„Ökonomie neu denken: das bedingungslose Grundeinkommen“ – eine Diskussion im Schweizer Radio SRF

Originalsendung im Radio SRF: „Ökonomie neu denken: das bedingungslose Grundeinkommen“

Für diese Sendung wurden die Theologin Ina Praetorius und der Theologe Torsten Meireis (Professor an der Universität Bern) interviewt. Entgegen einer verbreiteten Deutung, die das Bedingungslose Grundeinkommen als nicht vereinbar mit dem Protestantismus hält, führen die beiden Theologen aus, dass sie dies nicht so einschätzen. Vor vielen Jahren hatte in diesem Sinne sich schon Bischof Dr. Hans Christian Knuth (Wikipedia) geäußert. Nachfolgend kommentiere ich ausgewählte Äußerungen, die sinngemäß zitiert werden.

Ina Praetorius hebt die bedingungslose Liebe Gottes heraus, das BGE sei ihre sozialpolitische Umsetzung und insofern konsequent. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens korrespondiere mit der bedingungslosen Zuwendung zum anderen Menschen. So würden endlich diejenigen Tätigkeiten Anerkennung finden, ohne belohnt zu werden, die heute als unbezahlte „Arbeit“ zum Privatvergnügen herabgesetzt werden.

Das BGE sei keine Patentlösung, es berge die Gefahr, Menschen damit ruhigzustellen – andere nennen das Stilllegungsprämie. Diese Schlussfolgerung halte ich wiederum für gefährlich, um den Ausdruck zu übernehmen. Jemanden ruhigzustellen erfordert, selbst wo es um Medikamentierung geht, in der Regel die Zustimmung dessen, der ruhiggestellt werden soll. Wenn eine Ruhigstellung nicht gewollt ist, muss derjenige sich dagegen wehren, der nicht ruhiggestellt werden will. Übertragen wir das auf ein ganzes Staatsvolk, darum geht es bei der Eidgenössischen Volksinitiative, geht es nicht um Einzelne. Wo liegt da nun die Gefahr? Selbst wenn die Bürger sich ruhigstellen ließen, müsste dies als Haltung doch auch ernst genommen werden. Das sieht Ina Praetorius offenbar nicht so und setzt dieser Gefahr dann auch ein emanzipatorisches BGE entgegen, das die Menschen befähige, sich zu entscheiden. Sofern damit nicht gemeint sein soll, dass diese Entscheidungen einen bestimmten Inhalt annehmen sollen, dann würde auch die Entscheidung, sich ruhigstellen zu lassen, eine legitime Entscheidung sein. Oder etwa nicht? Wer bestimmt darüber?

Diese Einschätzung würde ich auch für die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gelten lassen. Sie ist historisch-kulturell gewachsen, das erklärt teils ihr Beharrungsvermögen, aber nicht nur. Familiensoziologisch gesprochen lässt sich z. B. die mit Elternschaft einhergehende Verantwortung nicht einfach organisatorisch gleichmäßig aufteilen. Das ist dort möglich, wo die mit dieser Verantwortung einhergehenden Aufgaben beziehungsunspezifisch sind, d. h. bei Haushaltstätigkeiten wie Reinigung, Essenszubereitung, Hygiene und ähnlichem. Sie kann jeder – lässt man einmal Vorlieben und Neigungen außer Acht – gleichermaßen erledigen. Die frühe symbiotische Beziehung von Mutter und Kind lässt sich jedoch nicht einfach auf den Vater übertragen (siehe z. B. hier und hier) wenngleich seine Präsenz trotzdem wichtig ist: um die Mutter zu entlasten, um in die Position des Vaterseins hineinzufinden (was sich für Männer schwieriger gestaltet, also aufwendiger ist) und um für seine Partnerin als Partner – nicht als Haushaltsgehilfe – da zu sein. Die Beziehungen zum jeweiligen Kind sind aber nicht identisch und deswegen wechselseitig nicht (ohne Einbußen) ersetzbar. Um so wichtiger wäre es, dass Väter viel präsenter sind im Familienleben, als das bisher der Fall ist (weitere Beiträge zum Thema Familie). Ein BGE würde, das sagt Ina Praetorius dann auch, genau das möglich machen.

Sollte aber nun Paaren untersagt werden, dazu eine traditionale Haltung, was heute kaum mehr möglich ist, einzunehmen? So weit würde Ina Praetorius womöglich nicht gehen, verhindern lässt sich das jedoch ebensowenig, sofern das BGE ermöglichen soll, sich frei zu entscheiden. Warum aber ist das dann eine Gefahr? Nur, wenn man diese Option ausschließen möchte, das geht aber in einer Demokratie nicht, es sei denn, man wollte umerziehen (siehe auch hier).

Was allerdings der Fall sein wird mit einem BGE, ist, dass triftige Argumente, die es heute für manche Entscheidungen gibt, nicht mehr greifen werden. Dass Eltern sich heute, wenn sie Zeit für die Kinder haben wollen, entscheiden müssen, wer zuhause bleibt und wer erwerbstätig ist, entspringt der Erwerbsverpflichtung. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Höhe des Einkommens Ausschlag gibt, sofern beide Einkommen auskömmlich sind. Teilzeittätigkeit für beide ist nicht unbedingt eine bessere Lösung, weil sie den Koordinationsaufwand erhöht, doppelte Verpflichtungen für beide schafft, nicht aber die Möglichkeiten verbessert, auf die Bedürfnisse, Sorgen und Nöte der Kinder schnell zu antworten, indem man verfügbar ist. Je kleiner die Kinder, desto wichtiger ist das. Das BGE ist kein Hausarbeitslohn und auch keine Herdprämie, wie manche Kritiker und besorgte Befürworter meinen. Es schützt aber jedoch nicht davor, dass das BGE dennoch so gedeutet wird. Wer will, dass Entscheidungen auf der Basis eines BGE nur in bestimmte Richtungen führen dürfen, verkehrt es in sein Gegenteil. Das wäre also ganz und gar nicht „emanzipatorisch“.

Torsten Meireis gibt zu bedenken, dass Grundeinkommen nicht gleich Grundeinkommen sei, man müsse genau hinschauen, der Initiativtext allerdings lasse das nicht zu. Die entscheidenden Fragen bleiben offen, was kürzlich schon Thomas Straubhaar monierte. Das genau könne für die Initianten zum „Eigentor“, das Vorhaben damit zum „Totengräber des Sozialstaats“ (siehe auch hier und hier) werden. Wie kommt Meireis zu diesen Befürchtungen?

Jedes Vorhaben kann selbstverständlich gegen sich selbst gewendet werden, davor gibt es keinen Schutz bzw. nur einen: dass die Mehrheit genau nicht will, dass eine Sparversion BGE umgesetzt wird. Um noch weiter zu gehen, muss festgehalten werden, dass allerdings auch dies demokratisch legitim wäre. Doch entscheidet nicht der Einzelne, wie der Sozialstaat auszusehen hat, sondern die Willensbildung, die sich dann in Mehrheiten ausdrückt, die Minderheiten nicht einfach unterdrücken.

Meireis fragt dann, wie man diejenigen, die das Ganze bezahlen müssen, dazu motivieren könne, es zu tun. Diese Frage ist einigermaßen verwunderlich, denn „bezahlen“ muss das BGE das Gemeinwesen und seine Folgen aushalten ebenso. Wer fragt denn danach, wie wir diejenigen motivieren, die all die unbezahlte Arbeit leisten, für die sie heute wenig bis gar nichts erhalten (außer Anerkennungspunkten in der Rentenversicherung)?

Eine demokratische Entscheidung kommt nur zustande, wenn eine Mehrheit es will, dann wäre die Mehrheit auch bereit, die Folgen eines BGE zu tragen, eine solche Entscheidung wäre demokratisch bindend. Und wer sie wieder aufheben will, muss sich mit demokratischen Mitteln wiederum um die Willensbildung gegen ein BGE bemühen.

Meireis befürchtet ebenfalls, dass Frauen wieder stärker vom Arbeitsmarkt verdrängt werden könnten, denn angesichts ungleicher Löhne, könne der Mann doch sagen, er habe das höhere Einkommen, also gehe er „arbeiten“. Damit übersieht er jedoch, dass die Höhe des Einkommens, wenn man haushaltsbezogen denkt (BGE kumuliert in einem Haushalt), nicht mehr dieselbe Rolle spielte wie heute. Sie wäre gar kein Argument mehr, um die Arbeitsteilung zu befestigen, es sei denn die Eltern bevorzugten einen Lebensstandard, der entsprechend hohe Einkommen erforderte. Doch kein Erwerbseinkommen der Welt kann einem die Zeit verschaffen, die durch Erwerbstätigkeit für die Familie, also auch für die Kinder, verlorengeht. Es geht also vielmehr, als Meireis zu erkennen gibt, um die Frage, was einem wichtig ist (sofern das BGE ausreichend hoch wäre). Wenn einem die Einkommenshöhe trotz BGE wichtig ist, dann ist die Verantwortung für die Arbeitsteilung in den Händen der Eltern bzw. des Paares.

Interessant sind beider Ausführungen zum Verhältnis von Protestantismus/Puritanismus zum BGE. Die Menschen seien in doppelter Weise berufen, sagt Meireis, in die Gemeinde Christi und zum Dienst am Nächsten. Die Berufung zum Dienst am Nächsten in Liebe ist es, die Anlass zum Tätigwerden ist. Die protestantische (Arbeits-)Ethik ist deswegen keine, die sich an Erwerbsarbeit orientiert. Das halten beide für eine Fehldeutung und Meireis hebt noch hervor, dass sich hier auch eine Fehldeutung der Untersuchungen Max Webers fortschleppt, der nicht die protestantischen Lehrdokumente untersucht habe, sondern was daraus alltagsweltlich geworden sei.

Es mag der theologische Zugang sein, der vor allem Meireis übersehen lässt, dass es auch eine säkulare Gemeinschaftsbildung und ein Dienen gibt, für die die moderne Demokratie der Ort ist. Wir – weder in der Schweiz noch in Deutschland – sind gerade keine „Arbeitsgesellschaft“, was er offenbar an anderer Stelle behauptete, sondern eine Bürgergemeinschaft (siehe hier und hier), auch wenn uns das wohl nicht genügend klar ist. Ein Blick in die Schweizer Bundesverfassung ist hier hilfreich. Das Dienen ist in der Demokratie in säkularer Form erhalten, und zwar in Gestalt des Gemeinwohls, dem zu dienen ist. Es ist aber ein Gemeinwohl, das zugleich den Wert des Individuums in seiner Einzigartigkeit anerkennt. Dieses Gemeinwohl ist weder an eine transzendente Instanz gebunden, noch an einen religiösen Inhalt. Das Gemeinwohl muss durch die öffentliche Auseinandersetzung im Gemeinwesen stets wieder von Neuem bestimmt werden. Gerade durch diesen Zusammenhang einer politischen Vergemeinschaftung erfährt derjenige, der ihr zugehört, eine außerordentliche Wertschätzung, denn seine Zugehörigkeit ist bedingungslos, sein Status als Staatsbürger entspricht dem. Die Bürger eines Gemeinwesens sind also im höchsten Maße einbezogen, während sie in Erwerbsarbeit, auf deren Bedeutung Meireis abhebt, nur um der Erledigung einer Aufgabe willen einbezogen sind. Dass auch dort die Erfahrung gemacht werden kann, etwas Sinnvolles zu tun, widerspricht dem nicht. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist also weniger eine „Freiheitsdividende“, es ist wenn schon eine „Demokratiedividende“.

Sascha Liebermann

Subsidiarität und BGE – kein Gegensatz

Immer wieder wird gegen das Bedingungslose Grundeinkommen eingewandt (z.B. hier), dass es gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoße. Dieses Prinzip ist folgendermaßen definiert:

„Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte deutlich bestätigt, dass unter den veränderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können, so muss doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische Grundsatz fest gehalten werden, andern nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“ (Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO, Abschnitt 79)

Deutlich wird schon zu Beginn des Abschnitts, dass nicht feststehende Aufgaben zugewiesen werden, sondern Aufgaben im Verhältnis dazu stehen, ob ein „kleineres Gemeinwesen“ sie tragen kann. Es bedarf also eines steten Abwägens und Prüfens, welche Aufgaben im Wandel der Verhältnisse von welcher Einheit der Gemeinschaft getragen werden können. Es handelt sich um kein statisches oder Aufgaben dogmatisch festschreibendes Prinzip. Der sozialphilosophische Grundsatz, an dem festgehalten werden soll, vertraut in die Kräfte des Einzelnen, er soll gestärkt werden, ohne dass damit eine individualistische Vorstellung vom Einzelnen betont wird. Denn der Einzelne ist immer Einzelner im Gemeinwesen, weswegen ihm nicht Aufgaben abgenommen werden sollen, die er bewältigen kann, das Gemeinwesen aber helfen muss, wo ohne Hilfe der Einzelne geschwächt würde. Überlassen werden soll ihm bzw. den kleineren Gemeinwesen nur, was sie zum guten Ende führen können. Was er tragen kann und was ihn überfordert, ist also stets zu erwägen und gegebenenfalls vom Gemeinwesen zu übernehmen.

Aus dem Subsidiaritätsprinzip kann also keinesfalls abgeleitet werden, dass die Einkommenserzielung dem Einzelnen überlassen werden muss, wie immer wieder behauptet wird, denn von ihr ist nicht die Rede. Mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist auch ein BGE, denn der Einzelne wird durch es gestärkt und es erlaubt ihm, Aufgaben wieder in die Hand zu nehmen, die das Gemeinwesen ihm abgenommen hat. Deswegen sprechen wir auch davon, dass das BGE einen starken und zurückhaltenden Staat zugleich ermöglicht. Stark muß er sein, wo es gilt, den Einzelnen in seinen Fähigkeiten zu schützen und zu fördern; zurückhaltend muss er sein, wo es seiner Hilfe nicht bedarf. Auch dies ist nicht einfach festzuschreiben, sondern stets zu erwägen.

Auf die Vereinbarkeit christlicher Traditionen insbesondere des viel gescholtenen Protestantismus mit dem BGE ist – entgegen anderer Stimmen – von Bischof Knuth ausdrücklich hingewiesen worden. Die christliche Tradition ist – auch nicht der Apostel Paulus, worauf wiederholt hingewiesen wurde – kein Gewährsmann gegen das BGE.

Sascha Liebermann

"Grundeinkommen in theologischer Sicht"

Anläßlich einer Tagung in Hamburg im vergangenen November hat Bischof Dr. Hans-Christian Knuth, Mitglied des Bischofskollegiums der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, ein außerordentlich interessantes Referat über Grundeinkommen in theologischer Sicht gehalten. Die darin hergeleitete theologische Begründung für ein Bedingungsloses Grundeinkommen läßt sich leicht in eine säkulare Herleitung übersetzen. Wie die Staatsbürgerschaft in einem demokratischen politischen Gemeinwesen bedingungslos verliehen wird, so würde auch das Grundeinkommen gewährt: bedingungslos. Erst mit diesem Schritt werden die Bürger um ihrer selbst und damit das Gemeinwesen um seiner selbst willen anerkannt – und nicht, weil es einem Zweck jenseits seiner selbst dient.