Ein Bedingungsloses Grundeinkommen „verschiebt auch kategorial unser Menschenbild“ meint Udo di Fabio

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von heute, Rubrik Wirtschaft, unter dem Titel „Im Hintergrund lauert Chinas Modell“ äußert sich Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, auch zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Seine Sorge vor einem Staatskapitalismus scheint diese Einschätzung zu tragen. Hier die ganze Passage:

„[di Fabio] Die Rentenausgaben des Bundes für die nicht beitragsgedeckten Leistungen sind schon ein gewaltiger Posten, der durch die demographischen Bedingungen gewiss nicht kleiner wird. Je mehr Steuergeld hier hineinfließt, desto mehr Menschen werden den Sinn von Sozialversicherungen hinterfragen, die ein tragender Baustein der Sozialen Marktwirtschaft sind. Es klingt dann sehr modern und scheint den gordischen Knoten zu durchschlagen, wenn man das ganze komplizierte System sozialer Sicherung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzen will.“

Hier lauert das erste Missverständnis, wenn di Fabio ein BGE so versteht, dass es das „ganze komplizierte System sozialer Sicherung“ ersetzen soll. Diese Überlegung ist in der Diskussion jedoch eine eher randständige und folgt keineswegs aus einem BGE, sondern aus einer bestimmten Konzeptualisierung. Hier wäre schon eine klärende Rückfrage angebracht gewesen.

„[FAZ] Wäre das verfassungsrechtlich gedeckt?

[di Fabio] Die Idee klingt sympathisch, viele Progressive aus der Digitalwirtschaft sind begeistert. Aber das Modell kann weder erworbene Anwartschaften zum Verschwinden bringen noch daran vorbeigehen, dass der soziale Rechtsstaat dann doch wieder in jedem Einzelfall wird prüfen müssen, ob das bedingungslose Grundeinkommen dem konkreten Lebensbedarf entspricht. Bei eingeschränkten oder pflegebedürftigen Menschen reichen die Summen, die für eine zwanzigjährige voll Erwerbsfähige auskömmlich sind, jedenfalls nicht. Ein Versorgungsanspruch für alle gegenüber der staatlichen Gemeinschaft verschiebt auch kategorial unser Menschenbild. Wenn nicht die freie Entfaltung als Persönlichkeit am Anfang steht, sondern der Anspruch auf ein staatliches Einkommen, wird die Gemeinschaft mit ihren Herrschaftsinstrumenten, um dafür die Mittel aufzubringen, wichtiger als der Einzelne. Das Grundgesetz verfasst den Staat aber subsidiär, daher stehen die Grundrechte am Anfang, damit wir uns zuerst nach unseren Plänen frei entfalten können. In jeder Freiheit schlummert eine sittliche Pflicht, die Talente zu nutzen, auch damit andere am Erfolg teilhaben können.“

Der Verweis auf die Digitalwirtschaft zeigt, dass di Fabio sich hier wohl eher über Zeitungslektüre einen Eindruck verschafft hat. Wen meint er denn? Die Diskussion ist erheblich breiter und es werden ganz andere Begründungen vorgebracht, auch in der öffentlichen Diskussion – von der akademischen ganz zu schweigen.

Welchen Stellenwert Anwartschaften langfristig haben werden, hängt davon ab, wie ein BGE ausgestaltet werden würde. Auf jeden Fall hätten sie einen anderen Stellenwert als heute, wenn ein BGE den Sockel bildete, zu dem Anwartschaften hinzukommen könnten. Macht man die heutigen Anwartschaften zum Ausgangspunkt für eine Einschätzung, was ein BGE (zwischen 1000 und 1200 Euro) leisten könnte, dann läge es etwa am Durchschnitt des Zahlbetrages der Altersrenten (2019) und des Arbeitslosengeldes I (2020). Ein BGE hätte hier also einen Egalisierungseffekt, ohne Anwartschaften darüber hinaus auszuschließen.

Die Frage des individuellen Bedarfes stellt sich anders, wenn denn der Sockel auf jeden Fall verfügbar wäre und bezüglich der Bedarfsfeststellung bzw. Bedürftigkeitsprüfung könnte im Unterschied zum BGE das Haushaltsprinzip greifen. In jedem Fall aber rückte, das wäre ebenso eine Folge eines BGE, ein anderer Zweck ins Zentrum des Sozialstaates, und zwar die Stärkung von Autonomie im Sinne von Selbstbstimmung, statt der Erwerbsbereitschaft bzw. -orientierung (siehe hier und hier). Di Fabios Einwand löst sich hier in Luft auf.

Ein BGE verschiebe „kategorial unser Menschenbild“ – welches genau meint er? Die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ist keine, die freischwebend möglich wäre, sondern nur in Abhängigkeit von anderen zu denken ist. Das gilt nicht nur für Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche im Zuge der Sozialisation, es gilt ganz selbstverständlich für ein Gemeinwesen von Bürgern, denn es ist nicht möglich, ohne dass die Ordnung, auf die sich di Fabio bezieht, von den meisten getragen wird. Wer Kinder hat und sich ihnen widmen will, kann nicht gleichzeitig erwerbstätig sein, denn dann müssen sich andere um sie kümmern. Auch hier ist die „freie Persönlichkeitsentfaltung“ davon abhängig, dass andere helfend bereitstehen, ganz gleich, ob sie dafür bezahlt werden oder nicht. Was also meint die Fabio, wenn er von dem Menschenbild spricht, das sich „kategorial“ verschiebe? Es ist nicht das Menschenbild, das faktisch unser Zusammenleben ausmacht, es ist auch nicht das Menschenbild der Demokratie, es ist eher das Menschenbild, das – etwas salopp ausgedrückt – unser Denken über die Welt auszeichnet, nicht so sehr diese Welt selbst.

Es überrascht nicht, dass di Fabio einen Widerspruch zwischen BGE und dem Subsidiaritätsgedanken ausmacht, doch besteht er wirklich? Folgt man der Formulierung aus der Enzyklika Quadragesimo Anno, schließt der Subsidiaritätsgedanke keineswegs ein, erwerbstätig sein zu müssen (siehe hier und hier). Lediglich folgt der Sozialstaat heute diesem Gedanken, nicht aber sind es die Grundfesten der Demokratie, die ihn so auslegen. Das Grundgesetz kennt keine Erwerbsobliegenheit.

Sascha Liebermann