„Stellungnahme zu Ralph Boes Sanktionshunger“ – Antwort auf den offenen Brief von Diana Aman

Am 12. August schrieb mir Diana Aman in einem offenen Brief, der im Newsticker von „Wir sind Boes“ veröffentlicht wurde. Sie bezieht sich auf meine Stellungnahme zur Aktion von Ralph Boes, der seit dem 1. Juli im Sanktionshunger ist, wie er es selbst bezeichnet.

„Sehr geehrte Frau Aman,

vielen Dank für Ihr Schreiben, auf das ich gerne antworte.

Dass ich das Ziel der Aktion teile, ist klar, der Weg dahin ist es, den ich nicht teile.

In meiner Stellungnahme vom 8. Juli (nicht 3. Juni, wie Sie schreiben) ging es mir darum, deutlich zu machen, dass die Gestaltung des Zusammenlebens in einer politischen Gemeinschaft von Bürgern nicht vor allem juristisch zu erreichen ist. Wenn ich dort für eine öffentliche Debatte bzw. Willensbildung über die Sozialgesetzgebung, damit auch die Sanktionspraxis, plädiere, dann deswegen, weil in einem demokratischen Gemeinwesen nur ein Ort für die Willensbildung besteht: die Öffentlichkeit. Im Parlament muss die Willensbildung dann zu einem Gesetz führen, in dem sich der politische Wille verbindlich zum Ausdruck bringt. Ein Gesetz, das ein Gemeinwesen nicht mehr haben will, weil es zu der Auffassung gelangt ist, dass es ihm nicht mehr entspricht, muss durch das Parlament aufgehoben werden. Nur so ist die Sanktionspraxis dauerhaft zu beenden. Wobei wir uns darüber klar sein müssen, dass damit das heutige Prinzip der Bereitstellung von Leistungen überhaupt in Frage gestellt ist. Es kann keine nach heutigen Verfahren durchgeführten, bedürftigkeitsgeprüften Leistungen geben, die nicht mit Sanktionsmöglichkeiten – also Leistungsentzug – verbunden sind.

Wenn Sie in ihrer ersten Anmerkung schreiben:

„Ich halte allein die Anfrage beim Bundesverfassungsgericht schon für einen Akt der öffentlichen Willensbildung, welcher die Bürger schon jetzt (und auch hinterher je nach Entscheid) vor die Frage stellt, welche Form des Umganges mit arbeitslosen Menschen sie befürworten oder in Zukunft anstreben wollen“.

Wenn Sie anmerken, dass die Anfrage beim Bundesverfassungsgericht schon ein Akt der Willensbildung sei, so möchte ich folgendes zu bedenken geben. Nicht erst durch die Anfrage an das BVerfG muss jeder dazu Stellung beziehen. Die Gesetze, die nun geprüft werden, sind ja schon durch einen Willensbildungsprozess hindurchgegangen, sonst hätten wir sie gar nicht. Die Gesetze sind eine Stellungnahme nach dem Mehrheitsprinzip. Wiederholt waren die Sanktionen Gegenstand von Prüfungsverfahren (z.B. Petitionen), es fand sich aber keine Mehrheit, um sie aufzuheben. Wir müssen also ernst nehmen, dass die Mehrheit der Bürger nicht gegen Sanktionen ist. Das ist nicht überraschend, da Sanktionen schon vor der heutigen Gesetzgebung in der Sozialgesetzgebung vorgesehen waren. Einzig die Verschärfung der Gesetze ist das neue an „Hartz IV“

Die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht reduziert die Frage der Willensbildung auf eine Frage der juristischen Angemessenheit. Geprüft wird nur, ob ein Gesetz im Einklang mit dem Grundgesetz ist. Gesetze müssen dazu nach juristischen Methoden ausgelegt werden – das hat jüngst der Gothaer Richter Petermann nochmals betont. Das BVerfG prüft und urteilt. Aus gutem Grund hat es keine Durchsetzungsmacht, um seinen Urteilen zur Geltung zu verhelfen. Das Parlament wird durch ein Urteil aufgerufen, dieses Gesetz zu überarbeiten bzw. es dem Urteil entsprechend zu verändern. Wann das geschieht und wie, ist vollkommen offen, weil es nicht erzwungen werden kann. Willensbildung und Rechtsprüfung sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Aus dem einen folgt nicht das andere. Nur dadurch, dass wir in Öffentlichkeit und Parlament Willensbildung betreiben, wird eine Veränderung wirklich.

Ihre zweite Anmerkung lautet:

„Halte ich das Bundesverfassungsgericht für ein mögliches Korrektiv, auch der Mehrheit der Bevölkerung ins Bewusstsein zurück zu rufen, auf welche Abwege wir inzwischen möglicherweise geraten sind, um anschließend die politische Willensbildung neu zu gestalten“.

Sie erkennen in einem möglichen Urteil ein Korrektiv. Juristisch kann es das sein, was die Frage betrifft, ob ein Gesetz mit der Verfassung übereinstimmt. Politisch jedoch gibt es großen Rückhalt für die Sanktionen, sonst wäre es zu der Gesetzgebung gar nicht gekommen – und zwar parteiübergreifend. Meine langjährige Erfahrung mit der Grundeinkommensdiskussion hat mir eines in aller Deutlichkeit gezeigt: die außerordentlich große Bereitschaft, andere auf den „richtigen Weg“ zu drängen, dafür sind Sanktionen in den Augen vieler offenbar ein wichtiges Instrument. Öffentliche Willensbildung wäre der Ort, um herausfinden, ob nicht Abkehr von dieser Haltung möglich ist, das geht nur mit Argumenten und Offenheit gegenüber dem anderen. Was machen Sie denn, wenn das BVerfG die Sanktionspraxis für legitim hält? Würden Sie dann das Urteil als falsch ablehnen? Mit welchem Recht würde das wiederum geschehen, wenn sie zugleich zuvor das Gericht als Entscheidungsinstanz anrufen? Von seinem Urteil darf die politische Willensbildung nicht abhängen in meinen Augen, sonst entmündigen wir uns selbst.

Sie schreiben dann, während Sie mich zuerst zitieren:

„Das eigene Leben jedoch gegen eine demokratische legitimierte Gesetzgebung einzusetzen, richtet die Grundlage der Demokratie, die Würde des Menschen, gegen die Demokratie selbst.“ An dieser Stelle möchte ich widersprechen: Denn ob die Gesetzgebung wirklich demokratisch legitim ist, ist hier die große Frage.“

Woran beurteilen Sie das? Das Parlament als Repräsentant des Souveräns hat dieses Gesetz bzw. diese Gesetze verabschiedet, damit sind sie legitimiert und solange in Kraft, bis sie aufgehoben werden. Andere Verfahren haben wir dafür nicht. Wenn Sie die Legitimität der Gesetzgebung in Frage stellen, müssen Sie sich auf eine andere Legitimationsquelle berufen. Welche sollte das sein? Und wenn Sie sich auf eine andere Geltungsquelle berufen, sprechen Sie dem Parlament die Legitimität ab. Dann würden Sie sich über demokratische Verfahren stellen.

Sie schreiben danach:

„Wäre die Mehrheit der Bevölkerung als auch die Verantwortungsträger in der Politik sich sicher, dass ihre Sanktionspraxis nicht nur legitim, sondern auch legal ist, würde das Sterben eines Bürgers als logische Folge der angewandten Praxis keinerlei Empörung oder Besorgnis hervorrufen.“

Auch wenn ich, wie Sie, die Gesetzgebung für unsäglich halte, deute ich die Reaktion und was sie als „logische Folge“ bezeichnen anders. Ist denn das „Sterben eines Bürgers“ die „logische Folge“ der Gesetzgebung wie Sie schreiben? Gab es keine Stellenangebote? Gab es keine Sachgutscheine für Lebensmittel oder anderes? In den Brandbriefen (Zweiter Brandbrief, Erster Brandbrief) schreibt Ralph Boes jedoch ausdrücklich davon, dass er die Sanktionen provoziert und Angebote oder Hilfen abgelehnt habe. Also handelt es sich nicht um eine „logische Folge“, er hat vielmehr die Sanktionen bewusst herausgefordert. Es wären also Folgen, die entstanden sind, weil dem Gesetz zuwidergehandelt wurde, worauf dann entsprechend der Gesetzeslage geantwortet wurde. Wo letzteres nicht der Fall ist, wäre es eine Gesetzesverletzung.

Die Empörung, auf die Sie hinweisen, ist vor diesem Hintergrund leicht zu verstehen. Ralph Boes setzt das höchste Gut, das menschliche Leben, gegen das Leben der politischen Gemeinschaft in Gestalt seiner Bürger selbst ein. Damit wird das Leben zum politischen Instrument und ist nicht mehr schützenswertes höchstes Gut. Er richtet sich auf diese Weise selbst gegen den Gehalt von Artikel 1 Grundgesetz, auf den er sich beruft. Dass vielen Bürgern die Sozialgesetzgebung und ihre Folgen nicht bekannt sind, weil sie sich darum nicht scheren, rechtfertigt die Aktion nicht. Als Bürger ist jeder dazu aufgefordert, sich mit solchen Fragen zu befassen, mindestens sich zu erkundigen, wenn es notwendig ist. Wer sich informieren will, kann dies auf einfache Weise im Internet tun, sogar Medienberichte hat es in erheblicher Anzahl gegeben. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre Aufklärungsarbeit gefordert, wie es einige Aktivisten und Ralph Boes samt seiner Mitstreiter ja tun.

Sie schreiben weiter:

„Das Problem der Gesetzgebung liegt ja gerade in ihrer scheinbar selbstimmanenten Widersprüchlichkeit zu ebenfalls bestehenden Grundwerten! Diese mögliche Aporie deutlich zu machen, die bisher öffentlich verborgen bleiben konnte, ist ja das Anliegen von Ralph Boes.“

Es muss öffentlich darüber gestritten werden, was unter Menschenwürde zu verstehen ist. Diese Frage stellt sich stets von neuem und ist niemals abgeschlossen. Um die Widersprüchlichkeit – wobei das ja gerade strittig ist – deutlich zu machen, reicht es aufzuklären.

„Demokratie erfordert Transparenz und Offenlegung aller Tatsachen. Ralph Boes legt durch sein Sanktionshungern nun unmissverständlich dar, welches die Folgen des SGBII im schlimmsten Falle sind, so dass das Bild über das SGBII vollständig wird.“

Ralph Boes hat diese Folgen willentlich in Kauf genommen durch die bewusste Provokation von Sanktionen. Er verweigert die Annahme von Gutscheinen und folgt den Aufforderungen der Jobcenter nicht, wenn ich recht informiert bin. Dazu wäre er vom Gesetz aber gerade verpflichtet. Dass die Jobcenter anders reagieren könnten, das aber nicht zu tun scheinen, steht auf einem anderen Blatt. Entscheidend aber ist, dass mit dem Hungern das höchste Gut, das menschliche Leben gegen andere eingesetzt wird, wo es auch andere, dieses Leben nicht gefährdende Mittel gäbe.

„Erst jetzt kann sich die Bevölkerung eine echte Meinung bilden. Die Aktion ruft deutlich zu politscher Willensbildung auf, indem sie jeden Einzelnen anregt, sich bezüglich dieses Gesetzes zu positionieren. Ralph Boes bezeichnet seine Aktion folglich auch als „Experiment mit der Wahrheit“.“

Was heißt „echte Meinung“? Es gab ohne die Aktion genügend Möglichkeiten, sich dazu eine Meinung zu bilden. Wiederholt wurde in den Medien über die Gesetzgebung und mögliche Folgen berichtet in den vergangenen Jahren. Es gibt etliche Veröffentlichungen dazu, es gab Anhörungen im Petitionsausschuss.

Ist Willensbildung, die unter Einsatz des Lebens betrieben wird, frei? Sie lässt den anderen gerade nicht in seiner Willensbildung frei, sie stellt ihn vor die Alternative: Leben oder Tod. Statt auf die Einsicht durch Argumente zu setzen, wird die Basis jeglichen Argumentierens – das Leben selbst – als Instrument benutzt. Willensbildung hingegen setzt Leben voraus, nur deswegen kann sie plural sein. Das Leben gegen die nach demokratischen Verfahren zustandegekommen Gesetze zu richten, richtet sich gegen die politische Ordnung, die den Schutz menschlichen Lebens in ihr Zentrum stellt: die Demokratie.

Sascha Liebermann

„Eingriff in Grundrechte“…

…unter diesem Titel berichtet die junge welt von einer Veranstaltung mit dem Gothaer Richter Jens Petermann über die Sanktionspraxis der Jobcenter und die dazu bestehende Gesetzgebung (siehe frühere Meldungen bei uns hier). Petermann gehört der Kammer des Gothaer Sozialgerichts an, die im Juni das Bundesverfassungsgericht zu einer Klärung angerufen hat, ob die Gesetzgebung und Sanktionspraxis verfassungsgemäß ist. Eine Passage aus dem Artikel sei hier zitiert:

„Petermann sprach von einer juristischen und einer politischen Ebene, auf der die Praxis angegangen werden müsse. Letztere beschreibe die Stimmung, unter der die Agenda entstanden ist und fortgeführt wird. »Die Mehrheit ist meiner Einschätzung nach pro Sanktionen«, sagte er. Dabei spiele das Menschenbild vom »faulen Erwerbslosen« und gleichzeitiges Ausblenden wirtschaftlicher Faktoren eine tragende Rolle. Hier seien kritische Politiker gefordert. Bundestagsfraktionen könnten beispielsweise eine Normenkontrollklage in Karlsruhe erwirken. Diese würden in der Regel schneller beschieden als Richtervorlagen…“

Auf diesen Umstand habe ich meinem Beitrag zur Aktion von Ralph Boes hingewiesen. Die Gesetze, die die Sanktionspraxis ermöglichen, sind nach demokratischen Verfahren zustande gekommen, dadurch sind sie legitimiert. Wer sie für nicht legitim hält, muss dagegen mit politischen Mitteln vorgehen, wobei stets vorausgesetzt bleiben muss, dass die Würde des Menschen Grundlage jeden Handelns bleibt. Das ist eine eminent politische und keine juristische Frage. Sich über die Geltung des Rechts einfach hinwegzusetzen ist ein Willkürakt und zieht – wir vor etlichen Jahren in der Diskussion um zivilen Ungehorsam deutlich wurde – entsprechende Konsequenzen nach sich. Die Geltung des Rechts muss dann wiederhergestellt werden. Die Alternative wäre, sich der Rechtslage zu beugen, so bitter das für jeden sein muss, der mit ihr nicht einverstanden ist. Ein nach demokratischen Verfahren zustandegekommenes Gesetz steht in seiner Geltung jedoch über dem Einzelnen.

Petermann wird weiter so zitiert:

„…Juristisch gehe es um die Auslegung von Gesetzen. Die sei sehr unterschiedlich. So deklarierte das BVerfG das physische und soziokulturelle Existenzminimum als »dem Grunde nach unverfügbar«. Aus dem Zusatz »dem Grunde nach« bastelten einige »Experten« die Einschränkung, dass Bedürftige verpflichtet werden könnten, ihr Minimum nur unter Einhalten von Auflagen zu erhalten. »Das ist schlicht falsch«, rügte Petermann. Ein weiteres Problem sieht er darin, dass Jobcenter bei Klagen von Betroffenen von der Zahlung der Gerichtskosten ausgenommen seien. Andere Behörden und Krankenkassen müssten etwa 150 Euro pro Verfahren löhnen. »Hätten Jobcenter auch diesen Druck, würde sich vielleicht etwas ändern«, vermutet Petermann.“

Wie Petermann selbst herausstellt, ist die juristische Frage eine, in der es um die Auslegung von Gesetzen im Verhältnis zur Verfassung geht. Es geht also nicht mehr um demokratische Verfahren, sondern um juristische Methodenlehre. Petermann legt die Verfassung anders aus, als es bisher getan wurde, andere legen sie anders aus. Wenn er davon spricht, dass die hier monierte Auslegung „falsch“ sei, ist das dann eine Schlussfolgerung aus der juristischen Auslegungstechnik oder eine aus einem politischen Werturteil? Nehmen wir den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Gesetzeslage und Sanktionspraxis für verfassungsgemäß hielte, was dann? Sollte deswegen das politische Ringen um eine Veränderung unterlassen werden? Natürlich nicht, da es hierbei nicht um juristische Auslegungstechnik geht, sondern um Willensbildung. Das Bundesverfassungsgericht fragt und prüft nicht, wie wir zusammenleben wollen, genau darum jedoch geht es jedoch in der Diskussion und in der Aktion von Ralph Boes. Die Selbstbestimmung des Souveräns einer politischen Ordnung, also der Gemeinschaft von Bürgern, findet ihren entscheidenden Ausdruck gerade in der Gesetzgebung. Sie findet im Parlament statt. Aus gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht keine Durchsetzungsmacht, es kann keine Exekutive beauftragen, seine Urteile durchzusetzen. Das sollten wir ernst nehmen.

Ohnehin ist es eine sonderbare Eigenheit des Grundgesetzes, die Würde des Menschen nicht in ihrer Geltung vorauszusetzen und sich zu ihr in der Präambel zu bekennen, wie es in anderen Verfassungen der Fall ist. Das Grundgesetz erhebt mit Artikel 1 die Würde zu einem Wert, der erst durch es geschaffen werde. Eine Abschaffung oder Außerkraftsetzung der Verfassung würde dann eine Abschaffung oder Außerkraftsetzung der Würde zur Folge haben. Das wäre die Konsequenz daraus, die Würde des Menschen juristisch zu betrachten, nicht politisch.

Sascha Liebermann

Ralph Boes‘ „Sanktionshungern“ dauert an

Vor etwas mehr als vier Wochen hat Ralph Boes wieder mit dem „Sanktionshungern“ begonnen. Wir haben in einem Beitrag darauf hingewiesen und Sascha Liebermann hat dazu Stellung bezogen, wie er zu der Haltung steht, mit der um den Preis des eigenen Lebens für ein politisches Ziel gekämpft wird. Die Aktion hat Befürwortung wie Kritik gefunden, eine differenzierte Kritik von Inge Hannemann. Die Originalquelle bei Facebook konnten wir leider nicht finden.

Nachtrag vom 14. August: Ralph Boes hat mittlerweile auf Inge Hannemann erwidert.

Ralph Boes hat am 1. Juli mit dem „Sanktionshungern“ wieder begonnen

Nach zweieinhalb Jahren „Totalsanktion“ durch das Jobcenter Berlin-Mitte hat sich Ralph Boes entschlossen, das Sanktionshungern wieder aufzunehmen. Im Jahr 2012 hatte er schon einmal gehungert, um auf die Folgen der Sanktionen im Sozialgesetzbuch hinzuweisen. Nun will er noch weiter gehen. Folgende Begründung hat er an das Jobcenter geschrieben (vollständige Fassung hier):

Ralph Boes hat am 1. Juli mit dem „Sanktionshungern“ wieder begonnen weiterlesen

„Auf dem Weg…“ – Ralph Boes unterwegs

Heute startet Ralph Boes (siehe hier und hier) seine „Tour“ durch Deutschland, auf der er über die Auswirkungen heutiger Sozialpolitik (Arbeitslosengeld II usw.) informieren, mit Betroffenen ins Gespräch kommen und auf Alternativen aufmerksam machen möchte. Zentral natürlich hierfür ist das Bedingungslose Grundeinkommen.

Der Geist von Hartz IV – bei Maischberger und Anne Will

Zweimal bestand in dieser Woche die Möglichkeit, den Geist der Sozialgesetzgebung in seiner Lebendigkeit zu erfahren. In der ersten Sendung, Menschen bei Maischberger, war durch die Einladung von Ralph Boes und Katja Kipping (Die Linke) auch das Bedingungslose Grundeinkomen Thema (Sendung online verfügbar via youtube). Schon der Titel „Wer arbeitet, ist der Dumme“ zielte auf bestimmte Werthaltungen. So klischeehaft er ist, so sehr fasste er zuspitzend zusammen, weshalb wir Hartz IV haben. Enno Schmidt hat einen guten Kommentar zur Sendung verfasst. Alle vertraten in der Sendung, was sie zu vertreten hatten, eine Diskussion wurde daraus nicht. Schönfärberisch wurde über die Folgen der Sozialgesetzgebung gesprochen, die Anlass der Sendung war. Dabei hätte sachlich darüber diskutiert werden können, was es für unser Gemeinwesen bedeutet, eine solche Sozialgesetzgebung zu haben und ob wir sie zukünftig wollen. Ob wir damit nicht alles untergraben, was für unser Bestehen wichtigt ist: Freiheit, Demokratie, Solidarität und Leistung. Diese Frage ist keine juristische, es geht nicht um Rechtsauslegung, sie ist politisch, es geht um Gestaltung unseres Zusammenlebens.

Das Archiv Grundeinkommen hat einige Presseartikel und andere Stellungnahmen zur Maischberger-Sendung gesammelt.

In der zweiten Sendung, Anne Will, ging es ebenfalls um die Sozialgesetzgebung. Wie in der ersten Sendung erkennen Befürworter wie auch einige Kritiker der Sozialgesetzgebung nicht den Zusammenhang zwischen Anspruchs- bzw. Bedarfsprüfung und Stigmatisierung unter heutigen Bedingungen (mit einem BGE änderte die Bedarfsprüfung für Bedarfe über das BGE hinaus ihren Charakter). Selbst diejenigen, die eine Aufhebung von Sanktionen befürworten, meinen, damit wäre ein Sicherungssystem geschaffen, das Druck von den Menschen nähme (siehe hier und hier). Das kann getrost als naiv betrachtet werden, denn nicht die Sanktionen alleine erzeugen die Stigmatisierung, sie verstärken sie nur. Der Status der Notfallleistungen, die nach Anspruchs- bzw. Bedarfsprüfung stets nach Maßgabe des Vorrangs von Erwerbstätigkeit gewährt werden, ist es, der die Stigmatisierung bedingt. Wer aber, wie auch einige Kritiker der Sanktionen (die häufig den „alten“ Sozialstaat verteidigen), die das Sozialgesetzbuch vorsieht, den Vorrang von Erwerbstätigkeit für richtig erachtet, nimmt die Stigmatisierung in Kauf.

Wertvoll, wirkliche Arbeit ist eben nur Erwerbsarbeit – alles andere ist ein schönes Hobby. Markus Söder bemerkte gar nicht, wie er durch seine Ausführungen in der Maischberger-Sendung, das Engagement seiner Frau, die sich um ihre vier Kinder kümmert, herabwürdigte. Diese Herabwürdigung ist eine Folge der Überbewertung von Erwerbstätigkeit und degradiert Familie ebenfalls zu einer nachgeordneten Angelegenheit.

Sascha Liebermann