Warum nicht beide Seiten der Medaille benennen? Ralf Krämer über das Pilotprojekt Grundeinkommen

Ralf Krämer (siehe auch hier), Ver.di, schreibt darüber auf der Seite von Makronom. Der Beitrag reagiert auf einen von Jürgen Schupp, der Grenzen und Möglichkeiten des Pilotprojekts Grundeinkommen, das Mein Grundeinkommen im August lanciert hat, auslotet. In Variation eines Sprichwortes könnte man hier sagen, die Sprache macht die Musik und zeigt die Richtung an, aus der gedacht wird. Man nehme diese Formulierung:

„Das grundlegende Problem ist folgendes: Egal wie ein BGE und seine Finanzierung konkret aussehen würde, immer wäre es so, dass auf irgendeine Weise die über ein BGE verteilten Einkommen bzw. ihre Kaufkraft bei anderen Einkommen durch höhere Steuern oder Abgaben eingesammelt oder durch geringere Sozialleistungen und andere öffentliche Ausgaben kompensiert werden müssten.“

Warum ist das ein „Problem“? Es wäre lediglich so, wie Krämer schreibt, dass dieses Geld eben „eingesammelt“ werden müsste. Auch heute muss die Finanzierung von Sozialleistungen eingesammelt werden und selbst die Ansprüche an die Sozialversicherungen werden durch einen Generationenvertrag ermöglicht, d. h. die Ansprüche werden nicht von denen bedient, die sie selbst beziehen. Darüber hinaus ist die lapidare Feststellung, dass dies durch „geringere Sozialleistungen und andere öffentliche Ausgaben kompensiert werden“ müsste, nur die Hälfte des Ganzen. Ein BGE in der genannten Höhe würde etliche Leistungen schlicht überflüssig machen, sie könnten umstandslos wegfallen, andere hingegen nicht. Wenn ein BGE bestimmte Leistungen ersetzen kann, sind sie nicht mehr nötig – oder soll das anders gemeint sein?

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Nach welchen Kriterien wird über den Erfolg eines Grundeinkommens entschieden?

Siehe auch den Beitrag „‚Pilotprojekt Grundeinkommen‘ Einsichten und Aussichten“.

„Pilotprojekt Grundeinkommen“ – Einsichten und Aussichten

Zum zweiten Mal schon hat der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens in diesem Jahr erhebliche mediale Aufmerksamkeit gefunden. Als aufgrund der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus im Frühjahr Kontaktbeschränkungen erlassen wurden, in deren Folge Einkommen für viele Bürgerinnen und Bürger wegbrachen und sich die Frage stellte, wie dem begegnet werden könnte, wurde das BGE medial aufgegriffen. Auch gab es Petitionen auf verschiedenen Wegen, die zumindest für die Zeit der Krise eine Art Grundeinkommen vorschlugen. Im vergangenen August wiederum war der Anlass ein anderer. Michael Bohmeyer, Gründer des Berliner Vereins „Mein Grundeinkommen“, kündigte unter dem Motto „Wir wollen es wissen“ in einer Pressekonferenz an, ein Pilotprojekt zum Grundeinkommen durchführen zu wollen. An seiner Seite waren zwei Wissenschaftler, die die wissenschaftliche Begleitung des Vorhabens erläuterten und das Studiendesign vorstellten. An Superlativen bei der Vorstellung der Studie wurde nicht gespart, wie jüngst auch Manuel Franzmann konstatiert hat, allerdings ist der Verein Mein Grundeinkommen bislang schon nicht durch sachliche Berichte über seine Aktionen aufgefallen, obwohl diese ja durchaus spektakulär waren. Welcher Verein kann schon von sich sagen, dass er monatlich über 600 000 Euro per Spenden einsammelt? Besonders irritierend ist das Auftreten, da es sich um ein Forschungsprojekt handelt, die Offenheit des Ergebnisses zwar hervorgehoben wurde, zugleich aber der Verein seinen Erfolg angesichts bisheriger Gewinner eines Grundeinkommens und ihrer Erfahrungen stets herausstellte. Das soll nun keinesfalls gegen die Durchführung des Projekts sprechen und auch die Seriosität der involvierten Wissenschaftler nicht in Frage stellen, ist aber zumindest eine irritierende Ausgangskonstellation, auch wenn in das Wissenschaftssystem schon von längerer Zeit selbst eine gewisse Marketinghaltung Einzug gehalten hat. Jürgen Schupp, der an der FU-Berlin Professor für Empirische Sozialforschung und zugleich Senior Research Fellow am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist, war nicht nur in der Pressekonferenz dabei, er bezog danach mehrfach in den Medien Stellung und hat damit eine besondere Position inne. Das DIW kündigte ebenfalls in einer Pressemitteilung das Vorhaben an und der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, begleitete die Ankündigung mit einer Stellungnahme, in der er – der sich bislang stets gegen ein BGE ausgesprochen hatte – die Erprobung befürwortete. Dass es nun zu einem solchen Pilotprojekt überhaupt kommen konnte, verdankt sich der jahrelangen, beharrlich geführten öffentlichen Diskussion, die medial leider häufig nicht angemessen differenziert dargestellt wird.

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Gutverdienende habe es nicht leicht, denn…

…so Markus Hertwig, Professor für Soziologie an der TU-Chemnitz es sei „der Bevölkerung kaum zu vermitteln, aus welchem Grund Gutverdienende noch ein Extra-Einkommen erhalten sollen“, was ja mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre. Eine schwerwiegende Einschätzung, aber würde er deswegen denn für die Abschaffung auch seines Grundfreibetrags in der Einkommensteuer plädieren, der ja dann letztlich auch ungerecht sei? Und hat er schon davon gehört, dass dieser Freibetrag sich aus der Gewährung des Existenzminimums als Mindesteinkommen ableitet, insofern also nur aufzuheben wäre, wenn auch das Existenzminimum aufgehoben würde. Davon ist in der Pressemitteilung leider nichts zu lesen.

Sascha Liebermann

Pilotprojekt von Mein Grundeinkommen hat mehr als 1 Million Bewerber

Einfache Kriterien oder doch eher voraussetzungsvoll?

Auf der Website des Pilotprojekts von Mein Grundeinkommen werden gleich zu Beginn Kriterien angeben, die erfüllt sein müssen, damit ein BGE machbar ist:

„Ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist nur machbar, wenn es:

  • individuell und kollektiv positive Wirkungen entfaltet,
  • finanzierbar ist und
  • den Anreiz zu bezahlter Erwerbsarbeit nicht zu stark senkt.“

Was einfach klingt, ist gar nicht so einfach, denn was sind „individuell und kollektiv positive Wirkungen“, nach welchen Kriterien würden die Wirkungen hier eingeordnet werden können? Wie gelangt man zu den Kriterien, wer entscheidet darüber?

Was heißt genau, dass ein BGE „finanzierbar ist“, nach welchen Kriterien? Ist das grundsätzlich gemeint, dann bedarf es nur eines Blicks auf das Bruttoinlandsprodukts bzw. des Volkseinkommens. Es stellt sich dann eher die Frage, mit welchen Steuerarten und welchen Steuersätzen soll das geschehen? Wobei die entscheidende Frage noch ist, wird das denn gewollt, was wiederum keine wissenschaftliche Frage ist.

Wann wäre ein Sinken des „Anreizes“ zu „bezahlter Erwerbsarbeit“ „zu stark“? Senkt ein BGE den „Anreiz“ überhaupt? Wird hier nicht etwas vorausgesetzt, dass erst zu untersuchen wäre? Von „Anreizen“ zu sprechen setzt schon eine bestimmte Erklärung von Handeln voraus, obwohl dieser Begriff eine black box für die verschiedensten Dinge ist.

Sascha Liebermann

Angus Deaton über „Randomized control Trials“ und damit verbundene ethische Probleme,…

…allerdings sieht er diese vor allem in Entwicklungshilfeprojekten und wenn es um arme Menschen geht. Deaton schreibt gegen Ende des Beitrags: „Social plumbing should be left to social plumbers, not outside experimental economists who have no special knowledge, and no legitimacy“. Damit formuliert er eine Kritik an sozialingenieurialer Einflussnahme von Wissenschaftlern, wo politische Veränderungen gefordert wären, die aber nicht Aufgabe von Wissenschaft sind. Und zuvor hat er einen weiteren Zusammenhang der Hoffnung auf die Evidenzen, die RCTs herbeibringen könnten, hergestellt:

Angus Deaton über „Randomized control Trials“ und damit verbundene ethische Probleme,… weiterlesen

Berechtigte Frage…

…denn das ist für das Handeln entscheidend und die Schlüsse, die daraus gezogen werden können. Über intensive Gespräche und eine detaillierte Auswertung (Fallrekonstruktive Verfahren) könnte dies allerdings herausgefunden werden.

Sascha Liebermann