„Abschied von der Arbeitsgesellschaft?“ In der Tat „unaufgeregt“…

…und äußerst sachlich, ein paar Anmerkungen liegen dennoch nahe.

Gleich zu Beginn sagt Frau Spannagel, ein BGE komme dem gleich, die Gesellschaft von Grund auf umzukrempeln – ist das zutreffend? Auf die Idee kann man nur kommen, wenn man die Einschätzung teilt, dass wir in einer Arbeitsgesellschaft lebten. Wenn hiermit die Erwerbszentrierung des Sozialstaates gemeint ist, dann ist die Aussage zutreffend, doch sie ist es nicht, wenn die politische Grundordnung betrachtet wird, denn die kennt schon bedingungslos geltende Rechte in Verbindung mit dem Staatsbürgerstatus. Deswegen kann diesbezüglich treffend von einem Widerspruch zwischen dieser Grundordnung und der Ausgestaltung des Sozialstaats gesprochen werden. Warum findet das keine Erwähnung in dem Gespräch, auch die Journalistin fragt nicht nach? Hieran wird eine Bürgervergessenheit deutlich, die sich durch diese Diskussion zieht.

Frau Spannagel differenziert die Grundidee von der konkreten Ausgestaltung und zählt hierbei das liberale Bürgergeld der FDP zu den BGE-Konzepten. Das verwundert, hält das Bürgergeld Sanktionen ebenso bei wie die Integration in den Arbeitsmarkt als Ziel.

Gefragt wird dann nach den volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die ein BGE habe, denn Güter und Dienstleistungen soll es weiterhin geben, wie wird damit umgegangen? Hier wäre eine Nachfrage hilfreich gewesen, denn weder kennt das Grundgesetz eine Arbeitspflicht, es schützt vielmehr die freie Berufswahl, noch gibt es irgendwelche Zwangsmittel dafür, die volkswirtschaftliche Leistung sicherzustellen. Die Grundordnung setzt auf die Leistungsbereitschaft der Bürger – das ist alles. Da die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch einen Rechtsanspruch darstellen, der von jedem beantragt werden könnte, vertraut das Gemeinwesen darauf, dass dies nicht geschieht. Trotz dieses Rechtsanspruchs werden Güter und Dienstleistungen heute erstellt. Wer also ein BGE als Experiment bezeichnet, muss auch die Demokratie als ein solches bezeichnen, das geschieht gemeinhin nicht.

Die Journalistin fragt dann nach den weniger angenehmen Tätigkeiten und unterläuft auch damit das Vertrauen in die Bürger heute. Es gibt in der Gegenwart keine Garantie dafür, ausreichend Personal für diese Tätigkeiten zu finden – daran lässt sich aus guten Gründen nichts ändern, solange die Demokratie nicht abgeschafft wird. Wer nun meint, ein BGE sorge gerade diesbezüglich für ein Problem, unterschätzt doch den Stellenwert, den diese Berufe samt ihrer Aufgaben haben. Nur weil Akademiker es nicht für attraktiv halten, als Müllwerker zu arbeiten, gilt das doch für andere noch lange nicht.

Bei der Frage nach der Finanzierung, in der mit den Bruttokosten hantiert wird, bleibt unerwähnt, dass der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer hierzu ebenfalls berücksichtigt werden muss, nicht einfach die Berechnung der Ausgaben nach BGE pro Person angestellt werden dürfen. Mit dem Grundfreibetrag verzichtet der Staat auf Steuereinnahmen, weil das Existenzminimum nicht angetastet werden soll. Diese Freibeträge sind deswegen in die Berechnung einzubeziehen, wodurch sie ganz anders ausfällt.

Auch wenn Frau Spannagel die Grenzen von Feldexperimenten sieht, hält sie doch valide Ergebnisse auf individueller Ebene für möglich. Das ist insofern überraschend, denn individuelles Handeln lässt sich nicht ohne kollektiv geltende Gerechtigkeitsvorstellungen analysieren, d. h. auch für das von Mein Grundeinkommen getragene und durch das DIW begleitete Experiment gilt, dass das Erwerbsgebot im Allgemeinen bestehen bleibt und das Experiment sich als Privilegiertenkonstellation darstellt mit allen weiteren Restriktionen bezüglich der Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden können. Was manche hoffen dadurch herauszufinden, ließe sich ganz anders untersuchen, ohne ein solches Experiment durchführen zu müssen. Siehe unseren ausführlichen Kommentar dazu hier. In  meinen Augen kann das Experiment bestenfalls dazu beitragen, interessante Geschichten darüber zu erzählen, wie Einzelne auf die Welt blicken und was sie für wichtig erachten – so wie bisher schon die Gewinner von Mein Grundeinkommen. In ihnen scheint etwas auf, das deutlich macht, wie sehr schon heute die Bereitschaft und der Wunsch, mitzugestalten und mitzuwirken vorhanden ist und mit der Einkommenssicherung zuerst einmal gar nichts zu tun hat.

Werden die Sozialversicherungen mit Einführung eines BGE wegfallen, so falle die damit institutionalisierte Solidarität ebenso weg, so die Behauptung Spannagels. Zum einen ist es nicht zwingend, dass alle bedarfsgeprüften Leistungen ersetzt werden, das würde neue Härten mit sich bringen. Das BGE erfordert nicht, das eine gegen das andere zu stellen. Zum anderen ist die mit den Sozialversicherungen verbundene Solidarität eine, die Nicht-Erwerbstätige im Regen stehen lässt, diese also immer schon außen vor ließ. Hier wäre die geringfügige Berücksichtigung von Sorgetätigkeiten zu nennen gewesen, die ihren Anteil an der Altersarmut von Frauen trägt. Doch davon ist nichts zu hören.

Dennoch teilt Frau Spannagel die Sorge nicht, ein BGE würde dazu führen, dass die Erwerbsbereitschaft grundsätzlich abnähme, denn Erwerbstätigkeit bedeute Tagesstruktur, man habe eine sinnvolle Aufgabe und sei besser in die Gesellschaft integriert. Vor allem letzteres erstaunt hier, denn gerade Erwerbstätigkeit ist eine moderne Errungenschaft und schützt die Person als ganze vor Vereinnahmung in Arbeitsverhältnissen. Das geht einher damit, sie nur in ihrer Bedeutung für die Bewältigung der mit einem Arbeitsverhältnis zusammenhängenden Aufgaben einzubeziehen. Integriert, wenn man das so nennen will, wird sie also nur bezüglich der Aufgabenbewältigung und ihren Teil dazu beizutragen, zugleich bleibt sie vollkommen austauschbar, sie wird auf die Aufgabenbewältigung reduziert. Als Person wird sie entsprechend gerade nicht integriert. Diese umfassende Integration als Person wird nur durch zwei Gemeinschaftsformen wirklich geleistet, das ist auf der einen Seite die Familie und alle familienähnlichen Konstellationen, in der sich ganze Personen und nicht Rollenträger begegnen, auf der anderen das Gemeinwesen, das sich auf die Bürger als Bürger gründet. Auch wenn die Überhöhung von Erwerbsverhältnissen genau die Integration der ganzen Person nicht leisten können, wird genau das vielfach suggeriert.

Zuletzt sei noch auf einen Punkt eingegangen, der am Ende des Gesprächs aufkommt, und zwar die Frage, ob denn die Einführung eines BGE auf nationaler Ebene möglich bzw. realistisch sei. Hier gibt Spannagel zu bedenken, dass die Zuwanderung in das System kontrolliert werden müsse im Falle einer nationalen Einführung, da sehe sie nicht, wie das gelingen sollte. Um das leisten zu können, bedürfte es einer weiteren Bezugsbedingung, z. B. des Aufenthaltstatus, das aber käme einer Abschwächung der Bedingungslosigkeit gleich. Wie Frau Spannagel zu dieser Schlussfolgerung gelangt, ist nicht klar. Das Attribut „bedingungslos“ richtet sich in der Diskussion, auch der internationalen, stets auf die Gegenleistungsverpflichtung, also die Erwerbsbereitschaft, nicht aber auf den Bezugsstatus. Dass die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen und davon abgeleitet der Aufenthaltsstatus als Kriterium definiert werden muss, geht schon von der für eine politische Gemeinschaft notwendigen Selbstbestimmung aus, denn sonst wäre jeder Tourist bezugsberechtigt.

Wie so oft in Diskussionen über ein BGE bleibt eines völlig unterbelichtet, genauer noch: es taucht überhaupt nicht auf: die Demokratie in ihrer Grundordnung, ihrem Verständnis von Bürgern und der Souveränität. Hier liegt meines Erachtens die entscheidende Hürde für eine Einführung, dass nicht gesehen wird, wie sehr die politische Ordnung heute nach einem Sozialstaat verlangt, der ihren Grundfesten entspricht und nicht ihnen entgegensteht.

Sascha Liebermann