Die Fleißigen und die Faulen – Anmerkungen zu einem Interview mit Ursula von der Leyen

In einem kürzlich erschienen Interview mit der Bundesministerin für Arbeit und Sozioales, Ursula von der Leyen, in der Bild-Zeitung wurde wieder einmal deutlich, wo wir leben – im Arbeitshaus. Dabei ist das keine Eigenheit der Bundesministerin, der Tenor bei Sigmar Gabriel (siehe auch hier) und Gregor Gysi ist derselbe.

Im Interview heißt es:

„Nehmen Sie eine Floristin, die heute Tariflohn verdient. Die wird nach 35 Jahren Vollzeitarbeit keine Rente erreichen, von der sie leben kann und muss am Ende zum Amt wie jemand, der in der Zeit auf der faulen Haut gelegen hat. Das ist ungerecht. Irgendwann wird sie sich fragen: warum nicht gleich schwarz arbeiten und auf private Vorsorge verzichten?“

Als erstes fällt der Vergleich ins Auge. Die Fleißigen, das sind die vollzeit Erwerbstätigen, die Faulen sind letztlich diejenigen, die nicht erwerbstätig waren (so hat sie sich 2010 schon einmal geäußert). Zu dieser Gruppe gehören auch die Väter und Mütter, die viele Jahre für ihre Kinder zuhause geblieben sind, was heutzutage ja als hinterwäldlerisch gilt (siehe hier), die Ehrenamtlichen zählen ebenso dazu. Entscheidend ist allerdings, dass überhaupt kein Leben jenseits von Erwerbsarbeit vorgesehen ist. Das dürfte nun nicht überraschen, Frau von der Leyen macht selbst vor, wie sie es für alle für richtig erachtet.

„Wer 35 Jahre in die Rentenkasse einzahlt und privat vorsorgt, dem wird die gesetzliche Rente notfalls aufgestockt. Kleine Einkommen sind schon ab 5 Euro beim Riestern dabei. 50 Prozent des Rentenanspruches obendrauf für Niedrigverdiener; 150 Prozent obendrauf, wenn Kinder erzogen oder Ältere gepflegt wurden.“

Alle, die es nach Maßgabe des Arbeitshauses richtig gemacht haben, werden belohnt, die anderen haben das nachsehen. Was zählt, ist: Erwerbstätigkeit, was nichts zählt sind: Familie, Ehrenamt, Gemeinwesen.

„Die Zuschussrente bekommt nur, wer im Leben ordentlich was geleistet hat. Vor allem ist es ungerecht, wenn Millionen Mütter, die Kinder erziehen, deshalb Teilzeit arbeiten und nach einem fleißigen Arbeitsleben zum Sozialamt müssen, während ihre Kinder für andere die Rente sichern.“

Es fehlen einem die Worte für diese Herablassung und Geringschätzung der Leistungen, die anderswo als im Arbeitsmarkt erbracht werden. Überhaupt erschreckt die Geringschätzung des Individuums als solches mit seiner Lebensgeschichte, seinen Fähigkeiten und Neigungen. Von „asozialem Zynismus“ der Sozialministerin ist bei Wolfgang Lieb zurecht die Rede, der das Interview ebenfalls kommentiert. Allerdings weist seine Kritik in keiner Form über das Arbeitshaus hinaus, was von den Nachdenkseiten allerdings auch nicht zu erwarten ist (siehe hier und hier).

Sascha Liebermann

Wer von der Gemeinschaft Geld bekommt…

…der muss demnächst „Bürgerarbeit“ leisten. Damit macht Bundesministerin von der Leyen ernst mit den Ankündigungen von Anfang dieses Jahres. Vielleicht ein später Erfolg des Soziologen Ulrich Beck, der Bürgerarbeit (siehe auch hier) einst ins Gespräch gebracht hat?

Über Reaktionen von Gewerkschaftsseite darf gestaunt werden. In einer Pressemitteilung des DGB heißt es: „Zudem kritisiert der DGB, dass die Bürgerarbeit nicht auf freiwilliger Teilnahme beruht, was in aller Regel Erfolg versprechender ist, sondern im Fall der Ablehnung scharf sanktioniert werden soll.“ – Bitte, lesen wir recht? Freiwillige Teilnahme? Das klingt beinahe so, als fordere der DGB bald ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dabei kritisiert er etwas, das für ALG-I- und ALG-II-Bezieher das Selbstverständlichste ist: unter der Androhung von Sanktionen leben zu müssen. Hat er das vergessen? Willkommen in der Gegenwart.

Laut Leipziger Internet Zeitung wird von Ver.di und einer Stadträtin der Linkspartei das Workfare-Prinzip kritisiert, dem die Bürgerarbeit folge. Ihre Maxime sei, dass es „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ gebe. Das aber gilt seit dem Bundessozialhilfegesetz 1961 und ist mit im Zuge der Agenda 2010 nur verschärft worden. Sozialhilfe war nie zum Ausruhen gedacht oder dazu herauszufinden, wie man leben will. Sie beinhaltete stets die Verpflichtung, wieder aus ihr hinauszugelangen.

Während Verdi nicht im Verdacht steht, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu befürworten, denn nur mit ihm gäbe es keine Erwerbsverpflichtung, so gibt es bei der Linkspartei zumindest ein paar Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Doch davon ist in der Zeitungsmeldung nicht die Rede. Stattdessen wird der Bürgerarbeit eine repressionsfreie Mindestsicherung gegenübergestellt. „Repressionsfrei“ – klingt liberal. Tatsächlich handelt es sich um eine Leistung, die dem Bedürftigkeitsprinzip folgen soll. Sie ist zwar als Individualanspruch konzipiert, dennoch wird die Leistung mit dem Haushaltseinkommen verrechnet. Damit bleibt vom Individualprinzip nichts übrig. Selbst wenn es anders wäre, dann bleibt dennoch die Erwerbsverpflichtung als normatives Ideal erhalten – also würde sich auch damit nicht grundsätzlich etwas ändern. Wo „repressionsfrei“ drauf steht, muss also nicht Repressionsfreiheit drin sein.

All dies wäre der Erwähnung nicht wert, denn es handelt es nicht um Neuigkeiten von der Arbeitsfront. Indes sind sechs Jahre Grundeinkommensdiskussion vergangen und bei den Parteien hat sich nichts getan. Oder werden etwa die Grünen sich nun als Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens ‚outen‘? Da müssen wir keine Sorge haben, es gibt ja den Bundesvorstand.

Für die Befürworter eines bGEs kann das nur heißen: noch mehr öffentliche Veranstaltungen, Diskussionen, Filmvorführen, Info-Stände, Aktionen jeglicher Art organisieren, um auf das bGE aufmerksam zu machen. Es gilt, nicht zu verzagen, denn die Erfolge der Grundeinkommensdiskussion sind erheblich, das bGE hat seinen festen Platz in der öffentlichen Debatte, das war 2004 noch kaum vorstellbar. Das reicht aber nicht.

Sascha Liebermann

"Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun"

Alles beim Alten im Bundesarbeitsmininsterium. Mit Aussagen wie diesen „Wir werden es nicht akzeptieren, wenn jemand ohne nachvollziehbaren Grund nicht oder nur wenige Stunden arbeitet“ und „Gleichzeitig gilt: Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun“ wird Bundesarbeitsminsterin von der Leyen in der Bild-Zeitung zitiert. Damit greift sie die bekannte Argumentation auf, Transferempfänger seien Kostgänger des Staates. Am selben Tag, dem 10. Januar, war sie bei „Anne Will“ zu Gast, um über zehn Jahre Agenda 2010 zu räsonnieren. Auch dort war an ihren Äußerungen zu erkennen, dass der Druck auf diejenigen, die „Geld von der Gemeinschaft“ erhalten, nicht abnehmen, sondern zunehmen soll. Da folgt sie ganz ihrem Vorgänger Olaf Scholz und den Aussagen Guido Westerwelles und Angela Merkels im Bundestagswahlkampf (siehe „FDP im Kreis der Faulheitsbekämpfer angekommen“).

Zur gleichen Zeit wird deutliche Kritik an der Hartz-Gesetzgebung auch durch einen Beschluss des Landessozialgerichts Hessen (Beschluss zur Grundsicherung für Arbeitsuchende) und schon länger von Helga Spindler geübt (siehe jüngste „Phoenix-Runde“ [Podcast] mit Helga Spindler und Jürgen Borchert, Richter am Landessozialgericht Hessen). Doch, zielt sie etwa darauf, die Prinzipien des Transfersystems, das an Erwerbsleistung gebunden ist, aufzugeben? Was ist von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten, dass sich – anders als in manchen Medien berichtet – mit der Berechnung der Regelsätze für Kinder und Erwachsene beschäftigt?

Eine Erhöhung der Regelsätze, sollte sie kommen, würde natürlich denjenigen helfen, die von ihnen leben müssen. Das ist unbestritten. Aber schon in der Frage, wer etwas von der Erhöhung des Schonvermögens hat, sieht es diffiziler aus, denn sie trifft nur diejenigen, die auch etwas angespart haben bzw. es konnten. Eine Verbesserung verbleibt also innerhalb des Systems. Es wird gegenwärtig ja nicht einmal über eine Liberalisierung im Sinne einer Negativen Einkommensteuer nachgedacht, die ohne Bedürftigkeitsprüfung auskäme. Wie an den Äußerungen von Frau von der Leyen zu erkennen ist, steht auch die „Aktivierung“ nicht zur Disposition. Bei aller Diskussion über Hartz IV, das Vierte Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, die durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weitere Nahrung erhalten könnte, ist damit politisch langfristig wenig erreicht. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die möglichen Verbesserungen nicht aus dem Parlament heraus vorgeschlagen und verabschiedet werden, sondern vom Bundesverfassungsgericht, das über die Einhaltung des Grundgesetzesfür die Bundesrepublik Deutschland wacht. Statt die Gestaltung aktiv politisch in die Hand zu nehmen, statt in öffentlicher Auseinandersetzung für Vorschläge zur Verbesserung um die Zustimmung der Bürger zu werben, erfolgt eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage allenfalls reaktiv. Es hat sich, wie daraus zu schließen ist, im politischen Bewusstsein wenig bis nichts verändert, auch wenn immer wieder Verbesserungsbedarf eingestanden wird. Nun, in diesem Fall gilt durchaus: Vielles wenn nicht alles Schall und Rauch.

Um so mehr gilt es auch in 2010, dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens weiter Gehör zu verschaffen. Gelegenheiten und Möglichkeiten gibt es reichlich, auch nach dem Wahlkampf des vergangenen Jahres.

Sascha Liebermann