Überraschende Zaghaftigkeit – ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist weniger spektakulär als manche denken…

Die Ausbreitung von SARS-CoV2 und die durch ihn ausgelöste Krankheit Covid-19 sorgen für erhebliche Verunsicherungen. Die Breitenwirkung der Kontakteinschränkungen ist enorm, Einkommen brechen weg, alle Wirtschaftssektoren sind betroffen, die Bürger sind in vielerlei Hinsicht auf sich zurückgeworfen. Doch gerade dies alles führt auch dazu, dass grundsätzliche Fragen wieder diskutiert werden können, wie eben auch die Frage danach, nach welchem Modus Einkommenssicherung erfolgen soll, etwa grundsätzlich wie bisher entlang eines erwerbszentrierten Sozialstaates oder durch eine allgemeine Dauerabsicherung als festem Boden, über den sich dann jeder entweder noch erheben kann oder weitere, aber bedarfsgeprüfte Leistungen in Anspruch nehmen können soll. Nicht von ungefähr also ist das Bedingungslose Grundeinkommen als Alternative wieder im Aufwind (siehe das Kurzinterview mit mir im SWR).

Gerade jüngst hob in einem Interview Michael Bohmeyer (Mein Grundeinkommen e.V.) heraus, dass ein „bedingungslose[s] Grundeinkommen […] eine riesige gesellschaftliche Transformation [ist], die ganz viel Vertrauen und Mut braucht – und Zeit, damit man sich damit beschäftigen kann.

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Systematische Missverständnisse und vorschnelle Urteile – zu einem Interview mit Klaus Wellershoff

Klaus Wellershoff, ehemaliger Chefökonom der UBS, hat sich schon mehrfach für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen (siehe Neue Zürcher Zeitung), so auch in dem jüngsten Interview mit dem Tagesanzeiger. Manche Bemerkung wirft allerdings auch Fragen auf (siehe auch den Kommentar von Enno Schmidt).

Es geht um folgende Passage:

…TA: Trotzdem sind Sie für ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alleKW: Was ist daran überraschend?
Liberale interessieren sich in der Regel wenig für soziale Sicherheit.

Das ist ein Vorurteil: Schon Milton Friedman war für ein garantiertes Grundeinkommen, er nannte es einfach anders: negative Einkommenssteuer. Diese hätte den Vorteil, dass wir all die anderen komplizierten Sozialversicherungen aufheben könnten, die niemand mehr versteht und daher gerade jene benachteiligen, denen unsere Solidarität gelten sollte…

Die Negative Einkommensteuer folgt einem anderen Prinzip als das bedingungslose Grundeinkommen. Während es die NES bei Erwerbstätigkeit als normativem Ideal belässt und eine Steuergutschrift nur dann gewährt, wenn nicht ausreichend Einkommen über Erwerbstätigkeit erzielt werden kann, dreht ein bGE die Systematik um. Es wird unabhängig davon gewährt, ob Erwerbstätigkeit überhaupt angestrebt wird, es handelt sich um ein nur an den Status des Bürgers oder des dauerhaften Aufenthaltes gebundenes Einkommen. Im Unterschied zur NES ist ein bGE also keine Ersatz- oder Kompensationsleistung. Milton Friedman war also gar kein Vertreter des bGE und außerdem wollte er die NES möglichst niedrig ansetzen.

Wie hoch müsste aus Ihrer Sicht das garantierte Grundeinkommen sein?
Es wäre sicher nicht so hoch, wie sich das die Initianten dieser Vorlage vorstellen. In einer direkten Demokratie wird es kaum eine Mehrheit für eine Steuererhöhung geben, also müsste dafür jener Betrag verwendet werden, der heute den Sozialversicherungen zukommt.In Zahlen?
Vielleicht 1500 Franken im Monat, sicher nicht 2500.

Wie hoch es sein wird, kann im Vorhinein kaum festgestellt werden, da diese Frage in der öffentlichen Auseinandersetzung geklärt werden muss. Auch wenn heute manche sagen würden, dass es nur mager ausfallen dürfe wegen der Finanzierung oder der Erwerbs-„Anreize“, kann dann schnell zu einer anderen Einschätzung gelangen, wenn es einmal ernst wird mit der Frage der Einführung. Manch einer, der heute skeptisch oder zögerlich ist, wird dann vielleicht Möglichkeiten des bGEs sehen, die er heute nicht sieht. Wellershoff übersieht hier z.B., dass ein bGE von der Wiege bis zur Bahre das Lohngefüge sicher verändern wird, dass Löhne sich anders zusammensetzen würden als heute, weil es ein bGE gibt. Insofern ist seine Voraussage nicht mehr als eine Meinung, eine vorschnelle gar. Sicher, wenn die Bürger tatsächlich ein solch niedriges bGE wollten, dann wird es auch so niedrig kommen – allerdings: darüber wissen wir nichts, die Frage ist offen.

Sascha Liebermann