Kaffeesatz oder prognostizierte Folgen für die Wirtschaft bis hinter’s Komma…

…darauf weist Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten zurecht hin und verknüpft sie mit einer medialen Berichterstattung, die diese Prognosen (siehe auch hier) wiederkäut als seien es Tatsachen. Es handelt sich jedoch nur um Simulationsmodelle, deren Exaktheit im Wettstreit mit den Angaben zu Infektionen mit SARS-CoV2 liegt, wenn man es genau nimmt. Hier wenigstens haben Experten wie Christian Drosten und Hendrik Streeck immer wieder darauf hingewiesen, dass die Datenlage schlecht ist und wir keine genauen Angaben haben.

Es ist ein bedauerlicher Missstand, dass solche Simulationsrechnungen nicht selten wie Tatsachen behandelt werden, dabei zeigt gerade die gegenwärtige Lage nichts deutlicher als das, dass solche Simulationen eben genau das Gegenteil von Tatsachen sind – es sind Artefakte. Dasselbe gilt für die allseits beliebten standardisierten Befragungen, die häufig hinzugezogen werden.

Sascha Liebermann

„Man mische drei Denkfehler, rühre kräftig…

…und heraus kommt ein jährlicher Zuwanderungsbedarf von mehr als einer Viertelmillion“.

Auf den Nachdenkseiten schreibt Jens Berger differenziert über „drei Denkfehler“, die jüngst wieder in einer Studie der Bertelsmann Stiftung gemacht wurden und beschäftigt sich mit Prognosen zu 1) Digitalisierung, 2) Fachkräftemangel und 3) Demographie.

Dass Prognosen mit Vorsicht zu genießen sind, ist richtig, sie sind keine Wirklichkeitsaussagen, sondern Szenarien. Für die Forschung sind sie als Datum bedeutungslos, spekulativ im schlechten Sinne. Das gilt nicht nur für übertreibende oder verharmlosende Prognosen. Letztlich lässt sich heute nicht sagen, was die Digitalisierung langfristig bringt, welche Entscheidungen getroffen werden, welche nicht und wie sie getroffen werden. Davon aber hängen die Folgen der Entscheidungen ab. Das ändert sich auch nicht, wenn differenziert modelliert wird, allenfalls hilft das dazu, mögliche Handlungsfolgen auszumachen.

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„Da wird massiv Angst geschürt“ – Gerd Bosbach zum „Demografiegipfel“

Auf tagesschau.de findet sich ein Interview mit Gerd Bosbach, der Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz lehrt. Interessant ist es, um die Debatte über demographischen Wandel einzuschätzen, aber auch, um etwas über die Brauchbarkeit und Grenzen von Prognosen zu erfahren. Zu diesem Thema haben wir schon verschiedentlich Hinweise (siehe z.B. hier und hier) und Kommentare (siehe z.B. hier und hier) eingestellt.

„Die Panik der Babyboomer“ – in 2025 werden alle Arbeitskräfte benötigt. Ja, und?

Vorab sei angemerkt, dass Ulrike Herrmann auf einen Zusammenhang aufmerksam macht, den sich vor Augen zu führen lohnt – er gilt gleichermaßen für jede Generation und auch für die Verfasserin, wie wir noch sehen werden. Die Babyboomer, über die sie spricht, sind unter bestimmten Bedingungen mit bestimmten Problemlagen und Möglichkeiten aufgewachsen. An ihnen hat sich ihr Weltbild, ihre Vorstellung davon, wie es sein soll und wo Probleme lauern, gebildet. Diese Vorstellungen prägen ihren Blick auf die Wirklichkeit und können dazu führen, nur bestimmte Dinge wahrzunehmen und andere nicht.

„So schön können Prognosen sein: Die Vollbeschäftigung naht. Spätestens ab 2025 gibt es für jeden eine Stelle. Denn die demografische Uhr tickt. Die Babyboomer wechseln in die Rente, während kaum noch Jugendliche nachwachsen. Da wird jeder gebraucht…“ – so beginnt Ulrike Herrmann ihren Beitrag in der taz vom 23. März. Aufgrund der demografischen Entwicklung sei die Massenarbeitslosigkeit demnächst vorbei, das haben zumindest Forscher des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung herausgefunden. Wir müssen korrigieren: Sie haben es nicht herausgefunden, sondern ausgerechnet, denn es handelt sich natürlich um eine Prognose, die sich – wie es für Prognosen notwendig ist – auf bestimmte Annahmen stützt, von denen wir nicht wissen, ob sie auch in Zukunft gelten. Was wirklich sein wird, bleibt also offen. Immerhin ist es kein Geheimnis, dass Veränderungen im demographischen Gefüge gibt.

Frau Herrmann schreibt weiter: „Spätestens ab 2025 ist diese Sorge [vor Massenarbeitslosigkeit, S.L.] überflüssig – so dass sich Jugendliche und Eltern schon jetzt entspannen könnten. Jeder wird eine Stelle finden. Doch diese gute Nachricht ist noch nicht eingesickert. Unverändert fürchten viele Eltern, dass ihre Kinder nicht wettbewerbsfähig sein und auf dem Arbeitsmarkt versagen könnten.“

Wunderbar,  Entwarnung, alles wird gut, Vollbeschäftigung in 2025, noch nie soviel Verhandlungsmacht für Arbeitnehmer angesichts des ausgerechneten Arbeitskräftemangels – das ist ungefähr die Botschaft. Aber was heißt das genau? Wir erfahren in dem Artikel nichts darüber, wie sich die Produktivität entwickeln wird, wir erfahren auch nichts darüber, wie groß das noch nicht genutzte Potential an Automatisierungsmöglichkeiten ist. Womöglich sagt auch die Studie, auf die sie sich beruft, dazu nichts. Es wird immer nur von Arbeitskräften gesprochen, doch diese Zahl ist für den Wertschöpfungsprozeß nur bedingt aussagekräftig, entscheidend ist das aufzuwendende Arbeitsvolumen – und das sinkt seit langem in einem stetigen Trend. Aus diesem Grund waren auch die Erfolgsmeldungen der letzten Monate – „so viele Erwerbstätige wie nie zuvor“ – unbedeutend. Das ist auch Frau Herrmann bekannt, denn wiederholt hat sie auf die Sonderbarkeiten der Arbeitslosenstatistik hingewiesen, auf die Parallelwelt statistischer Artefakte.

Und was heißt es schon, wenn statistisch betrachtet jeder eine Stelle finden kann? Nichts, denn ob die Stelle seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten, seinen Interessen und Neiogungen entspricht, kann nur der Einzelne befinden. Erkennbar ist an der Feier rückkehrender Vollbeschäftigung eines auf jeden Fall: die Idolatrie von Erwerbsarbeit, sie ist immer ein hehrer Zweck in den Augen der Verfasserin.

Produktivität und Effizienz von Arbeitsabläufen sowie das Innovationspotential hängen erheblich von den Erwerbsarbeitsbedingungen ab, ob sie leistungsfördernd oder -hemmend sind. Wenn diese sich verbessern, könnte es auch sein, dass die Entspannung, die hier gefeiert wird, anders ausfällt. Das ist aber nicht vorauszusehen. Trotzdem heißt es weiter:

„Es ist egal, ob der Nachwuchs später als Pfleger oder Arzt arbeitet – sie alle werden sehr ordentlich verdienen, denn sie werden ja alle gebraucht.“ Gehen wir nun einmal als Gedankenexperiment davon aus, die Prognose träfe ein, was wäre daraus zu schließen? Nun, die Verhandlungsmacht der Mitarbeiter würde in der Tat größer; das könnte auch zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen (Produktivitätssteigerung?!).

Wem hülfe dies alles gar nichts? Dem Gemeinwesen als solchem. Es hielte an einer Solidaritätsvorstellung fest, in deren Zentrum der Erwerbstätige steht. Er stünde nach wie vor über dem Bürger, Erwerbstätigkeit bliebe der höchste Beitrag zum Gemeinwohl. Eltern hülfe es nichts, die mehr Zeit für ihre Kinder wünschen, um mit ihnen zuhause sein zu können. Allen hülfe es nichts, die nicht in Erwerbstätigkeit, sondern in bürgerschaftlichem Engagement ihre Erfüllung sehen. Erwerbseinkommen zu erzielen bliebe erste Bürgerpflicht, alle andere Tätigkeiten blieben weiterhin normativ degradiert. Um einem Missverständnis vorzugreifen: Selbstverständlich benötigt es standardisierte Güter und Dienste, die in Geldform getauscht werden können; es benötigt aber noch mehr das andere Engagement, denn ohne Familien keine Bürger und auch keine Erwerbstätigen in der Zukunft. Es ist also ausgesprochen borniert, wenn Frau Herrmann an späterer Stelle schreibt:

„Völlig abseitig ist auch die „Herdprämie“, mit der die CSU Mütter belohnen will, die ihre Kleinkinder zu Hause betreuen. Denn schon bald wird allen auffallen – selbst den Bayern –, dass die Frauen als Arbeitskräfte gebraucht werden. Die „Herdprämie“ ist ein Auslaufmodell, noch bevor sie eingeführt wurde.“
Sie schüttet das Kind mit dem Bade aus und gibt Einblick in ihre Wertvorstellung von Familie. Statt zu kritisieren, dass das Betreuungsgeld noch zweckgebunden (wie das Elterngeld) und auch viel zu niedrig ist; dass es sich um eine haushaltsbezogene- und nicht um eine individuumsbezogene Leistung handelt – kritisiert sie, dass Eltern (!, nicht Mütter, wie sie schreibt) damit zur Betreuung von Kindern unter 3 Jahren zuhause ermuntert werden sollen. „Völlig abseitig“, wie sie schreibt, ist das doch nur dann, wenn Erwerbstätigkeit über elterliche Fürsorge gestellt, wenn also Erwerbstätigkeit der Vorrang gegeben wird. In aller Konsequenz heißt das auch einzustimmen in den Chor derer, die jede Fremdbetreuung für besser halten als die Betreuung durch die Eltern zuhause. Sorgen, die sie sich dabei über die Verfügbarkeit von Arbeitskräften in der Zukunft macht, übersehen, wohin schon heute Kindertagesstätten tendieren. Betreuungsangebote von 25 (mindestens) bis zu 45 Stunden in der Woche (auch für unter 3 Jährige) erinnern an sozialistische Versuche, die „bürgerliche Familie“ zu zerstören und den Einfluss der Eltern zu minimieren. Alle Befunde aus der Bindungsforschung, die darauf hinweisen, dass Eltern für eine gesunde affektive und kognitive Entwicklung an erster Stelle stehen, werden ignoriert – aus ideologischen Gründen offenbar. So kann auch nicht gesehen werden, dass gerade eine lebendige Familie die beste Voraussetzung für einen gelingenden Bildungsprozess ist. Nebenbei würde so auch der Arbeitswelt der Zukunft besser entsprochen, die in sich gefestigte, autonome Mitarbeiter benötigt, die sich in neue, unbekannte Problemlagen eingeständig hineindenken können, um Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.

Will man also Familien stärken, müssen die Entscheidungsmöglichkeiten vo Eltern erweitert werden. Die direktive Familienpolitik, die wir heute – mit Unterstützung der Eltern – betreiben, sollte aufgegeben werden. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen wäre die Entscheidung darüber, wie Eltern Aufgabe und Herausforderung von Elternschaft annehmen wollen, ganz den ihnen übertragen. Über Familie würden wir anders reden und diskutieren, wenn die Idolatrie von Erwerbsarbeit einmal überwunden wäre.

„Niemand kann sich den neuen Fronten im Verteilungskampf entziehen, wenn Vollbeschäftigung herrscht: Die Erwerbstätigen erwirtschaften das Volkseinkommen – und mit ihnen wird man aushandeln müssen, wie viel davon an die Kapitaleigner und also an die fleißig sparenden Rentner der Zukunft fließt.“ An dieser Haltung erkennen wir deutlich, woran unser Gemeinwesen leidet, weshalb wir nicht vom Fleck kommen. Unbegriffen wirkt eine Deutung von Bürger und politischer Gemeinschaft fort, die den Bürger zum Erwerbstätigen degradiert, den Erwerbstätigen hingegen zum Zentrum des Gemeinwesens erhebt. Es ist erstaunlich und gespenstisch zugleich, wie eine erfahrene, reflektierte Journalistin eine vordemokratische Deutung von republikanischem Gemeinwesen fortschreibt, das die Stellung des Einzelnen nicht aus der Souveränität des Volkes, sondern aus der Erwerbstätigkeit. Auch über diejenigen, die sich fürsorglich um ihre Kinder kümmern und damit viel Verzicht leisten auf gesellschaftliche Anerkennung wie berufliches Fortkommen; über diejenigen, die durch bürgerschaftliches Engagement dazu beitragen, dass es überhaupt viele Dienste in unserem Gemeinwesen gibt, die als marktförmige nicht existieren würden, wird keine Silbe verloren. Wahrlich eine „verkehrte Welt“, in der die Bürger als Kostgänger der Erwerbstätigen verstanden werden.

Wir sehen hieran, wo die tatsächlichen Hürden zur Einführung eines BGE bestehen, die genommen werden müssen. Es sind nicht „die Reichen“, es sind nicht die „Kapitalisten“ oder sonst welche Interessengruppen oder -konstellationen. Es ist der einfache Umstand, dem Bürger nicht die Stellung im Gemeinwesen einräumen zu können, weil der Erwerbstätige über ihn gestellt wird.

Sascha Liebermann

„Warum wir positiv in die Zukunft blicken können“

Unter dieser Überschrift hat Gerd Bosbach, auf dessen Kritk am verbreiteten Gebrauch statistischer Daten zur Inszenierung von Horrorvisionen wir schon wiederholt hingewiesen haben, einen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, welcher Schindluder mit Statistik getrieben wird oder wohlwollend ausgedrückt, wie naiv von ihr Gebrauch gemacht wird. Siehe dazu auch den jüngsten Beitrag von Sascha Liebermann im Dezember.

„Die Welt lässt sich nicht berechnen“ – sagt ein Mathematiker

Diese Aussage ist bemerkenswert, bedenkt man, welche Rolle heute mathematischen Modellen – in der Klimaforschung, der Volkswirtschaftslehre im besonderen, aber auch den Sozialwissenschaften im allgemeinen – beigemessen wird, mittels derer zukünftige Entwicklungen vorausgesagt werden sollen. Und wer sich mit dem Grundeinkommen befasst, dem ist der sogenannte Finanzierungseinwand vertraut, den die Skeptiker oder Kritiker den Befürwortern entgegenhalten. Nach der Finanzierung zu fragen, ist naheliegend und eine Erläuterung der Zusammenhänge, was es mit der Frage auf sich hat, ist unerlässlich. Sie fragt ja letztlich nach den Entstehungsbedingungen von Leistung, die die Grundlage dafür ist, Finanzierungsmittel für ein Grundeinkommen bereitstehen. Irreführend wird die Frage nur, wenn sie auf eine Berechnungsfrage reduziert wird, erst recht dann, wenn diese Berechnung in die Zukunft weisen soll. Wir haben auf die diese Problematik schon früher hingewiesen (siehe hier und hier). In einem Interview, das im Magazin brandeins abgedruckt ist, erklärt ein Mathematiker seine Aussage.

Hier ein Auszug:
brandeins: Zweifeln Sie die Klima-Erwärmung an?
Ortlieb: Nein, keinesfalls. Die Leute, die den Klimawandel prognostizieren, machen das nach bestem Wissen. Sie arbeiten mit qualitativ hochwertigen Methoden und mit einigermaßen gehärteten, naturwissenschaftlichen Daten. Diejenigen, die ihn anzweifeln, haben ja im Vergleich null Begründung. Dennoch sind die Zahlen, die genannt werden, nichts anderes als die verkürzte Darstellung einer wissenschaftlichen Hypothese. Und jeder Hypothese sollte man mit Skepsis begegnen, darin besteht Wissenschaft. Letztlich haben wir in den Klimawissenschaften dieselbe Situation wie bei der Volkswirtschaftslehre oder den Gesellschaftswissenschaften: Man kann keine Experimente machen. Die Zahlen beruhen nicht auf Erfahrung, sie sind eine reine Prognose und das Ergebnis von mathematischen Modellen. In Wahrheit weiß niemand so genau, welche Temperatur wir im Jahr 2100 haben werden.“

Sascha Liebermann