Verantwortung der Bürger, der Eltern, die für ihre „Leistung“ kein Einkommen erhalten?

Wie stark der Markt-Paternalismus einer bevormundenden Erziehung gleichkommt, zeigt die Abschlusspassage:

„…Wenn Computer immer mehr Dinge immer besser machen als Menschen, dann droht uns ein Leben, das von der Kindheit über die Jugend direkt ins Rentenalter übergeht. Es droht eine Welt, in der es das Freiheitsgefühl, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen, womöglich nicht mehr gibt. Die grosse Herausforderung ist nicht, bereits heute ein Grundeinkommen für diese Zeiten zu schaffen. Die Herausforderung ist, Strukturen zu schaffen, welche die Menschen heute und auch dann noch zu ermächtigen vermögen.“

Wo ist das Problem? Wir haben die Strukturen in Gestalt der republikanischen Demokratie, sie ermächtigt die Bürger, weil sie die legitimatorische Quelle der Demokratie sind. Es ist eine Selbstermächtigung. Die Gegenwart ist viel weiter, als Hermann meint, doch wird sie unterschätzt. Es bedarf keiner Volkserziehung, um zum mündigen Bürger zu gelangen, es reicht, die Gegenwart ernst zu nehmen.

Sascha Liebermann

Grundeinkommen individualistisch? Ein Missverständnis

Thomas Straubhaar hat in einem Beitrag für Die Welt im vergangenen Mai, „Warum Grundeinkommen gut zu den Piraten passt“, die Befürwortung eines Bedingungslosen Grundeinkommens durch die Piraten kommentiert. Darin findet sich die folgende Passage.

„…Das Grundeinkommen ist ein zutiefst individualistisches Konzept. Deshalb passt es so gut zu den Piraten. Weil das Grundeinkommen bedingungslos gewährt wird, verzichtet es auf jeglichen Paternalismus. Niemand macht Sozialtransfers an bestimmten Verhaltensweisen, Lebens- oder Familienformen fest. Niemand überprüft, ob es gute oder schlechte Gründe für eine Unterstützung gibt…“

„Individualistisch“? Zumindest ist diese Bezeichnung missverständlich, durch den „-ismus“ wird das Individuum vom Gemeinwesen separiert, beinahe als stünden sie gegeneinander. Zwar richtet sich das BGE in der Tat ans Individuum, aber nicht zu Lasten des Gemeinwesens, vielmehr zu seiner Stärkung. Das  Individuum als Bürger existiert nicht ohne ein Gemeinwesen, es wächst aus ihm hervor, aus Familie und politischem Solidarverband. Gemeinschaft ist Bedingung von Individuierung. Insofern sind beide notwendig aufeinander verwiesen, das eine ist nicht ohne das andere. Als Einkommen, das vom Solidarverband Gemeinwesen bereitgestellt wird, ist das BGE eben nicht nur auf das Individuum gerichtet, wie es in Wendungen wie „von der eigenen Hände Arbeit zu leben“ zum Ausdruck kommt. Ein BGE anerkennt, dass dieses Individuum von der Unterstützung des Gemeinwesens abhängig ist, damit es sich für das Gemeinwesen entscheiden kann. Individuen gibt es nicht ohne Gemeinwesen und anders herum gilt das auch. Es geht um einen elementaren Zusammenhang.

Weiter heißt es im Beitrag von Thomas Straubhaar:

„…Die Höhe des Grundeinkommens festzulegen, ist eine politische Entscheidung. Dabei gilt ein äußerst einfacher ökonomischer Zusammenhang: Ein hohes Grundeinkommen bedingt hohe Steuersätze, ein niedriges Grundeinkommen ermöglicht tiefe Steuersätze. Hohes Grundeinkommen und hohe Steuersätze verringern den Anreiz zu arbeiten, tiefes Grundeinkommen und tiefe Steuersätze verstärken den Anreiz zu arbeiten. Je höher der Anreiz zu arbeiten, um so einfacher wird das Grundeinkommen zu finanzieren sein, je geringer die Arbeitsanreize, um so weniger wird das Grundeinkommen finanzierbar sein…“

Das simplifizierte Anreiztheorem ist nicht in der Lage, Eigeninteresseverfolgung und Gemeinwohlbindung als Momente ein und derselben Handlungsmotivierung zu betrachten. Es reißt sie auseinander und setzt folgerichtig Egoismus auf die eine, Altruismus auf die andere Seite. Nicht Einkommenssicherheit, wie so oft, Steuerbelastung wird hier zum Beweggrund, nicht oder weniger zu arbeiten. Weshalb engagieren sich Menschen dann ehrenamtlich, wenn es sich doch nicht lohnt? Man könnte hier fragen, ob es überhaupt die Steuerbelastung ist, die für die Motivierung von Handeln eine Rolle spielt, ob nicht vielmehr die Steuerart zu betrachten wäre. Inwiefern trägt eine Steuer wie die Einkommensteuer, die nicht fragt, was mit Einkommen getan, wofür es eingesetzt wird (Investition oder Konsum), die sich einzig daraus rechtfertigt, vom verfügbaren Einkommen abzuschöpfen, inwiefern trägt sie zu einem bestimmten Gerechtigkeitsempfinden bei? Für ein Gemeinwesen ist es doch entscheidend, was Menschen tun, wie sie handeln und dass zwischen Bereitstellung von Leistungen und Verzehr ein Unterschied gemacht werden muss. Weshalb aber schon die Bereitstellungsphase besteuern, was die Einkommensteuer tut? Weshalb nicht erst den Verzehr und nur ihn besteuern? Die ganze Diskussion um Steuergerechtigkeit in Deutschland stellt diese Frage kaum. Der Blick richtet sich zu sehr auf das „Das“, das Einkommen, und nicht auf das „Wozu“, Leistungserstellung oder Verzehr. Damit wird gerade ein Phänomen bestärkt, was immer wieder beklagt wird, dass die Leute so sehr auf Geld, Geldverfügung, Geldhaben achten würden. Wer daran etwas ändern will, muss eine Diskussion über das Wie der Steuerabschöpfung führen.

„…Das Grundeinkommen ist nichts anderes als ein Steuerfreibetrag in Höhe des Existenzminimums – so wie er bereits heute in Deutschland allen gewährt werden muss. Damit ist auch ein anderer Vorwurf entkräftet, nämlich dass auch Gutverdienende das Grundeinkommen erhalten. Sie „finanzieren“ diesen Transfer schlicht durch die Bruttobesteuerung ihrer Einkommen. Im Gegenzug erhalten sie eine Entlastung durch das auch ihnen ausbezahlte Grundeinkommen. Im Endeffekt bleiben sie aber immer noch Steuerzahler. Somit gilt auch beim Grundeinkommen, dass wer besser verdient, netto immer noch mehr in die Staatskassen abführen muss, als jene, die weniger verdienen.“

Diese Betrachtung ist insofern angemessen, als Steuerentlastung (über den Freibetrag) und Steuerschuld in einem definierten Zeitraum (z.B. in einem Jahr) ins Verhältnis gesetzt werden. In zweierlei Hinsicht allerdings ist diese Äußerung schief. Es ist das zu garantierende Existenzminimum, aus dem sich Transferleistungen auf der einen, Steuerfreibetrag auf der anderen Seite herleiten – nicht umgekehrt. Deswegen ist das BGE auch kein Steuerfreibetrag, wenngleich es technisch so betrachtet werden kann. Von der Seite der Rechtfertigung ist es eine Einkommensgarantie, die das Gemeinwesen seinen Bürgern bereitstellt, weil sie Bürger sind – es ist also eine Leistung, die sich daraus herleitet, dass das Gemeinwesen Zweck um seiner selbst willen ist und deswegen seine Angehörigen schützen muss. Straubhaar spricht hier interessanterweise nur von der Einkommensteuer, aus der „Gutverdienende“ das Grundeinkommen finanzierten. Dabei fällt unter den Tisch, dass indirekte Steuern wie z.B. die Mehrwertsteuer etwa die Hälfte des Steueraufkommens ausmacht. Letztlich ist auch das noch ungenau, weil Ausgaben jeglicher Art eines Unternehmens, aus den Einnahmen bestritten werden müssen, deswegen die Ausgaben auch in den Preisen für Güter und Dienste landen müssen. Insofern ist die Einkommensbesteuerung nur formal relevant, praktisch wirksam wird sie in den Preisen.

Derselbe Thomas Straubhaar, der sich hier für ein Grundeinkommen ausspricht, feierte zugleich die vermeintlichen Erfolge der Hartz-Gesetze. Sonderbar.

Sascha Liebermann

Leistung statt Status? – Überraschende Argumente eines einstigen BGE-Befürworters

Christoph Schlee, langjähriger Grundeinkommensbefürworter, schreibt in seinem Beitrag „Grundeinkommen, nicht bedingungslos“ darüber, weshalb er heute ein Bedingungsloses Grundeinkommen doch nicht für eine so gute Idee hält. Mittlerweile gibt es auch Kommentare zum Beitrag.

Meine Kritik möchte ich auf die Maxime: Status statt Leistung (siehe auch hier) reduzieren, denn aus ihr lassen sich alle Argumente ableiten. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen rechtfertigt sich vor dem Hintergrund unserer politischen Ordnung. Es bringt zum Ausdruck, was ihre Grundlage heute schon ist: die bedingungslose Anerkennung des Souveräns, der Staatsbürger um ihrer selbst und der politischen Gemeinschaft willen. Ein Gemeinwesen muss sich, das gilt auch heute, darauf verlassen können, dass sich jeder seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten gemäß einbringt, ohne aber bestimmen zu können, worin dieses Einbringen besteht. Wo nun notwendige Leistungen nicht erbracht werden, gibt es in einem demokratischen Gemeinwesen – auch das gilt für heute gleichermaßen – keinen anderen Weg, als darüber öffentlich zu diskutieren. Dass eine Bedarfsprüfung für Bedarfe oberhalb eines BGEs sich anders darstellte als heute, habe ich hier dargelegt. Jegliche Beschränkung eines Grundeinkommens auf spezifische Gruppen, auf Bedürftige (oder Arme) oder seine Fassung als Prämie für erbrachte Leistung verkehrt seinen Sinn. So würde es im heutigen Missstand verharren, in dem Erwerbstätige Vorrang vor Bürgern haben.

Sascha Liebermann

Vorrang von Erwerbstätigkeit – Abwertung von Familie

In den letzten Wochen habe ich mehrere Beiträge dazu verfasst („Die Debatte um das Betreuungsgeld als Symptom“, „Eltern als Störung“, „Familienvergessen – auch in der Schweiz ein Phänomen“), welche Vorstellungen von Familie die öffentliche Debatte prägen und welche Konsequenzen damit für das Gemeinwesen verbunden sind. Grund dafür war unter anderem das Phänomen, dass wir es mit einer in sich gegenläufigen Entwicklung in der Diskussion über Familie zu tun haben. Auf der einen Seite wird Erwerbstätigkeit von Eltern mehr denn je gewünscht, durch das Elterngeld auch prämiert, während Eltern, die sich dafür entscheiden zuhause zu bleiben, nicht nur Nachteile in Kauf nehmen (z.B. für die Rente). Öffentlich gelten sie als hinterwäldlerisch, traditional, rückwärtsgewandt, emanzipationsvergessen usw. Es gilt als selbstverständlich, nicht länger als unbedingt nötig, auf die Rückkehr in den Beruf zu verzichten. Das ist auch an den gewünschten Betreuungszeiten in Kindertagesstätten und -gärten abzulesen. Auf der anderen Seite wird aber nach wie vor Familie hochgehalten, ihre Bedeutung betont und ihre Förderung als wichtige Aufgabe herausgestellt. Dieses Bekenntnis zu Familie bleibt aber leer, wenn zugleich die Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit verstärkt wird (da ist auch UNICEF keine Ausnahme). Denn was anderes als eine Verstärkung dieses Vorrangs ist es, wenn Eltern früher denn je zurück in Erwerbstätigkeit drängen?

Auffällig ist an der Diskussion über Kindertagesstätten, dass es in der Regel nur um die direkten Auswirkungen auf Kinder geht ( „Wie stressig sind Krippen für die Kinder?“, „Wo bleiben die guten Krippen?“). Von den Folgen, die die Ausweitung der Betreuung auf das Familienleben, die Vorstellungen von Familie und das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern hat, wird wenig bis gar nicht gesprochen.

Richtet man seinen Blick auf Famlie als Ganzes, fällt ein anderer Mangel besonders auf: der an frei verfügbarer, offen gestaltbarer Zeit, die in der Familie verbracht wird. Grund für diesen Mangel ist nicht selten die große Identifizierung mit beruflichem Erfolg und das Empfinden, nur durch Erwerbstätigkeit Anerkennung zu erfahren – das gilt heute für Väter wie Mütter. Dem entspricht die Politik der letzten Jahre, die dem Wandel Ausdruck verliehen hat, der schon länger vor sich geht und dessen Zeichen Familienvergessenheit ist. Was heißt das konkret? Schon das Hineinfinden in die Elternposition, in die Aufgabe der Elternschaft, vor wie nach der Geburt eines Kindes ist durch die Fixierung auf Erwerbstätigkeit erschwert. Denn, um sich auf die Eigendynamik von Familie einlassen zu können, brauch es auch Zeit, Offenheit für das Neue und Unbekannte. Eltern zu sein ist mit Umbrüchen und Verunsicherungen verbunden – der Volksmund weiß das. Für Kinder verantwortlich zu sein, so könnte man zuspitzen, ist keine Routine, sondern dauerhafte Krise. Sie zuzulassen und durchzustehen erfordert Aufmerksamkeit – und zwar eine, die möglichst wenig abgelenkt ist durch anderes. Je mehr Ablenkung durch berufliches Engagement, desto schwerer ist es, sich einzulassen. Die Familienpolitik und Sozialpolitik hat hier keine Verbesserungen, sie hat Verschärfungen herbeigeführt. Was allerorten beklagt wird, das Fehlen von Betreuungsplätzen für Kinder, ist keine Lösung für diese Herausforderung. Erfolgt dieser Ausbau ohne zugleich die Möglichkeiten dafür zu verbessern, für die Kinder zuhause zu bleiben, wird der Vorrang von Erwerbstätigkeit weiter verstärkt. In Abwandlung eines sozialwissenschaftlich gebräuchlichen Schlagworts könnte man von der Beschäftigungsfalle sprechen.

Alle Parteien unterstützen diese Entwicklung, manche stärker – wie die Grünen, die Linke und die SPD – auch die Befürworter des Betreuungsgeldes, bedenkt man den lächerlichen Betrag, um den es geht. Politiker halten es für progressiv nach kurzer Auszeit für den gerade geborenen Nachwuchs wieder in ihr Amt zurückzukehren (z.B. hier und hier), sie leben noch vor, wie wunderbar Familie und Beruf vereinbar sein sollen – und kehren nach einer Auszeit von wenigen Monaten in ihr Amt zurück. Dabei geht es in der Frage, wie wollen wir Familien unterstützen, um eine von großer Bedeutung mit langfristigen Folgen.

Nicht nur hat dies Auswirkungen in der Gegenwart, sie reichen weit in die Zukunft, sofern diese Entwicklung anhält. Anlässlich eines Vortrags zum Grundeinkommen kam ich kürzlich darauf zu sprechen, wie sich diese Entwicklung wohl auf die Vorstellungen von Familie bei Kindern auswirken wird, und zwar nicht nur bei denjenigen, die früh betreut werden (also unter 3 Jahren), sondern auf alle. Denn Ganztagsbetreuung im Kindergarten nimmt ebenfalls zu, Ganztagsschule wird als wichtiges Ziel gehandelt. Nicht nur verwaisen Nachbarschaften tagsüber, wenn Kinder fern ihres unmittelbaren Lebensumfeldes betreut werden. Die Betreuung erschwert es auch, dass Kinder sich ihren nachbarschaftlichen Lebensraum geduldig erschließen können. Solche Erfahrungen freien, unbeaufsichtigten Herumtollens und Erkundens der unmittelbaren Umgebung ermöglichen zugleich Erfahrungen von Selbständigkeit. Dafür bräuchte es keine Frühförderprogramme – aber den Freiraum und Eltern, die ihn wahrnehmen. Solche Erfahrungen finden nicht in einem institutionell abgesteckten Rahmen statt (wie bei Kindertagesstätten und Ganztagsschulen unter ständiger Beaufsichtigung). Noch weiter reichen allerdings die Folgen für die Vorstellung von Familie. Wenn Kinder, so meine These im Vortrag, mehr Zeit in Einrichtungen verbringen als zuhause, wenn sie also erheblich mehr Zeit mit Betreuungspersonen verbringen als mit den eigenen Eltern (was nach Lebensphasen sehr unterschiedliche Bedeutung hat), dann kommt das einer Entwertung von Familie gleich. Wir fördern also eine Vorstellung von Familie, in der für diese kein Platz mehr ist. Sie ist bloßes Anhängsel von Erwerbstätigkeit, gehört in die „Freizeit“. Wenn Kinder diese Entwertungserfahrungen machen, wie werden sie zu Familie stehen? Wenn sich die Eltern die Zeit nicht mehr nehmen, nehmen wollen oder nehmen können, die für ein lebendiges Familienleben notwendig ist, wie wird Familie der Zukunft dann aussehen?

Eine Zuhörerin meldete sich ob meiner These verärgert bzw. empört zu Wort. Sie sei genau so aufgewachsen, wie ich es beschrieben habe und wolle es mit ihren Kindern genauso machen. Dann müsste es weiterhin Krippen geben usw. Ob das nicht durch ein Grundeinkommen gefährdet sei? Zum einen habe das eine mit dem anderen nichts zu tun, es hänge schlicht vom politischen Willen ab – entgegnete ich. Zum anderen aber wäre es fahrlässig für ein Gemeinwesen, diese Entwertung von Familie zu betreiben. Es gehe nicht um Diffamierung und Anklage, sondern um die Vorstellung von Familie, die wir als Gemeinwesen haben und fördern wollen. Gibt man ihr keinen Raum und schützt sie in ihrer Eigendynamik nicht, dann kann Familie nicht das sein, was sie im innersten auszeichnet. Wir müssen uns offen fragen, was die Folgen dieses Vorrangs von Erwerbstätigkeit sind. Es hat etwas Heuchlerisches, sich auf der einen Seite über mangelnde Solidarität, fehlenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, den Zerfall des Gemeinwesens usw. zu beklagen, wenn auf der anderen Seite nichts dafür getan wird, die Orte zu stärken, an denen Gemeinschaftsleben bedingungslos praktiziert werden kann: Familie – und bürgerschaftliches Gemeinwesen als Zwecke um ihrer selbst willen.

Das Bedingungslose Grundeinkommen würde zwar Eltern nicht mehr in eine bestimmte Richtung dirigieren, trotzdem enthöbe uns das nicht der Frage, welches Handeln wir ausdrücklich fördern wollen. Immerhin böte ein ausreichend hohes BGE auch die Möglichkeit, Betreuungsplätze privat zu organisieren, sofern es keine öffentlichen Betreuungsplätze gäbe. Diese Diskussion zeigte sehr deutlich, dass mit einem BGE keineswegs alle Fragen – was auch kaum ein seriöser Befürworter behauptet – beantwortet wären. Es wirft andere Fragen auf und stellt unsere heutigen Antworten in Frage z.B. die nach dem Ausbau von Ganztagsbetreuung. Das scheint mir eine mächtige Seite des BGE zu sein, Selbstverständliches auf einfache Weise zu hinterfragen und dadurch andere, gangbare Wege aufscheinen zu lassen, die wir heute für verschlossen halten. Dadurch verunsichert der Vorschlag eines BGE erheblich, bringt Vertrautes ins Wanken – und lässt dadurch Neues oder noch nicht Wahrgenommenes aufscheinen.

Sascha Liebermann

Nachtrag 4. Juni: Wenig überraschend hat die gestrige Sendung bei Günther Jauch zu diesem Thema (auch auf Youtube verfügbar) die Fragen nicht aufgegriffen, die aufgegriffen werden müssten. Auch Kommentare zur Sendung erweisen sich da als wenig besser, z.B. in der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Wer hat was vom Grundeinkommen?

In der jüngsten Sendung von Markus Lanz (ZDF, 17.5.) war der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, zu Gast. Lanz setzte damit fort, was im letzten Jahr nach den ersten Erfolgen der Piratenpartei zu beobachten war – Vertreter der Piratenpartei waren immer wieder zu Gast. Dieses Mal allerdings wurde dem Bedingungslosen Grundeinkommen mehr Raum gegeben als zuvor. So konnten die Chancen, die ein BGE bietet, besser aufgezeigt werden, auch wenn es im Fernsehen aufgrund der knappen Zeit schwierig bleibt, die Idee darzulegen, denn nicht nur der Moderator fragt und fällt ins Wort, die anderen Gäste schalten sich ebenfalls ein. Johannes Ponader hat es dennoch gut hinbekommen, einen Einblick zu geben. Er eröffnete seine Darlegung mit einer grundsätzlichen Frage, auf die das BGE antwortet: „Was habe ich für ein Bild von der Gesellschaft“ – oder anders formuliert: Wie wollen wir zusammen leben? Er stellte dann heraus, wie wichtig es sei, Entscheidungsfreiräume des Einzelnen zu stärken; auch anders Aspekte wurden angesprochen z.B. die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

An einer Stelle konnte man stutzen, sie findet sich ziemlich zu Beginn der Erörterungen (ca. ab Minute 21 oder bei Youtube). Ponader erläuterte, wie sich das BGE für Geringverdiener auswirkt und sagte dann: „Die, die wirklich mehr haben [durch ein BGE, SL] als heute, das sind die, die heute durch ihre Arbeit auch nicht mehr verdienen als jemand der Sozialleistungen bekommt“. Konsens bestand darin, dass der, der arbeitet, mehr haben soll als der, der nicht arbeitet (dazu weiter unten). Aber stimmt das denn, haben nur sogenannte Geringverdiener wirklich mehr durch ein Grundeinkommen und die anderen, gut Verdienenden, nicht?

Betrachtet man die Auswirkungen eines BGE rein rechnerisch, also nur von der Seite her, welches Einkommen einer Person nach Einführung des BGE und nach Abzug etwaiger Steuern zum Verbrauch zur Verfügung steht, dann mag sich für diejenigen, die gut verdienen, nichts ändern. Systematisch betrachtet hingegen (siehe auch „Rechnerisch oder systematisch?“) ändert sich alles. Selbst wenn das zum Verbrauch verfügbare Einkommen in derselben Höhe wie vor Einführung des BGE bestehen bleibt, so setzt es sich doch anders zusammen. Das Fundament, den Boden, auf dem der Einzelne fest steht, bildet das BGE – als Leistung der Bürgergemeinschaft an sich selbst. Es ist Ausdruck einer Solidarität, in deren Zentrum nicht Bedürftigkeit und Hilfe stehen, wie heute, sondern die Anerkennung des Einzelnen und des Gemeinwesens um seiner selbst willen. Das BGE ist ein Bürgereinkommen, kein Gehalt, kein Lohn und keine kompensatorische Leistung. Es ist nicht mit Anspruchserwerb und Beitragsfinanzierung verknüpft, es stellt eine aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzierte Leistung dar. Es ermöglicht, verlangt aber nicht. In der Diskussion, auch von Befürwortern, wird diese systematische Veränderung häufig unterschätzt, eine Veränderung, die Folgen für alle hat, nicht nur für die Geringverdiener. Allzuschnell wird davon gesprochen, Wohlhabende bräuchten es doch nicht, für sie sei ein BGE „Peanuts“. Schon ist die Bedürftigkeit als Kriterium wieder da, die man doch hinter sich lassen will. Auch wird ihnen flugs unterstellt, dem Gemeinwesen ja gar nicht, den Privatinteressen ausschließlich, zumindest aber vorrangig dienen zu wollen. Das wirken Feindbilder fort. Mancher Befürworter ist womöglich selbst noch einer Vorstellung verhaftet, die Solidarität, Wohlstand und Lebensqualität in verfügbarem Einkommen bemisst und sonst in nichts.

Es ist genau dieser Unterschied, der Anerkennung des Einzelnen und des Gemeinwesens um seiner selbst willen, der den Unterschied ums Ganze macht, der auch BGE und Negative Einkommensteuer voneinander trennt, nicht graduell, sondern systematisch. Nur ein BGE stellt heraus, dass die Existenz des Gemeinwesens und seiner Bürger Selbstzweck ist, dass alle im selben Boot sitzen, jeder von jedem abhängig ist, insofern alle auf die Bereitschaft aller vertrauen müssen, zum Wohle des Ganzen wirken zu wollen. Daran führt kein Weg vorbei.

Sascha Liebermann

Wie ein Grundeinkommen wider Willen verhindern? – Zu einer Aktion von „attac Bonn“


Schon vor einiger Zeit (2009) stellte Attac Bonn einen symbolischen 1000 Euro-Schein her, um für den Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu werben.

Auf der Rückseite des Scheins findet sich folgender Text:

„Das bedingungslose Grundeinkommen ist Teil einer Strategie umfassender öffentlicher Daseinsvorsorge. Es umfasst drei Elemente:
1. eine Geldzahlung, die individuell, ohne Arbeitszwang oder sonstige Bedingungen in existenzsichernder Höhe an alle gezahlt werden soll, die hier leben,
2. den Erhalt und Ausbau der bestehenden sozialen Sicherungssysteme hin zu einer solidarischen Bürgerversicherung unter Heranziehung aller Einkommen und einer hälftigen Beteiligung der Arbeitgeber, die perspektivisch auch das Grundeinkommen auszahlen soll,
3. für die Benutzerinnen und Benutzer kostenlose öffentliche Infrastruktur, die nicht nur Bildung, öffentliche Betreuungs- und Hilfsangebote, Nahverkehr betrifft, sondern tendenziell auch Mobilität allgemein und Wohnen.
Es ist ein globales Projekt der Umverteilung, mit seiner Einführung muss im Süden begonnen werden. Es zeigt seine emanzipatorische Wirkung darin, dass es Armut beseitigt, das materielle Überleben der Menschen vom Zwang zur Lohnarbeit entkoppelt und die Abhängigkeit von Frauen vom „Familienernährer“ aufhebt, so dass alle, Frauen und Männer, die Freiheit haben „nein“ zu jeder Zumutung zu sagen, der sie sich nicht freiwillig stellen wollen.“

Manches könnte zu den einzelnen Punkten gesagt werden, an denen auch Differenzen in der Grundeinkommensdiskussion sichtbar werden. Viel weitreichender ist aber das Demokratieverständis, das in den Ausführungen im letzten Absatz hervortritt. Selbstbestimmung wird über die Köpfe derer hinweg verstanden, deren Selbstbestimmung gerade Zweck eines BGE sein sollte. „Ein globales Projekt der Umverteilung“ ins Auge zu fassen setzt auch eine globale Legitimierung dieses Projekts voraus. Wessen Projekt aber ist es, um das es hier gehen soll?

Wo es keine globale Rechtsgemeinschaft und keinen globalen, demokratisch legitimierten Souverän gibt, kann es auch kein demokratisch legitimiertes globales Projekt geben. Niemand kann also niemandem ein Mandat dafür erteilen, ein solches Projekt durchzuführen. Mit gutem Grund sind selbst die Mandate der UN begrenzt. Alle existierenden supra- wie transnationalen Institutionen (UNO, IWF usw.) sind in ihrer Legitimierung von den Nationalstaaten als souveränen politischen Gemeinschaften abhängig – wie gerade die Erfahrungen der jüngsten Gegenwart vor Augen geführt haben (Libyen, Syrien usw.). Manche mögen das beklagen, weil sie sich eine Weltgemeinschaft herbeiwünschen. Daran ist nichts zu kritisieren, herbeiwünschen kann man sie, es mag sie auch eines Tages geben, wenngleich ich das für unwahrscheinlich halte. Solange es sie aber nicht gibt, unterläuft eine solche Strategie der globalen Einführung die bestehenden demokratisch legitimierten Gemeinwesen. Sie vollzieht, worüber wir uns zurecht beklagen, wenn es um die Europäische Union geht: über die Bürger allzuleicht hinwegzusehen. Wer darüber hinweggeht, dass es nach wie vor keine legitime Instanz der Interessenvertretung jenseits von Nationalstaaten gibt, stärkt nicht den Souverän, er schwächt ihn. Was progressiv klingt, weil global gedacht, unterminiert die Souveränität politischer Gemeinschaften.

Attac unterstellt ein Wir, das als verfasstes Gemeinwesen nicht existiert, und weil es nicht existiert, wirft das ein bezeichnendes Licht: Attac spricht offenbar für die anderen, vereinahmt diese und erlegt ihnen ein politisches Ziel auf. Von Souveränität kann keine Rede sein, demokratisch geht es hier schon gar nicht zu, und die Interessen von Bürgern anderer Länder werden schlicht ignoriert. Ob ein BGE gewollt ist, können wir nicht wissen, solange die Bürger sich nicht dafür ausgesprochen haben. Schon gar nicht ist es unsere Angelegenheit, in einem anderen Land etwas durchzusetzen. Was hier als progressiv und emanzpatorisch daherkommt, ist – gemessen an den Prinzipien der Demokratie – undemokratisch und bevormundend.

Es scheint kein Zufall zu sein, dass in dem Text weder von Bürgern als Staatsbürgern noch von einem Gemeinwesen die Rede ist. Demokratische Legitimierung und Volkssouveränität scheinen den Verfassern nichts zu bedeuten, das ist erschreckend. Wäre es anders, hätte ein derart bevormundender Text nicht geschrieben werden können. Ähnlich wie Forderungen danach, vor der Einführung eines BGE müsse zuerst das „System“ geändert oder etwa Menschen zum Umgang mit Freiheit befähigt werden, ist die Forderung, zuerst im Süden zu beginnen, eine gute Strategie, das BGE zu verhindern, zumindest aber den Weg dorthin zu erschweren. Man tut gut daran, sich genau anzuschauen, was Befürworter eines BGE wollen. Selbst aus einem auf die Stärkung der Bürger und der Demokratie zielenden Vorschlag (wie wir ihn vertreten), kann so ein Instrument der Entmündigung werden.

Sascha Liebermann

Siehe auch „Grundeinkommen – national, global, egal?“ (Gespräche über morgen) und „Vielfältige Möglichkeiten, eigenartige Hindernisse“

Deutschland, eine Arbeitsgesellschaft oder eine Bürgergemeinschaft?

„Der Arbeit ihren Wert geben“ (Quellen: SPD, FAZ), unter diesem Titel veröffentlichten der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer ihren Beitrag zum Tag der Arbeit am 1. Mai.

Nun, was gibt es zu berichten? Nichts Überraschendes, werden in dem Beitrag die geläufigen Loblieder gesungen und der Wert der Arbeit beschworen. Aber welcher? Auf die Antwort muss der Leser nicht lange warten, selbstverständlich dreht sich alles um Erwerbsarbeit. Ebenso wenig überraschend ist die Behauptung, das Gemeinwesen als Gemeinwesen bilde sich an und durch Erwerbsarbeit:

„Uns droht das Bewusstsein verloren zu gehen, dass es der Wert der Erwerbsarbeit ist, der Zusammenhalt und Wohlstand begründet. Der Tag der Arbeit Anlass genug, diesen Aspekt verstärkt in den Mittelpunkt der notwendigen Debatte über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft zu rücken.“

Mit der Zuspitzung darauf, das in Rede stehende Gemeinwesen als „Arbeitsgesellschaft“ zu bezeichnen, ist an dem Beitrag nichts mehr zu retten. Keine Rede von der bedingungslosen Verleihung der Bürgerrechte, der Volkssouveränität und all dem Engagement, das ohne Orientierung an Einkommenserzielung erfolgt. Keine Rede davon, dass es gerade nicht die Erwerbsarbeit ist, also die Leistung für Gegenleistung, die ein Gemeinwesen zusammenhält, sondern die bedingungslose Bereitschaft sich zum Wohle des Ganzen einzubringen, damit es sich erhalten kann, weil es einen eigenen Wert hat. Bürgerrechte sind eben keine Erwerbstätigenrechte – doch ein solcher Gedanke scheint den Verfassern des Beitrags noch nie durch den Kopf gegangen zu sein.

Man mag hier einwenden, am Tag der Arbeit sei gerade die Feier der Erwerbsarbeit geboten. Genauso gut hätte man aber auch am Tag der Arbeit daran erinnern können, dass ein Gemeinwesen von bürgerschaftlicher Loyalität und Solidarität lebt, sie unerlässlich sind, während Erwerbsarbeit geben gar keine bürgerschaftlichen Verpflichtungen noch Rechte begründet.

Wer sich noch fragen sollte, weshalb wir uns in der politischen und öffentlichen Diskussion mit dem Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens so schwer tun, obgleich wir viele Elemente davon schon haben, sie nur auf eine andere Grundlage stellen müssten, der lese den Schlusssatz:

„Wer eine fortschrittliche Gesellschaft will, der muss den Wert des Menschen und den Wert seiner Arbeit wieder schätzen lernen. Denn Deutschland bleibt nur als Arbeitsgesellschaft zukunftsfähig.“

Der Wert des Menschen und der Wert der Arbeit sind zwei vollkommen verschiedene Dinge, denn der Wert des Menschen ist ein Selbstzweck, er bemisst sich am Menschen selbst, der Wert der Arbeit hingegen liegt in ihrem Resultat, darin, wozu sie dienen soll. Wer das nicht unterscheiden kann – und das ist allzu verbreitet (siehe z.B. hier und hier) – versteht auch nicht, worum es beim bedingungslosen Grundeinkommen geht: um den Wert des Gemeinwesens und seiner Bürger als eigenständigem Bezugspunkt, einem Wert um seiner selbst willen.

Sascha Liebermann

Statuserhalt oder Gleichheit der Bürger?

Welche dieser Aufgaben ein System sozialer Sicherung erfüllen muss, diese Frage stellt sich seit der Agenda 2010, aber auch durch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von neuem. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe unter der Regierung Schröder hat zwar einen Schritt dahin unternommen, die Gleichheit der Bürger als Prinzip sozialer Sicherung zu stärken, sie hat es aber auf eine Weise getan, die den Schritt nach vorne mit einem zurück verbindet. Zugleich ist das Arbeitslosengeld als Transferleistung, die im Verhältnis zum Erwerbseinkommen bezahlt wird, beibehalten worden. Konsequent ist dies, da sich die Sicherungssysteme am Erwerbsprinzip orientieren und nach wie vor einen deutlichen Unterscheid zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen vollziehen, der bis in den Rentenanspruch hineinreicht. Ist aber diese Unterscheidung einem bürgerschaftlichen Gemeinwesen angemessen?

Diskutiert man z.B. mit Vertretern von Gewerkschaftern, dann richtet sich ein Einwand gegen das BGE der (Einkommens-) Gleichmacherei von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen, es geht hierbei vor allem um den relativ großen Abstand (für alle, die ein hohes Erwerbseinkommen beziehen) zwischen dem heutigen Arbeitslosengeld und einem BGE (1). Außerdem, ein weiterer Einwand, sei das BGE selbst in ausreichender Höhe etwa von 1000 € (Achtung Hausnummer) nicht hoch genug, um jemanden in die Lage zu versetzen, eine Stelle wegen schlechter Arbeitsbedingungen aufzugeben (2). Die Freiheitsversprechen, die BGE-Befürworter im Munde führen, werden also nicht erfüllt.
Aus Sicht eines BGEs aus dem Geiste einer die Bürger als Souverän anerkennenden Einkommensgarantie lässt sich hierzu folgendes erwidern.

  1. Welchen Lebensstandard oberhalb eines kulturellen Existenzminimums jemand erreichen will, ist eine private Entscheidung. Sie hat er auch als private Entscheidung zu verantworten. Wer also unter Bedingungen eines BGEs sich gegen eine Arbeitsstelle entscheidet, muss den Statusverlust in Kauf nehmen, der aufgrund der Differenz zwischen Erwerbseinkommen und BGE womöglich entsteht. Aber: Die Gewährung des BGEs pro Kopf, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, von der Wiege bis zur Bahre verändert die Lage. Denn selbst bei Statusverlust bleiben Freiräume erhalten, sofern das BGE ausreichend hoch ist. Selbst für Alleinlebende würde das BGE solche Freiräume erhalten.
  2. Ob jemand Freiräume, die ein BGE verschafft, nutzen wird, ob er also eine Stelle aufzugeben bereit ist, hängt auch davon ab, wie wichtig dem Einzelnen Freiheit und Selbstbestimmung auf der einen und Lebensstandardsicherung auf der anderen Seite sind. Wer Freiheit stärker gewichtet, wird auch bereit sein, einen etwaigen Statusverlust in Kauf zunehmen; wer hingegen Statussicherung für wichtiger erachtet, der wird auch widrige Arbeitsbedingungen womöglich akzeptieren, ganz gleich wieviele Freiräume er hat.

Mit der Diskussion um ein BGE sind also grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die unser Selbstverständnis als Gemeinwesen betreffen. Das BGE in seinen Auswirkungen macht nicht, wie manche Gewerkschafter glauben, vor den Werkstoren halt. Da es Arbeitnehmern größere Verhandlungsmacht verleiht, wird es sich mittelbar auf die Arbeitsbedingungen sei es in Unternehmen, sei es in öffentlichen Einrichtungen auswirken. Wie sehr es sich auswirken wird, hängt von uns Bürgern ab – wie alles andere auch.

Sascha Liebermann

„Kostgänger“ des Staates – ein Einwand gegen das Grundeinkommen

Ein häufig gegen das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) vorgebrachter Einwand besagt, es mache die Bürger zu „Kostgängern“ des Staates; es halte sie in Abhängigkeit, statt ihnen Möglichkeiten zur Selbstversorgung zu eröffnen.

Angesichts der Möglichkeiten, die ein bGE uns Bürgern tatsächlich eröffnete, angesichts der Verantwortung, die es in unsere Hände legte, kann dieser Einwand nur verwundern. Die bevormundende Fürsorglichkeit, die unser heutiges Sozialsystem kennzeichnet und schon immer gekennzeichnet hat, all die Kontrollen und Überwachungen, höbe ein bGE ja gerade auf. Wir erklärt sich dann dieser Einwand?

„Kostgänger“ soll wohl heißen, der Einzelne werde vom ‚Staat’ abhängig, entmündigt und in seiner Initiative geschwächt. Hier wird ein Bild vom Gemeinwesen gezeichnet, in dem seine grundlegende Bedeutung für Entwicklung und Entfaltung des Einzelnen gar nicht gesehen wird. Schon jedes Kind ist, da es unselbständig auf die Welt kommt, von der bedingungslosen Anerkennung durch seine Eltern abhängig, um sich zu entwickeln. Nur in dem von ihnen gewährten Schutzraum und durch ihre Liebe kann es reifen und nur dadurch wird es einmal in der Lage sein, seine Familie zu verlassen, um sein Leben in die Hand zu nehmen und eine eigene zu gründen. Familie gibt es aber nur dort, wo es ein Gemeinwesen gibt, das sie wiederum schützt und unterstützt, das also Möglichkeiten schafft, damit Eltern sich auch ihren Kindern widmen können. Schon diese ‚Abhängigkeit’, wenn man sie so nennen will, ist eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung. Diese ‚Abhängigkeit’ ist also Bedingung des Bestehens und nicht, wie manche offenbar noch heute glauben, ein notwendiges Übel, dessen man sich besser entledigen sollte, wie der ‚Staat’ ein Übel sei, mit dem man „wohl“ leben müsse. Der ‚Staat’ ist aber unser Gemeinwesen, das Gemeinwesen etwas, ohne das wir nicht wären und zugleich wäre es nicht ohne uns. Nähmen wir Bürger nicht ohnehin unser Leben in die Hand, achteten nicht unsere politische Ordnung und trügen nichts zum Gemeinwohl bei, dann existierte unser Gemeinwesen gar nicht – wir aber auch nicht.

Ideologische Schlagworte wie „Kostgänger“ oder auch Wendungen wie „Sozialhilfeempfänger liegen dem Gemeinwesen auf der Tasche“ offenbaren also lediglich, dass diejenigen, die sie benutzen, noch gar nicht begriffen haben, weshalb ihr Leben möglich ist. Alle, so müßte es eigentlich heißen, liegen in einem Gemeinwesen notwendig allen auf der Tasche, alle sind „Kostgänger“ aller, denn ein Gemeinwesen ist ein Solidarverband. Zwar benötigen wir auch Geldmittel zur Finanzierung unserer öffentlichen Infrastruktur, so daß manche sagen könnten, die Erwerbstätigen finanzierten den Sozialstaat. Doch auch diese Leistung sowie die Leistungsbereitschaft hat ihre Wurzeln in der Solidarität, in der Anerkennung des Einzelnen – des Bürgers – um seiner selbst willen. Nicht durch Geld erhält sich ein Gemeinwesen, sondern durch Loyalität. Leistungen in Familie und Ehrenamt sind ebenso wichtig wie solche im Beruf, keine ist wichtiger als die andere – ohne eine von allen, ohne Loyalität, wäre unser Gemeinwesen gar nichts, es würde nicht existieren.

Weshalb dem Einzelnen eine bestimmte Solidarität, eine bestimmte Loyalität abfordern – also: Ewerbsarbeit zu leisten -, wenn wir ohnehin auf sein Engagement vertrauen können und es auch müssen? Solidarisch und loyal ist der Einzelne am besten, wenn man ihn das tun läßt, womit er einen Beitrag leisten kann – und nicht wenn wir ihm sagen, welchen er zu leisten hat.

Sascha Liebermann