Große Ähnlichkeiten – das finnische Experiment angesichts eines unübersichtlichen Sozialstaats…

…, darüber spricht die Projektleiterin Marjukka Turunen unter anderem in einem Interview mit Zeit Online anlässlich des kürzlich vorgestellten Abschlussberichts. Neben einem sehr sachlichen Blick auf die Ergebnisse stellt sie heraus, was die gewonnenen Einsichten für eine Reform des in Finnland ähnlich unübersichtlichen Sozialstaats mit seinen vielen Einzelleistungen bedeuten können. Auch das ehemalige Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit hatte vor Jahren darauf hingewiesen, dass auch die Grundsicherung anfangs darauf zielte, mehr auf Pauschalen zu setzen, um die Handhabung zu vereinfachen.

An einer Stelle sagt Turunen:

„Wir haben gelernt, dass es nicht reicht, ihnen einfach nur Geld zu schenken und zu hoffen, dass sich damit alle Probleme von allein lösen. Man kann Langzeitarbeitslosigkeit auch nicht als isoliertes Phänomen betrachten. Oft stehen dahinter Krankheit – psychisch oder physisch – und oder Drogen und Alkohol. Es muss also individuelle Hilfsangebote geben. Wir müssen Anreize und Sanktionen neu denken.“

Alleine die Vorstellung, ein BGE könne alle Probleme lösen, ist ja äußerst weltfremd. Seriöse Befürworter behaupten so etwas auch nicht. Insofern ist ihre Einschätzung treffend, doch zugleich überrascht es, wenn sie meint, dies herausheben zu müssen. Zweierlei fällt auf: 1) Sie erwähnt nicht, welche Stigmatisierung vom Vorrang von Erwerbstätigkeit ausgeht, die Personen besonders trifft, die sie hier erwähnt. Diese Wirkung ist nicht zu unterschätzen. 2) Wie denkt man „Anreize und Sanktionen“ neu, sie sind doch nur zwei Seiten derselben Medaille, und zwar der Vorstellung, Menschen brauchten „Anreize“ (siehe hier und hier), um sich einbringen zu wollen. Es wäre angemessen davon zu sprechen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die ein solches Engagement erschweren. Das erfordert indes einen anderen Blick darauf, warum Menschen tun, was sie tun.

Dann heißt es:

„ZEIT ONLINE: Kritiker des Grundeinkommens unterstellen den Empfängern gerne Faulheit. Haben die Teilnehmer die zwei Jahre auf dem Sofa verbracht?
Turunen: Natürlich nicht. Aber allein mit Geld holt man die Leute nicht in die Arbeitswelt zurück. Und auch wenn die Effekte auf dem Arbeitsmarkt nicht signifikant waren: Lohnarbeit ist nicht der einzige Maßstab für Erfolg. Laut unserer Umfragen wurde doppelt so viel Freiwilligenarbeit geleistet und andere unbezahlte Arbeit wie die Betreuung von Angehörigen stieg um ein gutes Drittel.“

Keine überraschende Einsicht. Dann wieder das Anreiz-Theorem:

„ZEIT ONLINE: Aber sind 560 Euro im Monat nicht viel zu wenig?
Turunen: Unsere Experten haben das hoch und runtergerechnet. Aber Summen über 1000 Euro sind zu nah am Mindesteinkommen, da würden dann vielleicht wirklich die Anreize fehlen, sich einen Job zu suchen. Und es geht ja auch um die Solidargemeinschaft: Warum sollten Gutverdiener dann auch diese Summen kassieren? Und woher sollten wir die vielen Milliarden nehmen, die das kosten würde? Wir setzen auf eine Grundsicherung mit Obergrenze, die dem individuellen Bedarf angepasst wird.“

Das ist auch ein Grund, weshalb bestimmte Einschätzungen zum BGE sich hartnäckig halten. Und die „Gutverdiener“? Gibt es in Finnland keine Steuerfreibeträge?

„ZEIT ONLINE: Ging es Ihnen mit dem Experiment auch darum, der Leistungsgesellschaft einen neuen Ansatz entgegenzusetzen?
Turunen: Nein, wir sind eine Leistungsgesellschaft, nach wie vor. Aber wir wollen die bürokratischen Hürden aus dem Weg schaffen und es den Menschen einfacher machen, Unterstützung zu bekommen – und zwar angemessene, individuelle Unterstützung.“

Eben, ein BGE steht dem Leistungsgedanken nicht entgegen, es korrespondiert ihm, aber in anderem Sinne als heute.

Sascha Liebermann