Über lasche Sanktionen und Bürger, die „brav“ zur Arbeit gehen – Heinrich Alt zum Grundeinkommen

…zumindest, wenn man dem Bericht in focus glauben kann. Dort wird Heinrich Alt, ehemaliger Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, wie folgt wiedergegeben:

„Alt bemängelte, dass wenn jemand eine Kürzung von 30 Prozent bekommen habe, könne er künftig machen, was er wolle. Mehr Sanktion gebe es nicht. „Er braucht sich nicht mehr zu melden, nicht mehr zu kooperieren. Er muss nur noch seine Kontonummer angeben, bekommt 70 Prozent des Regelsatzes und die Miete voll bezahlt”, so Alt weiter. Das halte er für falsch. Besonders gegenüber denjenigen, „die das alles finanzieren, jeden Morgen aufstehen und brav zur Arbeit gehen“ und sich an die Spielregeln halten müssten.“

Alles zu lasch, kein Disziplinierungsinstrument mehr, so lässt sich schließen. Das komme einer „bedingungslosen Grundsicherung“ gleich – wieder eine Verdrehung, denn Hartz IV erhält nur, wer bestimmte Bedingungen erfüllt. Deutlich macht Alt damit, was er vom Existenzminimum hält, es gilt nicht bedingungslos, ganz wie er sich zum Bedingungslosen Grundeinkommen früher schon geäußert hatte, das sei eben eine „Horrorvision“. Was kümmert ihn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu.

Man beachte: „die […] jeden Morgen […] brav zur Arbeit gehen“ – eine hübsche Vorstellung vom Bürger hat er da, der ehemalige BA-Vorstand als Erzieher der Widerspenstigen?

Sascha Liebermann

Sprachkosmetik und Verschleierung – das Bürgergeldkonzept der SPD…

…ist voller wohlfeiler Aussagen und drückt sich um eine klare Sprache. Es stechen pädagogisierende Formulierungen hervor, die sich in Werbebroschüren nicht besser finden könnten. Der Beschluss vom Wochenende stimmt im wesentlichen mit dem Konzeptpapier überein, das schon im Februar, noch unter dem Vorsitz von Andrea Nahles, vorgestellt wurde. Man beachte schon den Titel „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit“ und die gewählte Reihenfolge der Begriffe, sie steht ganz in der Tradition der SPD. Im Beschluss aber wird die Reihung mit einem „Sozialstaat für eine neue Zeit“ verbunden – der alte also für den neuen? Schon auf S. 1 heißt es:

„Zum anderen ist es, da in unserem System soziale Absicherung stark an Erwerbsarbeit geknüpft ist, Aufgabe der Politik und des Staates, für einen hohen Beschäftigungsstand zu sorgen.“

Als sei es ein ehernes Gesetz, dass dies so sein müsse, von einem Nachdenken über Alternativen keine Spur. Der Beschäftigungsstand dient der Finanzierung des Sozialstaates, das ist der vorrangige Sinn von Arbeitsplätzen – so die Aussage. In der Folge ist die Rede vom emanzipatorischen Charakter des Sozialstaats, von Freiheit, von der „Befähigung zu einem selbstbestimmten Leben“. Bei letzterem muss man stutzig werden, inwiefern befähigt der Sozialstaat? Unterstützt er nicht vielmehr eine vorhandene Fähigkeit und die Möglichkeit, im Fall einer Einschränkung dieser Fähigkeit, sich Hilfe zu holen? Das setzt aber schon Fähigkeiten voraus, der Sozialstaat schafft sie nicht – oder ist hier nur die finanzielle Absicherung gemeint? Dann gilt um so mehr, dass nur etwas unterstützt wird, das schon vorhanden sein muss.

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„Sanktionen gab es übrigens auch schon vor den Hartz-Reformen“ – Verklärer aufgepasst!

…so Matthias Schulze-Böing (siehe auch hier), Sprecher des Bundesnetzwerks der Jobcenter und Geschäftsführer des Jobcenters Offenbach, schon im vergangenen November in einem Interview mit der LR Online.

Damit wies er auf einen wichtigen Punkt hin, der in der Verklärung des Sozialstaats vor der Agenda 2010 häufig übersehen wird (siehe hier). Wer das Erwerbsgebot nicht aufgeben will, sollte von der Abschaffung von Sanktionen schweigen – denn beides ist nicht möglich. Robert Habeck hat das in seinem Vorschlag einer Garantiesicherung ohne sanktionsbewehrter Erwerbsverpflichtung verstanden. Schulze-Böing sagt:

„Über die Reformideen, die gerade diskutiert werden, kann man großenteils nur den Kopf schütteln. Es ist wie mit der Steuerreform auf dem Bierdeckel. Das klingt toll und elegant, funktioniert so aber nicht. Die Politik weckt damit völlig falsche Erwartungen. Die Androhung von Sanktionen beispielsweise hat erwiesenermaßen dazu beigetragen, Phasen der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Es spricht nichts dafür, dieses System abzuschaffen. Sanktionen gab es übrigens auch schon vor den Hartz-Reformen.“

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Nochmal Glück gehabt, Sanktionen können fortbestehen…

…so ließe sich ein Beitrag von Henrike Roßbach in der Süddeutschen Zeitung verstehen, die – wie manch andere – offenbar erleichtert ist, dass Sanktionen doch noch verfassungsgemäß sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil allerdings von einer Kann- und nicht von einer Soll-Bestimmung gesprochen. Der Gesetzgeber „kann“ solche Instrumente einsetzen, muss aber nicht. Manche Passage in der Urteilsbegründung ließe sich auch gegen diese „Kann“-Bestimmung auslegen:

„Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist (BVerfGE 49, 286 <298>). Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der „Besserung“ gerichtet sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>; zur histori- schen Entwicklung oben Rn. 5, 7).“ (Urteil, Randnummer 127)

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