„Die SPD muss sich von ihrem Arbeitsbegriff verabschieden“…

…so Yannick Haan und Christina Kampmann (beide SPD-Mitglieder) im tagesspiegel in einem Beitrag, der verschiedene Personen zu dieser Frage zu Wort kommen lässt. An einer Stelle des Beitrags von Haan und Kampmann heißt es:

„Doch bevor man eine Lösung für die aktuelle Krise der SPD finden kann, muss man verstehen, wie die Partei in die aktuelle Situation kam. Der Abstieg der Volkspartei vollzieht sich seit einigen Jahrzehnten. Bis in die 1950er und 60er Jahre wurde Identität zu großen Teilen von dem Land geprägt, in dem der oder die Einzelne lebt. Die Nation verband den Einzelnen mit dem Kollektiv, als symbolisch aufgeladene Einheit.
So gut die Nation als Identität für viele auch funktioniert haben mag, so exklusiv und ausgrenzend war sie. Später lösten dann Großorganisationen, wie die Volksparteien, die Kirchen oder Gewerkschaften die Nation als identitätsstiftendes Merkmal ab. Man ging als Individuum in die SPD und kam als Genosse wieder hervor. Es war die Hochphase der SPD – eine Phase, von der die Sozialdemokratie bis heute tief geprägt ist.“

Die „Nation“ hat an Bedeutung verloren – an dieser Stelle wird nicht klar, was gemeint ist, der Nationalstaat ist ja gerade nicht obsolet, wie wir an der aktuellen Lage der EU erkennen können. Er ist kein Relikt aus grauer Vorzeit, sondern bislang noch immer die politische Vergemeinschaftung, an der Selbstbestimmung hängt, auch wenn der EU schon erhebliche Zuständigkeiten übertragen wurden. Sicher kann man die Vision haben, dass die EU einmal an die Stelle des Nationalstaats treten könnte, also mit einem Parlament, das volle Kontrollrechte hat, von dem Gesetzesinitiative in jeder Hinsicht ausgeht und das die Regierung kontrolliert. Doch bislang ist das nicht in Sicht und besteht eher die Gefahr, den Nationalstaat aufzugeben, bevor etwas an seine Stelle getreten ist, das würde bedeuten, politische Selbstbestimmung aufzugeben. Später im Beitrag der Autoren wird dann deutlich, dass sie den Nationalstaat für überholt halten.

In der Folge taucht dann das Grundeinkommen auf, das offenbar für wichtig gehalten wird:

„- Die Sozialdemokratie muss sich von ihrem bisherigen Arbeitsbegriff trennen. Die Arbeitsrealität vieler junger Menschen und die Arbeitsmarktpolitik des letzten Jahrzehntes passen nicht mehr zusammen. Während lineare Lebenswege früher vorgezeichnet waren, also Ausbildung – Arbeit – Rente, sind Lebensläufe heute vollgepackt mit freiwilligen und unfreiwilligen Brüchen. Junge Menschen machen heute oft erst eine Ausbildung, um dann zu studieren, gründen ein Startup, nehmen eine Auszeit, gehen dann wieder in den Job. Zwischendurch stehen Auslandsaufenthalte auf dem Programm und die Gründung einer Familie hat für viele eine zusätzliche Priorität. Dabei muss es möglich sein, sich weiterzubilden, Elternzeit zu nehmen, von der abhängigen Beschäftigung in die Selbstständigkeit und zurück zu wechseln, ohne dabei unentwegt über bürokratische Hürden zu stolpern. Die Digitalisierung bietet große Chancen, die Versprechen der SPD in der Arbeitsmarktpolitik zu realisieren. Daher wollen wir, dass Ideen wie Grundeinkommen oder Bürgergeld in der SPD nicht nur diskutiert, sondern endlich auch ausprobiert werden. Die SPD braucht ein modernes Sozialstaatskonzept, das den Lebensbiografien von heute gerecht wird.“

Der erste Teil ist etwas vage, welcher Arbeitsbegriff müsste denn an die Stelle treten? Schließen könnte man aus den Ausführungen, dass die Einkommenssicherung nicht mehr so eng an Erwerbstätigkeit geknüpft werden soll, die Sozialversicherungen anders konstruiert werden müssten – aber worauf läuft das genau hinaus? Ein „modernes Sozialstaatskonzept“ – gut, Bürgergeld oder Grundeinkommen, was immer damit gemeint ist. Immerhin eine Erwähnung, vielleicht denken sich die Autoren noch mehr dabei.

Sascha Liebermann