„Die Neue Grundsicherung“…

…der CDU liegt als Kurzbroschüre vor (siehe hier). Ich kommentiere manche Passage aus dem Beschluss vom 18. März. Dass es sich nicht um den großen Aufbruch handelt, der verkündet wurde, haben wir schon kommentiert (siehe hier). Was gäbe es sonst noch dazu zu sagen?

„Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch etwas kann. Wir sind der festen Überzeugung, dass Arbeit sinnstiftend ist und Teilhabe sowie Eigenständigkeit ermöglicht. Dafür braucht es einen starken aktivierenden Sozialstaat, der den Prinzipien von Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung folgt.“ (S. 1)

Der erste Teil ist eine Selbstverständlichkeit, sonst könnte die Demokratie gleich einpacken und die Unternehmen ebenso, es gäbe sie gar nicht. Der zweite Teil hingegen betont, was ohnehin schon der Fall ist und von den etablierten Parteien vertreten wird – der Vorrang von Erwerbstätigkeit ist hier schon erkennbar. Eigenständigkeit und Erwerbstätigkeit sind jedoch nicht dasselbe, es sei denn, man behauptete, Eigenständigkeit hinge von erzieltem Einkommen ab. Eigenständigkeit im Sinne der Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit ist jedoch eine davon unabhängige Dimension. Sie kann lediglich durch Einkommensmangel in ihrer Entfaltung eingeschränkt sein. Wenn Arbeit „sinnstiftend“ ist, sie ihre Bedeutung aus sich heraus gewinnt, dann bedarf es keiner sanktionsbewährten Grundsicherung. Dafür braucht es eben keinen „starken Sozialstaat“, sondern einen, der die Eigenständigkeit stärkt, aber nicht verengt auf Erwerbsteilnahme. Solidarität im Sinne dessen, dass die Eigenständigkeitszumutung der Demokratie von jedem zuerst einmal alleine zu tragen ist und der Sozialstaat ihn darin unterstützen muss, erfordert gerade keine Verengung auf Erwerbstätigkeit. Subsidiarität in diesem Sinne ist nicht zu verwechseln mit Einkommenserzielung durch Erwerbsteilnahme.

Dass die Bezeichnung „Bürgergeld“ verwirrend ist, weil sie nahelegt, es stehe jedem Bürger ohne Wenn und Aber zu, ist durchaus zutreffend und wurde entsprechend schon früh gerade von BGE-Befürwortern kritisiert. Die CDU entdeckt hiermit Altbekanntes, trifft allerdings auch einen Punkt, obwohl sie an der Einführung ja selbst mitgewirkt hat.

„Schlecht gemachte Sozialpolitik bewirkt genau das Gegenteil. Sie alimentiert und lähmt damit Menschen. Sie frustriert die Fleißigen und schwächt damit die Bereitschaft zur Solidarität.“ (ebd.)

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Der „Arbeitsanreiz“ als eindimensionale Erklärung…

…dafür, welche Auswirkungen ein komplexes und in mancher Hinsicht intransparentes System von Sozialleistungen haben könnte. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat diesen Oktober eine Stellungnahme zur Reform der Grundsicherung vorgelegt und sich darin das Zusammenwirken verschiedener Leistungen angeschaut. Bekanntermaßen ist das Leistungsgefüge äußerst komplex, unübersichtlich und uneinheitlich. Uns soll hier aber nur interessieren, wie eindimensional über die Wirkungen von Leistungen darin gesprochen wird. Exemplarisch dafür ist folgende Passage:

„Das Bürgergeld bietet durch die Hinzuverdienstregelungen Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Der Anreiz, die Arbeitszeit zu erhöhen bzw. sich weiter zu qualifizieren, ist hier jedoch ab einem Bruttoeinkommen von 1.200 Euro ohne Kinder und 1.500 Euro mit Kindern nicht mehr gegeben, da dann sämtliche zusätzliche Einkommen mit dem Bürgergeld verrechnet werden. Dafür bietet knapp jenseits dieser Einkommensgrenzen das zweite Grundsicherungssystem weitere Arbeitsanreize, da hier das Nettoeinkommen mit dem Bruttoeinkommen erst einmal deutlich ansteigt. Allerdings bedingen die Anrechnungsregelungen für Wohngeld und Kinderzuschlag auch hier erneut weite Einkommensintervalle, in denen Arbeitsanreize entweder gar nicht (mit Transferentzugsraten von z.T. über 100 Prozent) oder nur in geringem Ausmaß vorhanden sind. Abbildung 1 zeigt dies exemplarisch durch den Ausweis der Bereiche, in denen die Grenzbelastung aus Sozialversicherungsbeiträgen, Lohnsteuern und Transferentzug für Haushalte bei über 85 Prozent liegt (in rot) und somit die Arbeitsanreize besonders gering sind.“ (Stellungnahme S. 16)

Wie in so vielen Stellungnahmen zu dieser Frage kreist die Erörterung der Zusammenhänge um eine einzige Dimension, und zwar die, ob und ab wann es sich „lohnt“ einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und wann das nicht mehr der Fall ist. „Lohnt“ es sich, heißt in größter Vereinfachung, wann erhalte ich mehr Geld, also, was bringt mir das, um es ganz salopp auszudrücken.

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Druck, Gegendruck, nicht mechanisch? Wenn das ernst gemeint wäre, müsste der Verzicht auf Sanktionen…

…der nächste Schritt sein. Ist aber nicht vorgesehen, denn die Durchsetzung einer „Mitwirkungspflicht“, wie im Sondierungspapier vorgesehen, erfordert Sanktionsinstrumente. Davon abgesehen redet die FDP in ihrem Beschluss zur Grundsicherung aus dem Jahr 2019 davon, wie wichtig Sanktionen seien, denn auch Leistungsbezieher hätten Pflichten. Wenn aber aus der Praxis der Arbeitsagenturen und Jobcenter bekannt ist, wie schon vor längerer Zeit gemeldet, dass der größte Teil der Sanktionen auf einen kleinen Kreis von Personen zurückgeht und unter ihnen wiederum vor allem Meldeversäumnisse Grund für die Sanktionen sind, stellt sich die Frage, ob hier nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.

Oder will man Klischees bedienen?

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„Das System wirkt, als wäre es gemacht, um es den Empfängern schwer zu machen“ – das ist seine tatsächliche Wirkung

Wieder einmal angebliche Besserstellung von „Hartz IV“-Beziehern gegenüber Erwerbstätigen

Schon öfter kam es vor, dass solche Rechnungen die Zusammenhänge nicht richtig abgebildet haben, so laut Ausführungen von Johannes Steffen auch Dietrich Creutzburg in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vor drei Jahren. Steffen weist aber auch auf Haushaltskonstellationen hin, in denen es Widersprüche im Leistungsgefüge zu geben scheint.

Sascha Liebermann

Blinde Flecken der Jobgarantie – Was erhalten diejenigen, die nicht erwerbstätig sein wollen?

Da in jüngerer Zeit der Vorschlag einer Jobgarantie wieder mehr Aufmerksamkeit erhält und über Unterschiede zwischen Bedingungslosem Grundeinkommen und Jobgarantie deswegen auch diskutiert wird, ist es wichtig die Frage zu beantworten, wie es denn nun um diejenigen steht, die eine Jobgarantie nicht in Anspruch nehmen. Was erfährt man dazu? In bisherigen Veröffentlichungen war nicht viel zu erfahren außer einer Sympathie für die Abschaffung von Sanktionen oder gar einer bedingungslosen Grundsicherung. In neues deutschland äußerte sich jüngst Maurice Höfgen zur Jobgarantie. Was findet sich darin zur hier interessierenden Frage:

„Der gezahlte Lohn [der Jobgarantie-Angebote, SL] würde zum effektiven Mindestlohn werden. »Effektiv« ist er deshalb, weil der derzeitige Mindestlohn nur für Beschäftigte gilt. Wer Arbeit sucht und Arbeitslosengeld erhält, landet häufig darunter. Dazu wird das Kräfteungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeit korrigiert. Die Arbeitsbedingungen in der Jobgarantie werden zur Untergrenze an akzeptablen Arbeitsbedingungen und üben so Druck auf den Privatsektor aus. Die Jobgarantie ist ein universelles Angebot und keine Verpflichtung. Idealerweise sollte sie mit der Abkehr des Hartz-IV-Regimes kombiniert werden. Dazu ist sie kein Ersatz für vernünftige Lohn-, Industrie-, und Fiskalpolitik oder eine Regulierung des Arbeitsmarktes.“

Was heißt „Abkehr“ vom „Hartz-IV-Regime“?

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Wer Stigmatisierung nicht will, muss die Bereitstellungsbedingungen verändern – Sprachkosmetik hilft nicht weiter