„Freiheit und Freizeit für alle“ – aber wie und auf welcher Basis?

Lukas Hermsmeier schreibt auf Zeit Online über Erwerbsarbeit und ihre Überschätzung, ja Glorifizierung als Ort der Erfüllung und Selbstverwirklichung. Dabei bezieht er sich auf Ausführungen verschiedener Autoren, die sich zur Entwicklung des Arbeitsverständnisses und seiner Folgen äußern. An einer Stelle taucht der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf:

„Benanavs Analyse geht über die übliche Dystopie-Utopie-Binarität der Diskurse zum Thema Automation hinaus. Weder werden uns Roboter zwangsläufig alle Jobs wegnehmen und uns so zu Sklaven der Technik machen, erklärt Benanav, noch werden sie uns von aller Arbeit erlösen und dadurch befreien. Entscheidend dafür, in welche Richtung es gehe, sei, wer die Technologien für wen unter welchen Bedingungen vorantreibe. Auch an die angebliche Allheilkraft der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens glaubt Benanav nicht. Die Vorschläge dazu ließen das zentrale Problem unangetastet, das darin liege, wie Arbeit generell organisiert ist, so nämlich, dass die allermeisten Menschen keinerlei Kontrolle haben und die allerwenigsten davon profitieren. „Die Menschen haben heute wenig Mitspracherecht, wie ihre Arbeit erledigt wird“, schreibt Benanav, was daher komme, dass eine „winzige Klasse von ultrareichen Individuen die Entscheidungen über Investitionen und Beschäftigung monopolisieren“.“

„Allheilkraft“ – sollte Benanav das so vertreten haben, erstaunt einen der Popanz, denn wo behauptet jemand ernsthaft, ein BGE könne eine solche „Allheilkraft“ sein? Ähnlich wie bei Vertretern einer Jobgarantie wird behauptet, ein BGE lasse „das Problem unangetastet“, wie „Arbeit generell organisiert“ sei.

In der Tat lässt ein BGE direkt die Organisation von Arbeit unangetastet. Aber durch die Handlungsmöglichkeiten, die es schafft, schafft es zugleich eine Machtumverteilung, von der relativen Asymmetrie heute zu mehr Egalität.

Mit der Möglichkeit, jeglichen Erwerbsarbeitsbedingungen zu entsagen, stünde etwas bereit, das es heute gar nicht gibt. Die Stärkung des Einzelnen kann im Gefolge eine Stärkung der kollektiven Interessenvertretung bedeuten. Hier könnten Kollektivvertretungen auf Unternehmensebene ganz andere Aktivitäten entfalten als bislang. Was Benanav allerdings unterschätzt, ist, dass die heutigen Verhältnisse nicht verstanden werden können, ohne die Gerechtigkeitsvorstellungen zu bestimmen, die kollektiv dominieren. Der Rang, den Erwerbstätigkeit innehat, ist nicht dekretiert worden, er ist auch keine Erfindung des Neoliberalismus oder sonstigen Kräften, sondern historisch gewachsen, weil er einst mit Möglichkeiten des Aufstiegs und der Befreiung von feudalen Fesseln einherging. Ihm wohnt ein Egalitätsverständnis inne, das historisch neu war. Heute jedoch paart sich eine Überhöhung von Erwerbstätigkeit mit einer Überhöhung des Individuums im Sinne einer Missdeutung von Individualität als Freiheit von Abhängigkeiten bzw. von Beziehungen. Man könnte dafür als Grund anführen, dass im Zuge eines Prozesses der Enttraditionalisierung von Gemeinschaftsvorstellungen kein neues Gemeinschaftsverständnis im Sinne des universalistisch verfassten Nationalstaats an diese Stelle getreten ist, zumindest nicht im öffentlichen Bewusstsein, obwohl die politische Grundordnung in Deutschland sich genau darauf stützt.

Hermsmeier greift diese Zusammenhänge bedauerlicherweise gar nicht auf und beschließt seinen Beitrag hiermit:

„Auf Dauer nachhaltiger und gerechter als dieses Irgendwie-besser-Zurück wäre ein entscheidendes Neu-nach-Vorne. Welche Arbeit brauchen wir wirklich? Welche macht uns nur kaputt? Und wie teilen wir die Arbeit auf? Würden die Menschen über solche Fragen demokratisch bestimmen können, käme mit großer Wahrscheinlichkeit etwas anderes heraus als das, was wir jetzt haben. Ein erster Schritt könnte das sein, was Eva von Redecker unter „aktivem Streik“ versteht, wem es denn möglich ist: „Ein Aussetzen der Arbeit, um einen anderen Alltag zu erproben, oder vielleicht noch treffender: ein Aussetzen des Alltags, um eine andere Arbeit zu erproben.“

Ja, warum nicht, doch weshalb so abstrakt? Was kann schon bestreikt werden, die Aufgaben im Haushalt z. B. nicht, es sei denn von Hausangestellten. Hier erscheint der Schluss dann ziemlich einfallslos, statt am Bestehenden anzuknüpfen, auch hinsichtlich der Demokratie, in der wir leben und wir als Bürger tragen. Im Unterschied zu solchen schönen Gedanken, um eine Formulierung Hegels zu verwenden, wären konkrete Vorschläge hilfreicher. Bei aller Radikalität ist ein BGE auch pragmatisch, geht vom Bestehenden aus, es kann an es anknüpfen. Die Möglichkeiten, die es bietet, reichen jedoch ungleich weiter.

Sascha Liebermann