"Wir brauchen härtere Maßnahmen" – Familienpolitik und Bevormundung

Unter diesem Titel äußert sich der Soziologe Hans Bertram in der taz vom 23. Juli dazu, dass nach wie vor viele Männer am Ernährermodell festhalten und die Möglichkeiten des Elterngelds nicht nutzen. Folglich bleibe die Hauptlast an den Frauen hängen. Im Interview wird allerdings erwähnt, dass viele Frauen mit dieser Aufteilung zufrieden seien und sich entsprechende Partner suchen. Sicher, wir wissen nicht, ob bei Verfügbarkeit von mehr Betreuungsplätzen nicht auch mehr Frauen ihren Beruf beibehalten würden, statt zuhause zu bleiben – das hängt von der Familienpolitik ab, die wir betreiben. Bis hierin würde Hans Bertram als Förderer von Selbstbestimmung gelten können, will er doch die Aufteilung der Verantwortung weitgehend den Eltern überlassen, zumindest an einer Stelle im Interview ist das zu lesen:

„Eine faire Arbeitsteilung hängt zunächst mal allein von dem Paar ab, wie es das untereinander aushandelt. Aber die Gesellschaft muss sicherstellen, dass sich dabei nicht immer der Stärkere durchsetzt. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass Frauenberufe genauso gut bezahlt werden wie Männerberufe. Und wir müssen irgendwie sicherstellen, dass die Wertigkeit der Fürsorge für andere genauso wichtig ist wie der ökonomische Erfolg. Solange es unterschiedliche Gehälter und schlecht beleumundete Fürsorge gibt, ist ein fairer Aushandlungsprozess faktisch ausgeschlossen.“

Selbst aber, wenn diese Bedingungen gegeben wären, wäre es doch aber immer noch eine Entscheidung des Paares, wie es leben will, da ist der Mann nicht einfach „der Stärkere“.

In der Folge plädiert Hans Bertram dann auch für „härtere Maßnahmen“, um Väter zur Übernahme von mehr Verantwortung in der Familie zu bewegen, „sonst werden wir das mit ihnen [den Männern, SL] nie hinkriegen“. Es gilt also, sie zu erziehen. Damit stößt er ins selbe Horn, wie es in den vergangenen Jahren gang und gäbe war. Warum aber nicht auf Selbstbestimmung setzen, wie es das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht? Statt den Eltern vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, sollten wir ihnen die Möglichkeiten geben, darüber selbst zu entscheiden. Wie Eltern mit der Verantwortung umgehen, ist doch zuallererst ihre Sache, solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist. Wir sollten ihnen also Möglichkeiten geben, sich für das entscheiden zu können, was sie für vernünftig halten, vielleicht würden ja beide sogar für die Kinder zuhausebleiben wollen, wenn es möglich wäre. Dazu bedarf es aber u.a. eines Einkommens, und zwar eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Stünde ein solches zur Verfügung, wäre die Verhandlungsmacht von Eltern auch gegenüber Arbeitgebern gestärkt. Diese würden dann um Mitarbeiter werben müssen, und auf diese Weise könnte manches erreicht werden.

Es ist bezeichnend für unsere politische Debatte, dass wir überwiegend zu dirigistischen Überlegungen greifen, wenn es darum geht, Veränderungen in Gang zu bringen. Immerzu soll den Bürgern vorgeschrieben werden, nach welchen Zielen sie zu streben haben. Solange wir diese Haltung nicht aufgeben, wird sich nichts in unserem Land zugunsten einer freiheitlicheren Politik ändern.

(Siehe auch die Kommentare zum Beitrag in der taz)

Sascha Liebermann

"Zwischenbilanz zum Grundeinkommen" – von Götz W. Werner

Unter diesem Titel ist ein Text von Götz W. Werner online gestellt worden. Er wird als Nachwort der Taschenbuchausgabe von „Einkommen für alle“ abgedruckt werden, die in diesem Herbst erscheinen soll. Der Text bietet einen Rückblick auf die Diskussion der vergangenen Jahre aus der Sicht des Verfassers, zeigt Veränderungen sowie Entwicklungen auf und nimmt zu manchen Vorurteilen Stellung.

Statuserhalt oder Gleichheit der Bürger?

Welche dieser Aufgaben ein System sozialer Sicherung erfüllen muss, diese Frage stellt sich seit der Agenda 2010, aber auch durch die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von neuem. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe unter der Regierung Schröder hat zwar einen Schritt dahin unternommen, die Gleichheit der Bürger als Prinzip sozialer Sicherung zu stärken, sie hat es aber auf eine Weise getan, die den Schritt nach vorne mit einem zurück verbindet. Zugleich ist das Arbeitslosengeld als Transferleistung, die im Verhältnis zum Erwerbseinkommen bezahlt wird, beibehalten worden. Konsequent ist dies, da sich die Sicherungssysteme am Erwerbsprinzip orientieren und nach wie vor einen deutlichen Unterscheid zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen vollziehen, der bis in den Rentenanspruch hineinreicht. Ist aber diese Unterscheidung einem bürgerschaftlichen Gemeinwesen angemessen?

Diskutiert man z.B. mit Vertretern von Gewerkschaftern, dann richtet sich ein Einwand gegen das BGE der (Einkommens-) Gleichmacherei von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen, es geht hierbei vor allem um den relativ großen Abstand (für alle, die ein hohes Erwerbseinkommen beziehen) zwischen dem heutigen Arbeitslosengeld und einem BGE (1). Außerdem, ein weiterer Einwand, sei das BGE selbst in ausreichender Höhe etwa von 1000 € (Achtung Hausnummer) nicht hoch genug, um jemanden in die Lage zu versetzen, eine Stelle wegen schlechter Arbeitsbedingungen aufzugeben (2). Die Freiheitsversprechen, die BGE-Befürworter im Munde führen, werden also nicht erfüllt.
Aus Sicht eines BGEs aus dem Geiste einer die Bürger als Souverän anerkennenden Einkommensgarantie lässt sich hierzu folgendes erwidern.

  1. Welchen Lebensstandard oberhalb eines kulturellen Existenzminimums jemand erreichen will, ist eine private Entscheidung. Sie hat er auch als private Entscheidung zu verantworten. Wer also unter Bedingungen eines BGEs sich gegen eine Arbeitsstelle entscheidet, muss den Statusverlust in Kauf nehmen, der aufgrund der Differenz zwischen Erwerbseinkommen und BGE womöglich entsteht. Aber: Die Gewährung des BGEs pro Kopf, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, von der Wiege bis zur Bahre verändert die Lage. Denn selbst bei Statusverlust bleiben Freiräume erhalten, sofern das BGE ausreichend hoch ist. Selbst für Alleinlebende würde das BGE solche Freiräume erhalten.
  2. Ob jemand Freiräume, die ein BGE verschafft, nutzen wird, ob er also eine Stelle aufzugeben bereit ist, hängt auch davon ab, wie wichtig dem Einzelnen Freiheit und Selbstbestimmung auf der einen und Lebensstandardsicherung auf der anderen Seite sind. Wer Freiheit stärker gewichtet, wird auch bereit sein, einen etwaigen Statusverlust in Kauf zunehmen; wer hingegen Statussicherung für wichtiger erachtet, der wird auch widrige Arbeitsbedingungen womöglich akzeptieren, ganz gleich wieviele Freiräume er hat.

Mit der Diskussion um ein BGE sind also grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die unser Selbstverständnis als Gemeinwesen betreffen. Das BGE in seinen Auswirkungen macht nicht, wie manche Gewerkschafter glauben, vor den Werkstoren halt. Da es Arbeitnehmern größere Verhandlungsmacht verleiht, wird es sich mittelbar auf die Arbeitsbedingungen sei es in Unternehmen, sei es in öffentlichen Einrichtungen auswirken. Wie sehr es sich auswirken wird, hängt von uns Bürgern ab – wie alles andere auch.

Sascha Liebermann