Methodische Beschränktheit – es handelt sich bei dieser Studie um eine standardisierte Befragung, also: Selbsteinschätzung…

…der Eltern, daraus „Bildungsqualität“ abzuleiten, ist abenteuerlich. Selbst die Schlussfolgerungen in der Studie, worauf Sebastian Thieme hinweist, sind nicht zwingend. Fallrekonstruktive Bildungsforschung scheint hier ein Fremdwort zu sein, auch strukturelle Bedingungen von Beschulung unter rigider Schulpflicht in Deutschland müssten ob ihrer Auswirkungen (siehe hier) bei Normalbeschulung bedacht werden und was zuhause womöglich sogar durch individuierten Lernrhythmus besser zu erreichen ist. Die Sache ist also anspruchsvoller, als es eine standardisierte Befragung zu ermitteln erlaubt.

Siehe frühere Beiträge dazu hier. Zur Begrenztheit standardisierter Befragungen siehe hier.

Sascha Liebermann

„Aber eine gute Beziehung aufzubauen, braucht schon Zeit“ – ein anderer Blick auf Schule…

…von Remo Largo in einem Interview für Das deutsche Schulportal. Largo, emeritierter Professor am Zürcher Kinderspital, hat mehrere Jahrzehnte die Zürcher Longitudinalstudien zur kindlichen Entwicklung geleitet und sich schon öfter zu Fragen des Lernens und der Schule geäußert, siehe auch hier. Ähnlich wie seine Überlegungen klingen Ulrich Oevermanns Argumente dafür, die Schulpflicht abzuschaffen, siehe hier. Der Leistungsdruck ist nicht ohne die Bedeutung von Erwerbstätigkeit zu verstehen, die Art der Schule ist damit alleine aber nicht zu erklären, denn kaum ein Land kennt eine so rigide Schulpflicht wie Deutschland, in der ihre Einlösung an staatliche Schulen und vergleichbare anerkannte gebunden ist. Homeschooling ist nicht vorgesehen.

Sascha Liebermann

„Ist es sinnvoll, junge Arbeitslose in Beschäftigung zu zwingen?“ – Anke Hassel reagiert auf Zuschriften

Offenbar erhielt Anke Hassel auf ihren Beitrag in der Süddeutschen Zeitung „Süßes Gift“ (siehe meinen Kommentar) viele Zuschriften. Auf Facebook reagierte sie noch einmal mit einer zusammenfassenden Stellungnahme.

Der Platz in einer Zeitung erlaube es nur, Argumente zu umreißen und darüber hinaus gebe es keine Erkenntnisse darüber, wie ein BGE wirken würde. Kritik richte sich gegen ihre Ausführungen dazu, wie es auf Jugendliche und ihre Bildungsambitionen wirken könne. Sie fasst zusammen:

„Die Annahme ist die folgende: Wenn ein 18jähriger Schulprobleme hat (weil die Schule schlecht ist oder er schlecht deutsch spricht z.B.) und dann die Wahl hat sich entweder weiter durch die Schule zu quälen, eine Ausbildung zu machen und dann eventuell als Polizist zu arbeiten oder zu wissen, dass er auch ohne Anstrengung ein Auskommen hat, dann befürchte ich, dass mehr junge Menschen mit Schwierigkeiten den zweiteren Weg gehen. Ist das überheblich oder paternalistisch? So sehr wie die Schulpflicht paternalistisch ist, weil Jugendliche nicht selbst darüber entscheiden sollen, ob sie zur Schule gehen.“

Ist das nun eine rhetorische Frage? Offenbar nicht. Da Frau Hassel eine allgemeine Aussage trifft, ist sie von großer Bedeutung. Sie beruft sich selbst darauf, dass sie ein bestimmtes Handeln „befürchte“. In der Tat ist es paternalistisch, dann mit einer allgemeinen Lösung zu antworten, die nicht auf Selbstbestimmung setzt. Diesen Jugendlichen könnten selbstverständlich doch Angebote unterbreitet werden, aber auf einer anderen Basis als der „Schulpflicht“, Angebote eben, die ausgeschlagen werden können. Alleine, dass diese Option nicht vorgesehen ist, könnte ja schon zur Problemlage beitragen (viele Länder kennen nur eine Beschulungspflicht – sie erlaubt Homeschooling -, aber keine Schulpflicht). Die Schule ist ja nicht das Elternhaus, ebensowenig wie das Gemeinwesen eines ist.

Vorsicht oder Bedacht walten in Anke Hassels Ausführungen nicht, obwohl sie sich nur auf ihre Einschätzung stützt, auf sonst nichts. Es könnten die Gründe dafür differenziert erworgen werden, weshalb ein junger Mensch eine solche Haltung gegenüber der Schule hat, welchen Beitrag Lehrer dazu leisten, welchen die allgemeinen öffentlichen Debatten usw. Davon hinge nämlich ab, worin das Problem liegt und ob denn die allgemeine Schlulpflicht eine angemessene Problemlösung darstellt. Man kann nun nicht behaupten, dass es eine solche Diskussion nicht in differenzierter Form gäbe (siehe hier). Will man das differenziert betrachten, ist ein holzschnittartiges Beispiel wie oben wenig hilfreich.

Davon abgesehen muss gefragt werden, ob der Beispiel-Fall denn einer aus der Zukunft mit BGE ist? Treffen Jugendliche solche Entscheidungen nach Abwägen? Heute verlassen Jugendliche die Schule ohne Abschluss, ohne dass die allgemeine Schulpflicht das verhindern könnte. Ähnliche Erfahrungen machen auch Jugendämter mit Familien, die sich nicht erreihen lassen wollen. Und weil all das so ist, weil es also Menschen gibt, die wir nicht erreichen, soll allen gleichermaßen misstraut werden. Weil das solch schwierige Lebensgeschichten gibt, darf keiner ein BGE erhalten? Aus den Ausnahmen werden Regeln geschmiedet?

Sie fährt dann fort:

„Gibt es eine Evidenz außerhalb der Alltagserfahrung? Das iab hat gerade eine Studie zur Wirkung von Sanktionsmechanismen bei jungen Menschen veröffentlicht, die man so interpretieren kann, dass mehr Sanktionen zu mehr Arbeitsaufnahmen führen. Ist es sinnvoll junge Arbeitslose in Beschäftigung zu zwingen? Da werden sich die Geister scheiden, aber es nicht zu tun ist noch keine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik.“

Was ist damit erreicht, dass mehr Sanktionen zu mehr Arbeitsaufnahmen führen? Darin kann doch nur eine Lösung gesehen werden, wenn „jeder Arbeitsplatz besser als keiner“ ist. Wer sagt, dass die Erfolge geringer wären, wenn mehr Vertrauen entgegengebracht würde? Mehr vertrauen darein, dass jeder erst einmal fähig ist, sich seinen Weg zu suchen – das erwarten wir ohnehin schon, und für den Fall, dass er das nicht ist, auf seine Verantwortung zu setzen, sich Hilfe zu suchen, z. B. in Form von Angeboten, die vorgehalten werden.

Es gibt sehr wohl Studien darüber, auf der Basis fallrekonstruktiver Verfahren, die besser verstehen lassen, wozu eine solche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik führt, ihre stigmatisierenden Folgen, der zerstörerischen Druck, den sie aufbaut (siehe z. B. hier). Diese Art der Forschung jenseits standardisierter Verfahren erlaubt es, Bildungsprozesse in ihrer Individuierungsgeschichte zu verstehen, was die Voraussetzung dafür ist, angemessene Lösungen finden zu können. Sie erlaubt aber auch, allgemeine Einsichten in die Lebensführung zu gewinnen, die sich heute darin bewähren muss, mit den enormen Autonomieanforderungen eines enttraditionalisierten Lebens klarzukommen. Das ist weder etwas Besonderes, noch etwa neu, denn diese Autonomiezumutung ist in unsere politische Ordnung eingeschrieben, die in ihr Zentrum die Staatsbürger als Legitimationsbasis staatlicher Gewalt stellt. In der politischen Grundordnung setzen wir auf diese Selbstbestimmung sehr wohl: Den Souverän bilden die Staatsbürger. In der Sozialpolitik bleibt von ihnen nicht viel übrig. Von ihnen ist womöglich nicht ganz zufällig keine Rede in Anke Hassels Überlegungen.

Sascha Liebermann