„Die Idee, dass Menschen faule Säcke sind, die man unter Druck setzen muss, passt ideengeschichtlich und normativ nicht zur SPD“…

…das sagte Gesine Schwan in einem Interview mit der taz, nicht aber, was ihr mit dem von der taz gewählten Titel in den Mund gelegt wurde. Zur Frage, ob der Mensch faul sei, äußerte sie sich gleich zu Beginn:

„Schröder sagte in der Bild-Zeitung den berühmten Satz, es gebe kein Recht auf Faulheit.
Ja. Die Idee, dass Menschen faule Säcke sind, die man unter Druck setzen muss, passt ideengeschichtlich und normativ nicht zur SPD. Aber sie passt zu autoritären Regimen. Menschen, denen so etwas unterstellt wird, fühlen sich gekränkt und ungerecht behandelt. Zumal es ihnen nicht von Unternehmerverbänden oder von Konservativen gesagt wurde, sondern von ihrer eigenen Partei, der SPD. Das produziert gravierende Vertrauensverluste.

Dieser Deutung sollte einmal nachgegangen werden. Jedenfalls hat die SPD, gerade aufgrund ihrer Tradition, ein eingeschränktes Solidaritätsverständnis, Erwerbstätigensolidarität statt Bürgersolidarität. Und hat Gerhard Schröder nicht großen Rückhalt in der SPD gehabt? Was sagt das nun über die SPD, wenn etwas vertreten wird, das nicht zu ihr passen soll? Der Vorrang einer Erwerbstätigensolidarität hat jedenfalls Folgen. Die Verbindung zwischen ihm und den Sanktionen im Sozialgesetzbuch ist keine Zufälligkeit und keine Missdeutung, sie folgt aus der Erwerbszentrierung. Sonst könnte man auf die Sanktionen ja verzichten, wenn denn „Arbeit“ für alle so bedeutsam wäre und man sich schlicht darauf verlassen würde, dass die Bürger entsprechend sich einbringen (siehe auch hier). Dann würde auch hingenommen, wenn es nicht gelänge. Wenn jedoch „hart arbeitende Menschen“, wie es nicht nur der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ausdrückte, von anderen unterschieden werden, bleiben nur die nicht hart arbeitenden übrig. Von den gar nicht arbeitenden Menschen ist schon gar nicht die Rede, denn zwischen ihnen auf der einen, den arbeitenden und „hart arbeitenden“ auf der anderen Seite liegen offenbar Welten.

Zum Konzeptpapier der SPD sagte Gesine Schwan:

„Der Staat soll die Menschen, die in Schwierigkeiten geraten sind, nicht von oben herab wie Bittsteller behandeln, sondern wie Partner. Wir alle können in missliche Situationen geraten. Ich empfinde diese Wertschätzung als Rückkehr zu dem, was die Sozialdemokratie ursprünglich ausgemacht hat.“

Wer ist „der Staat“ in diesem Fall? Wie ist denn über diejenigen, die in Schwierigkeiten geraten sind, in politischen Debatten gesprochen worden? Diese abstrakte Redeweise vom Staat verdunkelt doch, dass er nicht irgendwoher kommt und seine „Haltung“ von einem anderen Stern bezieht. Sie kann sich auf einen breiten Konsens berufen. Man könnte es als Symptom der politischen Kultur in Deutschland sehen, dass der Staat als ein gefährliches Gegenüber betrachtet wird, welches der eigenen Kontrolle entglitten ist – dann muss er „zurückgeholt“ werden, das müssen die Bürger wollen, wenn sie es ernst meinen (siehe auch hier).

Wie begründet Gesine Schwan, dass die SPD Sanktionen nicht ganz abschaffen will?

„Aber die SPD-Führung kann nicht übergehen, dass viele Anhänger der Sozialdemokratie eine bestimmte Auffassung von Anstand haben: arbeiten, fleißig sein, sich einbringen. Sie würden eine liberale Laisser-faire-Pädagogik nicht verstehen, die in der bürgerlichen Mittelklasse vielleicht gut ankommt. Es ist legitim, auf diese Menschen Rücksicht zu nehmen.“

Sicher, es ist aus Sicht einer Partei, die Stimmen erringen muss, legitim, Anliegen ernst zu nehmen. Sie könnte aber genauso ernsthaft dazu beitragen, Vorurteile und Verzerrungen nicht weiter zu pflegen, indem sie selbst immerzu von „hart arbeitenden Menschen“ spricht. Und wie ist es denn gegenwärtig, da die SPD diese Haltung nur allzuoft bedient hat, weshalb führte das nicht zu Stimmengewinnen?

Und direkt im Anschluss hieran heißt es:

„Ein bisschen Strafe muss sein, positives Menschenbild hin oder her?
Menschen müssen negative Konsequenzen spüren, wenn sie sich falsch verhalten. Das weiß jeder, der Kinder erzogen hat. Aber es ist ein großer Unterschied, ob ich Sanktionen in Ausnahmefällen anwende – oder ausnahmslos alle mit Drohungen gefügig machen will.“

Also doch, nur, was heißt „falsch verhalten“? Und der Vergleich mit Kindern? Meint sie das ernst? Dass Kinder ein verlässliches Gegenüber in Gestalt ihrer Eltern benötigen, an denen sie die Welt erfahren, auch die Regeln, die darin gelten, ist unstrittig. Sind aber Erwachsene mit Kindern zu vergleichen? Erwachsene, die Bürger eines Landes sind, werden mit Kindern verglichen? Gesine Schwan scheint diese Verwechslung nicht zu stören. Sie spricht über Erwerbsarbeit so, als hänge an ihr das Wohlergehen der Demokratie. Das ist eine fatale Verwechslung, das eine ist etwas ganz anderes als das andere. Die Bürger tragen die politische Ordnung, sie sind als mündige eine unhintergehbare Voraussetzung, die der Staat nicht schaffen kann.

Wenn Sanktionen als Instrument zur Disziplinierung von Leistungsbeziehern gesetzlich vorgesehen sind, dann sind sie gesetzlich vorgesehen. Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob nicht der Einsatz von Sanktionen beschränkt werden kann, indem die Bedingungen restriktiver formuliert werden, die gegeben sein müssen, damit sie eingesetzt werden dürfen. Dennoch sollen sie als ultimatives Mittel zur Verfügung stehen, davon rückt sie nicht ab. Doch, zu welchem Zweck, was wird damit erreicht, wenn es um Existenzsicherung geht? Das erwünschte Verhalten soll damit erreicht werden, indem man sie unter Druck setzen kann. Passt Gesine Schwan nicht zur Ideengeschichte der SPD oder ist es mit dieser doch anders, als sie zu Beginn gesagt hat?

Siehe einen Kommentar zu früheren Ausführungen Gesine Schwans hier.

Sascha Liebermann