Lassen sich „Menschen“ ruhigstellen? Darüber sollten sie doch selbst befinden

Man hätte wetten können, dass es nicht lange dauern wird, bis die Stilllegungsbesorgten wieder das Wort ergreifen, wenn es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen geht. Dass die FDP in Gestalt von Konstantin Kuhle sich hier hervortut, ist womöglich Zufall, es gibt die Sorge doch in allen Parteien in der einen oder anderen Form. Wer Stilllegungs- oder Ruhigstellungssorgen hat, muss zugleich stets an Aktivierung denken – zwei Seiten einer Medaille.

Sascha Liebermann

Bedingungsloses Grundeinkommen passt mit der Mentalität in Deutschland nicht zusammen…

…meinte sinngemäß Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in einer Diskussionrunde bei Phoenix. Michael Eilfort, Stiftung Marktwirtschaft, war der Auffassung, dass „wir“ ein BGE angesichts der Vorstellung von Einzelfallgerechtigkeit in Deutschland keine drei Wochen aushalten würden. Es sei die dümmste Idee, die es je gegeben habe (fällt vielleicht auf den zurück, der es äußert). In Deutschland sei die Einzelfallgerechtigkeit wichtig, man stelle sich vor, was ein BGE für jemanden mit Behinderung bedeuten würde – Eilfort unterstellt, es gäbe dann keine bedarfsgeprüften Leistungen mehr. Dass der Charakter der Bedarfsprüfung sich mit einem BGE auch ändern würde, weil dann Autonomiebewahrung im Zentrum stünde und nicht Erwerbsfähigkeit oder Ausgleich der Folgen von Nicht-Erwerbsfähigkeit, sieht er nicht. Schneider zumindest attestiert dem BGE, ein sympathisches Konzept zu sein, da es nicht von der Faulheit des Menschen ausgehe, doch müssten Milliarden umgewidmet werden, um es zu finanzieren, das wäre ein kompliziertes Verfahren. Der Sozialstaat sei doch eine Errungenschaft – was kein Argument gegen, sondern eines für seine Fortentwicklung wäre mit BGE.
Phoenix sendete diese Diskussion am 23. März unter dem Titel „Streit um Hartz IV – Was muss der Staat leisten? Was meinen Sie?“. Die ganze Sendung bei youtube finden Sie hier, bei Phoenix hier. Zur Haltung der Stiftung Marktwirtschaft zum BGE siehe auch hier.

Sascha Liebermann

Befürworter wider Willen? – Jens Spahn zum Grundeinkommen

In dieser Aufzeichnung einer Diskussion in Bonn über „Werte und Disruption…“ im Zusammenhang mit der Digitalisierung, die bei Phoenix ausgestrahlt wurde, geht es ab Minute 53’40 um das BGE. Zwar ist die Passage sehr kurz, der Austausch sehr gedrängt, aber es wird doch eines deutlich: dass es um grundsätzliche Fragen geht, wenn die Sprache auf das BGE kommt. Götz W. Werner hebt hervor, dass man es sich leisten können müsse, eine Arbeitsstelle anzunehmen, Einkommen sei gar keine Bezahlung, sondern eine Ermöglichung. Dieser einfache Gedanke sorgt immer wieder für Irritation, weil wir heute das Verhältnis genau umdrehen. Werner lenkt damit jedoch den Blick weg von einem individualistisch verkürzten Leistungsverständnis hin zu den Voraussetzungen dafür, weshalb der Einzelne sich einzubringen in der Lage ist. Befürworter wider Willen? – Jens Spahn zum Grundeinkommen weiterlesen

Und noch einmal: Wozu Zeit für Familie?

In der Sendung „Unter den Linden“ (Phoenix) ging es kürzlich um „Armut in Deutschland – Wer hat warum zu wenig?“. Ganz ähnlich wie in der Anhörung im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend des Landtags von Nordrhein-Westfalen ging es darum, was gegen Armut unternommen werden könne. Dabei fiel das Stichwort Kindergrundsicherung, die in der Anhörung ebenfalls eine große Rolle spielte. Ganz wie dort war derselbe Widerspruch auszumachen, dass, wenn über Familie und wie ihnen geholfen werden könnte, Vorschläge unterbreitet wurden, die Familien gerade nicht besonders helfen. Wer, wie Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (diw), auf den Wunsch von alleinerziehenden Frauen hinweist, mehr als nur Teilzeit erwerbstätig sein zu wollen und damit die Forderung nach einem Ausbau von Kinderbetreuung verbindet, unterstützt vermeintlich diese Familien. Tatsächlich jedoch tut er das Gegenteil, denn mehr Erwerbstätigkeit heißt weniger Zeit für Familie. Gerade wo nur ein Elternteil vorhanden ist, würde deren Zeit für sein Kind bzw. seine Kinder noch mehr reduziert.

Siehe meinen Kommentar zur Anhörung über Kindergrundsicherung, bedingungsloses Grundeinkommen im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen – Wie deutsche Parteien dazu stehen“…

…ein Beitrag auf der Website von swr info. Zu den Äußerungen von Michael Fuchs, die hier wiedergegeben werden, vergleiche die Diskussion bei Phoenix und meine Anmerkung dazu. Dass der Betrag in Schweizer Franken, der für die dortige Diskussion wichtig war, einfach – trotz unterschiedlicher Kaufkraftverhältnisse – in Euro umgerechnet und auf die deutsche Diskussion übertragen wird, kann nur als Gedankenlosigkeit bezeichnet werden. Oder als Denkfaulheit?

„Das bedingungslose Grundeinkommen – Utopie oder Realität?“ – Diskussion bei Phoenix

Eine um etwa zehn Minuten gekürzte Version (wegen der tagesaktuellen Meldung zum Bundespräsidenten) finden Sie hier. Achten Sie auf die Bemerkung von Michael Fuchs (CDU) am Ende: „Es wird mit Sicherheit eine bestimmte Gruppe geben, die nicht mehr arbeiten geht“. Fuchs räumt also ein, dass ein BGE nicht im Allgemeinen zu einem nachlassenden Erwerbsengagement führe, sondern nur bei einer bestimmten Gruppe. Darüber hinaus relativiert er seinen Vorbehalt, dass, wer schon ausreichend versorgt sei (Familie mit zwei Kindern = 4000 Euro), noch arbeiten gehe. Unter Umständen könne dies der Fall sein. Deutlich wird daran, wie sehr es beim BGE darum geht, wie viele Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben den Bürgern gelassen werden und ob von einer starken Gemeinwohlbindung ausgegangen wird.

Sascha Liebermann