Muss eine Partei Modelle liefern, um Bürger für eine Umgestaltung des Gemeinwesens zu gewinnen?

Seit dem Beschluss der Piratenpartei, sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen einzusetzen, der auf dem Bundeskongress in Offenbach im vergangenen Dezember gefasst wurde, wird diese Frage intern debattiert. Selbstverständlich erwarten auch die Medien solche „Lieferungen“ und noch mehr richtet sich die Kritik etablierter Parteien (siehe auch hier) auf die Piraten, weil sie sich entweder noch nicht konkret geäußert hätten oder Vorschläge, die zum Beispiel auf der Plattform „Sozialpiraten“diskutiert werden, für eine Verschlimmbesserung gehalten werden. Muss sich aber eine Partei auf ein Modell festlegen, bevor es eine breite öffentliche Diskussion gibt? Ist das eine legitime Erwartung oder ist diese Erwartung Ausdruck des bisherigen Denkens über die Stellung der Parteien im Prozess der politischen Willensbildung? Gerade sie könnte sich auch durch ein BGE ja ändern. Mit diesen Fragen und anderen befasst sich Susanne Wiest, selbst aktiv bei den Piraten, auf ihrer Website.

„Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten“ – sorgfältige Lektüre geboten

Vor einigen Monaten hatten wir auf eine Neuerscheinung zum Grundeinkommen hingewiesen, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde. Das Buch Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten, herausgegeben von Ronald Blaschke, Adeline Otto und Norbert Schepers, steht als Volltext online. Der Band will einen Überblick sowohl über die Vorläufer des heute diskutierten bedigungslosen Grundeinkommens geben als auch über die deutsche Debatte. Ein anspruchsvolles Vorhaben angesichts der zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema. Dass hierfür selektiv vorgegangen werden muss, versteht sich von selbst, einen Anspruch auf vollständige Berücksichtigung zu erheben, wäre vermessen, und der Band erhebt ihn auch nicht.

Wie geht der Band, hier die Beiträge von Ronald Blaschke, vor? Verschiedene Vorschläge werden nach Kategorien sortiert und eingeordnet. Diese Kategorien wiederum leuchten manches Mal ein, so z.B. dass ein zu niedriges bGE nicht erlaubt, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Andere Kategorisierungen jedoch entspringen der Werthaltung des Autors, nicht aber dem bedingungslosen Grundeinkommen als solchem. Wenn z.B. Vorschläge eines bGE, die auf Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzung verzichten, als neoliberal eingestuft werden (in Anlehnung an Thomas Löding, siehe S. 232), dann unterliegt dieser Einordnung eine bestimmte politische Bewertung (siehe meine Kritik „Schlagworte, Polemik, Kampfbegriffe“). Irreführend ist auch die willkürliche Rezeption von Argumenten. Zwar ist es missverständlich, wenn Götz W. Werner immer wieder einmal davon spricht, das bGE wirke lohnsubstitutiv, oder gar davon, dass Unternehmen die Löhne um diesen Betrag kürzen könnten. Zugleich jedoch macht er meist deutlich, welche Folgen ein bGE für Unternehmen hätte. Sie sähen sich verhandlungsstarken Bewerbern und Mitarbeitern gegenüber, denn Löhne müssten ausgehandelt werden (so z.B. in Einkommen für alle, S. 100 f.).

Verwunderlich sind solche sinnentstellenden Zitate und Einordnungen. Sollen bestimmte Befürworter in eine entsprechende Ecke gestellt werden? Den Eindruck kann man gewinnen. Von einem Band, der damit wirbt, einen Überblick über Modelle und Debatten zu geben, darf man erwarten, dass er analytisch klar kritisiert und auf widersprüchliche Äußerungen von bGE-Befürwortern aufmerksam macht. Tendenziöse Darstellungen hingegen, in denen unliebsame Äußerungen nicht zitiert werden, weil sie der Einordnung widersprächen, sprechen für sich.

Sascha Liebermann