Findet die Grundeinkommensdiskussion nur noch in einer verschworenen Gemeinde statt?

Das wurde ich kürzlich anlässlich eines Podiumsgesprächs am Leuphana College der Leuphana Universität Lüneburg gefragt. Nicht nur lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob das so ist. Die Frage enthält auch eine implizite Kritik daran, dass die Grundeinkommensdiskussion im eigenen Saft schmoren könnte. Vor einiger Zeit, anlässlich der Anhörung zur Petition von Susanne Wiest sowie offen geäußerter Kritik an „Unternimm das jetzt“ und dem „Netzwerk Grundeinkommen“ (siehe auch hier) fragten andere schon, ob die Grundeinkommensbewegung zerstritten sei.

Dass überhaupt solche Fragen in der Presse gestellt werden, ist doch ein Zeichen für die aufmerksame Beobachtung der Debatte. Aufs und Abs hat es seit dem Beginn immer gegeben, einen Eindruck davon vermittelt die Berichterstattung über die letzten sieben Jahre (Chronik des Archiv Grundeinkommen). In manchen Jahren konnte man ob der Fülle der Beiträge in Zeitungen und Radio den Eindruck gewinnen, eine Einführung des BGE stünde kurz bevor. Darauf folgten wieder Phasen, in denen kaum etwas – zumindest in den Medien – geschah. Gleichwohl fanden weiterhin öffentliche Veranstaltungen statt, entstanden Filme („Bedingungslos glücklich“, März 2012), die zur besten Sendezeit auf 3SAT ausgestrahlt wurden. Die Debatte hat sich allmählich ausgebreitet, in der Schweiz steht eine eidgenössische Volksinitiative kurz vor dem Start (am 21. April), sie wird – je nachdem, wieviel Aufmerksamkeit sie medial erhält – auch auf die deutsche Diskussion ausstrahlen. Darüber hinaus findet dieses Jahr der zweijährliche Kongress des Basic Income Earth Network in München statt. Auch er wird vermutlich für eine größere Aufmerksamkeit in den Medien sorgen (auch wenn das Gebaren des Netzwerk Grundeinkommen wieder einmal die Kritik bestätigt, dass es kein Netzwerk ist, sondern Politik betreibt. Bislang sind keine Aktivisten aus der deutschen Diskussion – Claus Offe ausgenommen – zum Kongress persönlich eingeladen, das Netzwerk hält das Versenden des Call for Papers für eine Einladung). Doch, selbst wenn dies für ein kurzes Feuerwerk in den Medien sorgen sollte, für eine stetige Verbreitung sind andere Aktivitäten notwendig.

Es ist noch gar nicht abzusehen, was das Interesse der Piratenpartei am Grundeinkommen für das weitere Fortkommen bedeutet (siehe auch „Das Pirateneinkommen“). Zumindest bescherte es einige mediale Aufmerksamkeit, zahlreiche Fernsehgespräche zum Thema fanden statt und die neue Situation trat ein, dass der Ausdruck „Bedingungsloses Grundeinkommen“ durch alle Nachrichtensendungen geisterte.

Alles bestens also? Das sollte damit nicht gesagt sein, denn noch immer ist vielen die Idee unbekannt oder fremd. Das muss wiederum kein Anlass zur Sorge sein, denn historisch war das stets der Fall. Bis  Ideen, die mit Grundüberzeugungen des Bestehenden brachen, sich etabliert hatten, dauerte es meist lange und noch länger, bis sie mit Leben gefüllt waren. Man bedenke nur, wie lange der Weg war, bis die republikanische Demokratie als unumstößliche Errungenschaft galt und wie mühsam es war, die Hülle oder Form mit Leben zu füllen. Die nordafrikanischen Staaten stehen gerade vor dieser Herausforderung mit allen Schwierigkeiten, Sorgen und Nöten – und ungewissem Ausgang, wie damals in Europa.

Besteht also die Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren? Durchaus, wenn die Überzeugten nur noch mit Überzeugten reden und diese sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Ein Gefahr ist Hochmut bei denen, die glauben, auf der richtigen Seite zu stehen und sich über die Borniertheit der anderen auszulassen. Jeder fasse sich an die eigene Nase und frage sich, wie lange er oder sie selbst gebraucht hat, um auf das Grundeinkommen zu stoßen und es für einen gangbaren Weg zu halten. Nach wie vor kommt es auf gute, scharfsinnige und nachvollziehbare Argumente an. Häufig ist es hilfreich, an konkreten Problemen aufzuzeigen, was ein BGE ändern könnte, im konkreten Fall: in Griechenland. Wäre es, hätte es ein Grundeinkommen gegeben, überhaupt so weit gekommen? Die Frage ist berechtigt. Auch in Deutschland unterscheiden sich allerdings die Problemlagen, die am drängendsten sind. Regionen, aus denen, nur der Einkommensnot wegen, Menschen abwandern müssen, weil sie keine Perspektive sehen (siehe „Strukturschwache Regionen“). Dass gerade in diesen Gegenden auch Parteien die Chance des BGE noch nicht sehen, ist wirklich erstaunlich.

Der Idee zur Verbreitung zu verhelfen, beginnt häufig im kleinen Kreis: mit Freunden, Familie und Bekannten (weitere Vorschläge finden sich hier). Wer Veranstaltungen organisiert, sollte darauf achten, dass der Veranstaltungsort nicht nur ein Milieu von Gleichgesinnten anspricht, es sei denn, genau dort soll eine Diskussion in Gang gesetzt werden. Der größte Feind der Verbreitung sind Feindbilder und der damit einhergehende Hochmut. Sie aufzugeben, ist eine wichtige Voraussetzung, um andere erreichen zu können als die, die eh schon auf derselben Seite stehen. Es gibt viel zu tun!

Sascha Liebermann

Grundeinkommensbewegung zerstritten…

…das ist in den letzten Tagen häufiger zu vernehmen. Nicht nur berichtete die taz zweimal in diesem Sinne (Ulrike Hermann, Svenja Bergt), auch unter Grundeinkommensbefürwortern (z.B. hier) scheint diese Einschätzung vorzuherrschen. Wie kommt es zu diesem Eindruck?

Entstanden ist er wohl jüngst vor dem Hintergrund manch offen geäußerter Kritik, z. B. an „Global Change“ bzw. „Unternimm das jetzt“ (siehe auch die Stellungnahme von Ralph Boes) oder am Netzwerk Grundeinkommen. Aber auch zuvor schon wurde immer wieder einmal behauptet, die Unterschiedlichkeit der Vorschläge führte zu einer Zersplitterung der Befürworter. Kritiker haben ebenso regelmäßig den Vorschlag in der Vergangenheit abgetan, weil es doch gar keine Einigkeit bei den Befürwortern gäbe. Darauf reagierten manche Befürworter mit der Forderung, man müsste zusammenstehen. Doch, nur weil es Vorschläge unterschiedlicher Reichweite gibt, die das Grundeinkommen unterschiedlich hoch ansetzen oder gar unterschiedliche Zusatzforderungen aufstellen (z. B. Mindestlöhne und allgemeine Arbeitszeitreduzierung), kann von einer Spaltung der Bewegung oder wie es auch genannt werden mag, keine Rede sein. Das würde voraussetzen, es habe in diesen Fragen je Einigkeit gegeben – das war nie der Fall und ist auch nicht notwendig.

Tatsächlich spiegeln diese Unterschiede nur wider, was für eine Demokratie unerlässlich ist: Interessenvielfalt und offenen Streit im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung. Mehr nicht, es ist das Selbstverständlichste überhaupt und weder zu beklagen, noch zu überdecken.

Es mag überhaupt unglücklich sein, von einer Grundeinkommensbewegung zu sprechen, weil es zu sehr nach einem eingeschworenen Verein klingt, in dem sich selbst gegenseitig auf die Schulter geklopft wird und nach außen der Eindruck erhalten werden soll, es handele sich um ein Bündnis, das geschlossen zusammensteht. Das mögen manche so sehen und auch gut finden. Doch der gegenwärtige Stand der Grundeinkommensdiskussion samt der Anhörung von Susanne Wiest im Petitionsausschuss resultiert nicht aus einem solchen Zusammenhalten und Unterdrücken von Differenzen, sondern aus der vielfältigen, eben öffentlichen Diskussion um diese Differenzen mit guten Argumenten (man erinnere sich nur der Debatte um die Petition im Netzwerk Grundeinkommen). Erst sie machen sichtbar, was es mit unterschiedlichen Vorschlägen auf sich hat. Diese Vielfalt der Argumente entspricht der Vielfalt der Befüworter.

Unterschiedliche Perspektiven auf und unterschiedliche Vorstellungen von derselben Sache erfordern argumentativen Streit, um sich ein Bild machen, um sich ein Urteil bilden zu können. Wollte man uns Bürgern die Zumutung abnehmen, sich mit diesen Unterschieden auseinanderzusetzen, würde man uns die Aufgabe abnehmen, uns ein Urteil zu bilden. Das wäre der erste Schritt in die Unmündigkeit und gerade kein Erstarken, sondern das Erschwachen der Demokratie.

Sascha Liebermann