Das Geld und die Eigenverantwortung…

…damit trifft BGE Eisenach einen entscheidenden Punkt in der Debatte, die Vermischung zweier nicht zusammengehöriger Dimensionen. Weder führt Geld, also Einkommen, unmittelbar dazu, „Eigenverantwortung“ zu entwickeln, noch schwächt oder untergräbt es dieselbe. „Eigenverantwortung“, besser: Autonomie, ist eine grundlegende Haltung, die im Zuge der Sozialisation ausgebildet und durch ihre vergemeinschaftende Geltung als Norm bestärkt wird. Einkommen erzielen zu müssen, um ein Auskommen zu haben, führt nicht dazu, diese Haltung herauszubilden. Vielmehr ist es erst möglich, sich am Gebot der Einkommenserzielung zu orientieren, wenn Autonomie als Haltung sich herausgebildet hat und als eine vergemeinschaftende Geltung sie bestärkt und herausfordert.

Dieselbe Verkürzung findet sich in der Rede von „Anreizen“, die in diesem Zusammenhang häufig bemüht wird.

Sascha Liebermann

„Gratismentalität“ – ohne „Gratis“ gäbe es keine gelingende Sozialisation, keine Familien, keine politischen Gemeinwesen…

…in unserem heutigen Verständnis in einer Demokratie, denn für alles drei gilt: das Gedeihen hängt von der vorbehaltlosen Anerkennung ab, was nicht mit Verantwortungslosigkeit zu verwechseln ist. Wo Anerkennung des Gegenübers an Gegenleistungen gebunden, wo Zuwendung davon abhängig gemacht wird, wird die sie tragende Beziehung zerstört (auch wenn das manche durchaus anders zu sehen scheinen, wie z. B. Dominik Enste hier und hier).

Außer Frage steht, dass ein solches Gefüge in der Tat erodieren kann, wenn diese Anerkennung nicht erfolgt, wenn die Verantwortung dafür nicht übernommen wird, doch das wäre Folge eines Versagens, nicht der Ausgangspunkt.

Sascha Liebermann

Ulrich Oevermann ist gestorben – die Soziologie verliert einen wichtigen Denker

Keineswegs übertrieben ist es zu sagen, dass ohne Prof. em. Dr. Ulrich Oevermann die Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung womöglich nicht gegründet worden wäre. Zwar hat er ihre Gründung weder angestoßen oder vorangetrieben noch aktiv unterstützt, doch er hat uns mit der Idee eines Grundeinkommens in Berührung gebracht und immer wieder Diskussionen dazu geführt, die dann später in die Gründung mündeten. Sein Interesse am Grundeinkommen bestand keineswegs in einem aktivistischen oder politischen Anliegen, auch wenn das manchmal so wirken konnte. Vielmehr entsprang es für ihn aus einer Analyse der „Arbeitsgesellschaft“, ihrer Widersprüche und ihrer Folgen.

Schon 1983 verfasste er ein Manuskript, das sehr viel später veröffentlicht wurde, in dem er – vor dem Hintergrund anhaltend hoher Arbeitslosigkeit – die Frage aufwarf, ob Arbeitsleistung noch als Kriterium der Einkommensverteilung dienen könne. Darin kommt der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens nicht vor, nicht einmal der Begriff, doch die Frage danach, welcher Voraussetzungen eine individuierte Lebensführung bedarf und welche Möglichkeiten ihrer Entfaltung bestanden, war Gegenstand.

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„Das bedingungslose Grundeinkommen ist der falsche Ansatz“…

…sagt Sabine Pfeiffer, Professorin für Soziologie, in einem Interview für das Jubiläumsmagazin der Baden-Württemberg Stiftung aus dem Jahr 2020. Darin geht es um Digitialisierung und ihre etwaigen Folgen für die Arbeitswelt. Ziemlich gleich zu Beginn wird der Zusammenhang zum Grundeinkommen aufgeworfen:

„Warum? Wäre ein gutes Leben ohne Arbeit nicht möglich, gesichert über ein bedingungsloses Grundeinkommen?

[Pfeiffer] Das bedingungslose Grundeinkommen ist der falsche Ansatz, denn dabei bleibt die Verteilungsfrage außen vor. Internationale Konzerne erzielen heute unglaubliche Produktivitätsgewinne, weil ihre Prozesse weitgehend automatisiert sind. Das hat in den vergangenen Jahren auch zu einer starken sozialen Ungleichheit gefü̈hrt: Immer mehr Geld landet in immer weniger Händen. Und gleichzeitig denkt man über ein wie auch immer geartetes, ausgehandeltes Grundeinkommen nach – im Vergleich zu den Gewinnen ist das letztlich ein Almosen. Es wäre unmenschlich, die Gesellschaft in Almosenempfänger und Superreiche aufzuteilen – ein soziales Miteinander ist da schwer vorstellbar.“

Pfeiffers Antwort fällt grundsätzlich aus, nicht werden Aspekte eines BGE kritisch beleuchtet, sie hält es insgesamt für falsch, weshalb? Die Verteilung bleibe außen vor. Stimmt das? Wenn ein BGE pro Person bereitgestellt wird und über die Lebensspanne verfügbar ist, ist das nicht eine erhebliche Verteilung und wirkt relativ stärker dort, wo heute Einkommen niedrig sind (ein entsprechendes Steuerwesen vorausgesetzt)? Neben diesem direkten Effekt gibt es einen indirekten, die Machtverteilung. Wer zu jedem Zeitpunkt Nein sagen kann zu Arbeitsbedingungen, ist mächtig. Zugleich kann er Angebote machen, von denen er nicht abhängig ist, er ist also tatsächlich in einem Maße selbstbestimmt, wie es heute nicht der Fall ist. Pfeiffer verweist dann auf internationale Konzerne und deren Gewinne, im Vergleich dazu sei ein BGE ein Almosen. Da es sich um einen Rechtsanspruch handeln würde, wäre es gerade kein Almosen, das eine willkürliche Spende darstellt. Wichtig wäre natürlich die Höhe des Betrages in Kaufkraftverhältnissen. Überhaupt erstaunt der Vergleich, denn im Vergleich zu Milliardengewinnen ist jedes Arbeitnehmereinkommen ein „Almosen“.

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Weiterbildung vs. Bedingungsloses Grundeinkommen – ein falscher Gegensatz, denn…

…Bildung geht vom Individuum aus, sie setzt seine Bereitschaft voraus, sich einlassen zu wollen. Bildung ist nicht erzwingbar. Was wir also brauchen, ist ein Bildungs- und Weiterbildungswesen, das die Voraussetzungen für Bildung ernst nimmt, statt sie in Abrede zu stellen. Ein BGE schafft genau die Voraussetzungen dafür, vorbehaltlos auf die Bereitschaft des Individuums zu setzen. Wie wichtig das ist, wusste der kürzlich verstorbene Remo Largo aufgrund seiner langjährigen Forschung allzu gut. Dass die rigide Schulpflicht in Deutschland genau diese Bildungsvoraussetzungen unterläuft, auch dazu gibt es gewichtige Argumente aus der Sozialisations- und Bildungsforschung. Wer es mit Leistung ernst meint, muss grundsätzlich denken, statt Unternehmen als Erziehungsanstalten zu verstehen.

Sascha Liebermann

„…ob der Mensch nur handelt, wenn er dafür Anreize und Belohnungen erhält“ – keineswegs und schon vielfältig untersucht

Der Deutschlandfunk berichtete über die hohe Anzahl an Bewerbern für das Pilotprojekt des Berliner Vereins Mein Grundeinkommen. Das Ziel des Projekts wird hier wiedergegeben:

„Dabei steht im Zentrum, ob und wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Berufstätigkeit und das Wohlbefinden der Testpersonen auswirkt. Es soll untersucht werden, ob der Mensch nur handelt, wenn er dafür Anreize und Belohnungen erhält. Im Fokus stehen auch die psychologischen Aspekte, etwa ob das Grundeinkommen hilft, Stress zu verringern und in der Folge die Lebenszufriedenheit und gesellschaftliches Engagement erhöht.“

Weshalb wird so getan, als gäbe es zu diesen Fragen keine Befunde? Es gibt sie sogar jenseits der BGE-Forschung, dazu müsste nur einmal der Blick auf kindliche Entwicklungsprozesse und die Entstehung von Leistungsbereitschaft gerichtet werden, wie es Remo Largo vorbildlich getan hat. Zieht man hierzu noch Einsichten einer soziologischen Sozialisationstheorie hinzu (z. B. hier) wird man nicht ernsthaft mehr die unterkomplexen „Anreiz“-Theoreme in Betracht ziehen. Dazu müsste man aber zum einen grundsätzlicher die Frage angehen und Methoden hinzuziehen, die näher am konkreten Leben sind.

Sascha Liebermann

„Die Lüge von der Leistungsgesellschaft“ oder zur unauflösbaren Abhängigkeit aller von allen…

…darum geht es in einem Beitrag von Stephan Kaufmann in der Frankfurter Rundschau. Darin heißt es unter anderem:

„Aber selbst wenn man Produktivität als Maßstab für Leistung anerkennt, so scheitern Betriebe und Ökonomen doch notwendig an der Frage: Welchen Beitrag hat der Einzelne zum gesamten Umsatz des Unternehmens oder einer Branche geleistet? Welcher Teil der Erlöse ist dem Pförtner zuzurechnen, welcher Anteil der Sekretärin, welcher dem Verkaufsleiter? Diese Rechnung ist laut Horn ein Ding der Unmöglichkeit.“

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Argumente für Erziehungscamps – Einwände gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Wer die Diskussion um Gewalttaten Jugendlicher verfolgt hat, wird sich in manchem an die Einwände gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen erinnert fühlen. Von einem BGE befürchten einige, dass es den Anreiz Arbeit aufzunehmen abschaffe, dass manchen damit die Disziplinierung, manchmal auch als Strukturierung bezeichnet, durch einen geregelten Arbeitstag fehle und sie nur herumhängen und verwahrlosen. Deswegen müssen Bürger, die sich als nicht arbeitswillig zeigen, auch entsprechend sanktioniert werden. Nicht von ungefähr hat Götz W. Werner Hartz IV einmal mit offenem Strafvollzug verglichen. Zusammenfassen lassen sich diese Einwände auch so: Wozu der Mensch nicht angehalten wird, wofür ihm keine Belohnung winkt, das ist er nicht zu unternehmen bereit. Zwar können wir mit diesem Menschenbild nicht erklären, weshalb all die unentgeltlichen Leistungen in unserem Gemeinwesen erbracht werden. Wir können damit auch nicht erklären, weshalb viele trotz der Widerstände, auf die sie treffen, sich nicht von ihren Vorhaben abbringen lassen. Unerklärlich bleibt mit diesem Menschenbild auch, wie eine Demokratie überhaupt lebensfähig ist, wo sie doch gerade die Bürger zum Souverän erhebt und ihnen also vertraut. Dennoch wird in mehr Selbstbestimmung eine Bedrohung erkannt.

Nun wird angesichts der Gewalttaten Jugendlicher von schärferen Gesetzen eine abschreckende, von „Erziehungscamps“ eine heilsame Wirkung erhofft. In „strengen Regeln, Sport, Disziplin, Arbeit und Verhaltenstraining“ (CDU, Wiesbadener Erklärung) wird ein probates Mittel erblickt, damit die Täter wieder einen „Weg in die Gesellschaft“ finden. „Pädagogik ohne Härte“ (Roland Koch in „Hart aber Fair“, ARD) sei der falsche Weg. Neben einer strafrechtlichen Verfolgung solcher Taten, die notwendig ist, wird wenig davon gesprochen, weshalb solche Taten verübt werden, was ihr Entstehungshintergrund ist, welche Schlussfolgerungen sie auf die Persönlichkeit der Täter und damit auf Resozialisierungschancen zulassen. Über Hinweise von Experten auf die illusionären Hoffnungen, die mit schärferen Strafen verbunden werden, wird hinweggesehen.

Vergleichbar der Diskussion über den „Missbrauch“ von Sozialleistungen, über die Wirkungen einer sozialen Hängematte und den „Missstand“ dauerhaften Sozialhilfebezugs werden all zu schnell bloß Symptome festgestellt. Verzichtet wird aber auf eine tragfähige Erklärung jenseits oben genannter Vorstellungen vom Menschen als anreizgesteuertem Wesen. Beide, jugendliche Gewalttäter wie dauerhaft Sozialhilfe Beziehende, werden durch weitere Sanktionen nur noch mehr in die Enge getrieben. Während im einen Fall u.a. ein schwaches Selbstwertgefühl und mangelnde Aggressionskontrolle, die auf ein sozialisatorisches Misslingen schließen läßt, zu Gewalttaten führt, ist im anderen Fall ein schwaches Selbstwertgefühl und eine traumatisierte Lebensgeschichte Grund dafür, das Leben nicht so in die eigenen Hände nehmen zu können, wie es unseren Vorstellungen entspricht. In beiden Fällen besteht ein Ausweg jenseits dauerhafter Sicherheitsverwahrung und Dauerstigmatisierung nur darin, Erfahrungen zu ermöglichen, an denen ein Selbstwertgefühl sich bilden kann. Jugendliche Gewalttäter werden nur dann nicht mehr gewalttätig werden, wenn sie Bindungserfahrungen machen können, wenn sie also in ihrer Problemlage ernst genommen und als Individuen anerkannt werden. Sozialhilfebeziehern wäre schon viel mit der Aufhebung des Stigmas geholfen, das Druck auf sie ausübt. Gerade sie, die sich wenig verteidigen und ihren Rechtsanspruch eher aufgeben, werden von den Sanktionen der ARGEn besonders in die Enge getrieben.

Aufheben würde diese Stigmatisierung ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das von der Wiege bis zur Bahre gewährt wird und die Bürger um ihrer selbst willen anerkennt. Erst dann ist das normative Ideal aufgehoben, nachdem alle in eine Erwerbsarbeit streben sollen, ein Ideal, das zu der Stigmatisierung führt, die autonomiehemmend und nicht autonomiefördernd wirkt.

In der Diskussion über Erziehungscamps wie in der zum Bedingungslosen Grundeinkommen geht es darum, dass wir eine Antwort auf die Frage geben, wodurch ein mündiges Leben befördert wird. Wollen wir unsere, der Bürger, Mündigkeit stärken, dann müssen wir um unserer selbst willen ernst genommen und anerkannt werden. Mündig zu sein setzt aber voraus, sich bilden und engagieren zu können, wo der Einzelne es für wichtig und richtig erachtet. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen erst legt uns Bürgern die Verantwortung in die Hände, von der gerne geredet, für die aber wenig getan wird.

Sascha Liebermann

Einkommen ohne Arbeit – ein Unding für Oswald Metzger

Kaum hatte sich der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen Baden Württemberg für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen (siehe unseren Kommentar), da reagierte auch Oswald Metzger, ebenfalls Grüner, auf den Beschluß. Hier einige Zitate:

Mit diesem von seinen Befürwortern gern apostrophierten „radikalen Systemwechsel in der Sozialpolitik“ haben sich die Grünen, so sie denn beim Bundesparteitag in Nürnberg im nächsten Monat den gleichen Unsinn beschließen, das parlamentarische Totenglöckchen an den Hals gebunden.
[…]
Leistungsloses Einkommen war historisch auch auf Seiten der Linken nie das Ziel der Politik. Selbst in der „Internationale“ intonierte die Arbeiterklasse nicht ohne Grund den Vers: „Die Müßiggänger schiebt bei Seite!“ Und gerade die Linke proklamierte stets das „Recht auf Arbeit“. Doch das alles ist in Zeiten des Edel-Linken Oskar Lafontaine vergessen.

Vielsagend ist, daß Herr Metzger hier sich an der Linken orientiert und dazu noch die Internationale zitiert. Muße bzw. Müßiggang, also eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, ist ihm nicht nur ein böhmisches Dorf, sie ist der Untergang. Dabei aber ist Muße gerade dasjenige, was für Bildung unerläßlich ist, das Bildung als Selbstbildung erst möglich macht. Ohne Muße, ohne ein geduldiges Auseinandersetzen mit einer Sache um ihrer selbst willen, kommt kein Neues in die Welt. Für die Linke, die er hier bemüht, gilt dasselbe wie für die so viel bekämpften „Neoliberalen“ – für beide ist Muße bedrohlich, für beide ist sie „aller Laster Anfang“. Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und auch Gregor Gysi würden hier nur applaudieren, ganz entgegen der Einschätzung von Herrn Metzger und ganz konsequent für eine Linke, die den Menschen erst durch Arbeit zum Menschen werden sieht.

Man möchte die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens gern in die rauhe Realität sozialer Brennpunkte schicken, damit sie begreifen, welche fatalen Folgen es hat, wenn Menschen den mentalen Zusammenhang zwischen persönlichem Einsatz und Einkommen von Kindheit an verlieren. Der gutgläubige Bildungsbürger, der an die schöpferische Entfaltung der Persönlichkeit glaubt, wenn der Mensch nicht mehr für das nackte Existenzminimum arbeiten muss (sofern er nicht alt, krank oder gebrechlich ist), unterliegt einer gefährlichen Illusion.

Der Kluge und Lebenserfahrene belehrt die Naiven. Welcher Illusion unterliegen die bGE-Befürworter denn? Etwa der, daß die Würde des Menschen bei der Selbstbestimmung beginnt, daß Selbstbestimmung die Voraussetzung dafür ist, den von Metzger genannten Zusammenhang überhaupt zu verstehen? Daß ein demokratisches Gemeinwesen durch die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen zusammengehalten wird? Oswald Metzger spielt mit dem Sozialneid, wenn er meint, die Erwerbspflicht öffne den Menschen die Augen über Lebenszusammenhänge – in dem von ihm bemühten Beispiel gelingt das ja gerade nicht.

Einer Antwort auf die Frage, weshalb die intrinsische Motivierung, der Antrieb von innen heraus, manchen fehlt, entflieht Oswald Metzger durch die Verehrung der Erwerbsarbeit. Würde er die Sache ernst nehmen, um die es geht, dann müßte er wohl zugeben, daß der Grund für das von ihm benannte Problem woanders liegt. Wer in einem Milieu aufwächst, in dem Bildungsbemühungen nicht gefördert werden, wer eine traumatisierte Lebensgeschichte hat, der ist so sehr mit sich und der Bewältigung des Alltags beschäftigt, daß er sich kaum auf anderes einlassen kann. Dafür hat Oswald Metzger aber nur verächtliche Bemerkungen übrig. Mit dem vermeintlichen Zusammenhang von Einkommen und Leistung hat dies nichts zu tun. Metzger bedient nur das Klischee vom Sozialstaat, der durch Transferleistungen die Menschen von sich abhängig macht. Schon heute wird Leistung ja auch dort erbracht, wo kein Einkommen winkt: im Ehrenamt, in den Familien und nicht zuletzt durch die Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung – das dürfte es Metzger zufolge nicht geben.

Wer es ernst damit meint, für die von Metzger genannten Probleme eine Lösung zu finden, der muß sich von der Bevormundung verabschieden, die in verschiedenen Gewändern, auch bildungsbürgerlich, daher kommt. Bei Metzger soll es nichts geben dürfen, wofür keine Gegenleistung erbracht wird. Manche Grundeinkommensbefürworter, wie z.B. Wolfgang Engler, wollen gar die Gewährung des Grundeinkommens von dem Bemühen um Bildung abhängig machen. – Macht es denn einen Unterschied, worin die Pflicht besteht? Und ist es nicht gerade diese Pflicht, die das Gegenteil bewirkt?

Bildung setzt Neugierde voraus, Bildung ist stets Selbstbildung und geht von einem Willen dazu aus. In der Regel läßt sich diese Neugierde bei Kindern schon beobachten und erst das Bildungswesen schafft es, diese Neugierde erheblich zu dämpfen – das sollte uns zu denken geben. Bildung vollzieht sich also nach den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Einzelnen. Auch die Schwächsten haben hierzu die Fähigkeit und sei es, daß Bildung nur darin besteht, den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten gemäss sein Leben zu meistern. Wollen wir das stärken, bedarf es einer Ordnungspolitik, die den Einzelnen darüber befinden läßt, wo und wie er sich einbringen will. Wenn wir endlich die Vorstellung aufgeben, nur bestimmte Leistungen seien wertvoll, dann haben wir die größte Hürde zur Lösung mancher Probleme aus dem Weg geräumt.

Nachtrag: Oswald Metzger hat nun (20.10.) auf seine Kritiker geantwortet. Es heißt dort u.a.:

Denn wer die sozialpolitische Debatte bei den Grünen, aber auch in CDU und SPD, derzeit verfolgt, kann folgendes Strickmuster erkennen: Der Staat soll es richten! Und zwar durch deutlich höhere Transferleistungen.

Hätte Herr Metzger sich mit dem bGE beschäftigt, müßte er den Vorstoß der Grünen kritisieren, weil er nicht weit genug geht, weil er den Bürgern zu wenig zutraut. Diese Kritik könnte er aber nur vorbringen, wenn er denn selbst den Bürgern mehr zutraute, das tut er aber nicht. Eine konsequent gedachtes bGE erlaubt durch eine stärkere Absicherung der Bürger gerade, ihnen mehr Verantwortung in die Hand zu geben. An die Stelle von Kontrolle und Bevormundung träten mehr Freiheit und Verantwortung. Mehr Staat würde zugleich weniger Staat ermöglichen. Bessere Absicherung als Ermöglichung von Freiheit geht damit einher, den Bürgern mehr zu überlassen, ihnen Verantwortung zurückzugeben. Offenbar kann Herr Metzger das nicht zusammendenken. Weshalb? Weil er glaubt, Leistung entspringe Druck und Not sowie „Anreizen“.

An anderer Stelle heißt es:

Denn wenn der Lohnabstand zu den Erwerbseinkommen nic
ht größer, sondern kleiner wird, dann fällt für eine Reihe von gering qualifizierten Menschen der Anreiz zur Arbeit weg.

Worin besteht denn der „Anreiz“? Wenn jeglicher Zuverdienst anrechnungsfrei ist, dann „lohnt“ er sich. Das bGE erlaubt es ja gerade erst, das sogenannte Lohnabstangsgebot auf deutliche Weise einzuhalten. Dazu aber muß man das bGE als von jedem anderen Einkommen unabhängiges Einkommen konzipieren. Erst wenn es mit nichts sonst verrechnet wird, wird es die erhoffte Freiheit ermöglichen.

Wer Transferleistungen als „Wohltat“ begreift, wie Oswald Metzger, und nicht als Absicherung und Ermöglichung von Freiheit, hat nicht verstanden, was demokratische politische Gemeinwesen zusammenhält: die Solidarität der Bürger als Bürger. Jeder Beitrag zählt, ganz gleich, wo er erbracht wird. Erwerbsarbeit ist eben nur eine Form, nicht aber die entscheidende.

Wer die Finanzierbarkeit eines bGE bzeweifelt, sollte sich ernsthaft mit den Berechnungsversuchen auseinandersetzen. Das Transfergrenzemodell von Helmut Pelzer und Ute Fischer zeigt, wie eine Finanzierungsrechnung als Simulation für die Vergangenheit aussehen kann.

Wer das Gemeinwesen noch immer als Zweckbündnis von Steuerzahlern und nicht als Solidarverband von Bürgern denkt, der braucht wohl die Unterscheidung zwischen „rechter“ und „linker“ Politik noch. Doch, wer in solchen Schubladen denkt, zeigt nur, wie sehr er Politik von vorgestern betreibt, nicht aber eine, die uns in die Zukunft führt.

Sascha Liebermann