„Was macht Arbeitslosigkeit mit den Menschen?“ fragt Norbert Seitz im Deutschlandfunk…

…und Michael Sienhold (BGE Eisenach) weist auf einen wichtigen Umstand hin (hier geht es zum DLF-Beitrag). Was die Studie nicht analysiert, zumindest nicht in der veröffentlichten Fassung, ist, welche Bedeutung der Umstand hat, wie „Arbeitslosigkeit“ (besser Erwerbslosigkeit) gesellschaftlich bewertet wird. Sie ist kein neutraler, anderen gleichrangiger Zustand, sondern ein normativ bewerteter, er wird als unerwünschte, vorübergehend tolerierte Abweichung betrachtet.

Das ist der Grund für seine stigmatisierende Wirkung. Dass die Forschergruppe methodisch innovativ für die damalige Zeit vorgegangen ist, wie Tilman Allert hervorhebt, Feldforschung betrieben (teilnehmende Beobachtung) und verschiedene Datentypen genutzt hat, ist interessant, über die Wege der Auswertung erfährt man in der Studie allerdings wenig.

Bis heute gilt die Marienthalstudie als Referenzstudie gerade für den Beleg – das wird auch im Beitrag stark gemacht -, welche Folgen Arbeitslosigkeit habe, und bis heute muss festgestellt werden, wird die normative Dimension dieses Status nicht genügend beachtet. Deswegen werden daraus auch nicht angemessene Schlussfolgerungen gezogen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in Seitz‘ Beitrag erwähnt wird, und zwar vom Bürgermeister Gramatneusiedls, ist, dass Marienthal nie eine eigene Gemeinde war, sondern sich um die Textilfabrik herum herausgebildet hatte. Auch das wäre in die Analyse einzubeziehen, um zu ermessen, weshalb die Wirkung der Erwerbslosigkeit so drastisch war. Ein wichtiger Aspekt, worauf Reinhard Müller und Tilman Allert hinweisen, ist, dass Frauen anders davon betroffen waren als Männer, denn sie waren zwar arbeits-, nicht aber „beschäftigungslos“, denn die Sorge um „die Liebsten“ war für sie wichtig – für die Männer eher weniger. Das hätte bei der Auswertung übrigens schon zu denken geben müssen und öffnet zugleich den Blick über die Studie hinaus.

Zur Frage der normativen Bewertung von Erwerbstätigkeit und ihrer Folgen, siehe hier.

Sascha Liebermann