Arbeitsgesellschaft?

Interview mit Hans-Christoph Schmidt am Busch, Professor für Philosophie an der TU Braunschweig, in der Braunschweiger Zeitung. Ich kommentiere ausgewählte Passagen:

„[BZ:]Ausgezahlt würde es auch an Menschen, die so vermögend sind, dass sie es eigentlich nicht benötigen.

[SaB:] Ja, auch Wohlhabende hätten einen Anspruch darauf. Natürlich ist diese Vorstellung kontrovers: angesichts der gesellschaftlichen Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch, weil Wohlhabende das steuerfinanzierte Grundeinkommen entscheidend mitfinanzieren würden. Ich bin mir sicher, dass dieser Punkt stark diskutiert werden wird.“

In der Tat sehen einige darin, dass Wohlhabende ein BGE ebenso erhalten sollten, einen entscheidenden Einwand. Allerdings müsste sich dieser zuerst einmal gegen die Gegenwart richten und nicht gegen ein BGE, denn „Wohlhabende“ haben Anspruch auf den Grundfreibetrag im Einkommensteuergesetz wie jeder andere. Entweder bezeugt der Einwand mangelnde Sachkenntnis oder er ist ideologisch bedingt. Ein BGE, wie schon oft festgestellt, ist nichts anderes als ein ausgezahlter Grundfreibetrag in existenzsichernder Höhe.

An einer anderen Stelle heißt es:

„[BZ:] Das Grundeinkommen würde Menschen vom Zwang zu arbeiten befreien. Aber ist die Vorstellung, dass jeder etwas beitragen muss zu einer gelingenden Gemeinschaft, und dass Arbeit quasi seit der Vertreibung aus dem Paradies eine Grundkonstante unserer Existenz ist, nicht zutiefst verankert?

[SaB:] Ich glaube, dass die Idee der gesellschaftlichen Integration durch Arbeit ein Charakteristikum der westlichen Moderne ist. Antike und mittelalterliche Gesellschaften haben sie nicht gekannt. Für uns ist die Teilnahme an der Arbeitswelt normativ mit der Vorstellung verbunden, dadurch auch gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Es ist wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie ein unbedingtes Grundeinkommen diese tief verankerten Vorstellungen verändern würde – und ob wir die mutmaßlichen Veränderungen gutheißen können oder eben nicht.“

Zwar ist es richtig, dass die Vorstellung einer Erwerbsteilnahme aller Erwerbsfähigen als Gebot historisch jungen Datums ist, doch gilt sie gar nicht einschränkungslos, sie kollidiert mit einem anderen Prinzip: dem Zugehörigkeitsstatus zum Gemeinwesen, der weder von Erwerbsteilnahme abhängt, noch durch sie erreicht werden kann. Insofern ist die Rede von einer „Arbeitsgesellschaft“, in der wir lebten, irreführend und selbst noch Ausdruck einer Unklarheit diesbezüglich. Die Frage wäre also, ob ein BGE hierin nicht gerade zu einer Klärung führen würde, die heute so nicht gegeben ist.

Auch die nachfolgende Äußerung Schmidt am Buschs ist insofern nicht richtig: „Für uns ist Arbeit tatsächlich zentral, wenn es um gesellschaftliche Zugehörigkeit geht. Dabei spielen der Protestantismus und das Ideal einer egalitären Gesellschaft eine große Rolle – Ideen, die jüngeren Datums sind und im 18. und 19. Jahrhundert massive gesellschaftliche Umbrüche hervorgerufen haben.“

Von daher ist es erklärungsbedürftig, weshalb dieser Widerspruch zwischen der vorbehaltlosen Anerkennung der Bürger als Bürger und der Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit nicht Gegenstand einer intensiven Diskussion ist.

Abschließend sei noch diese Passage betrachtet:

„[SaB:] Ich glaube, dass wir uns in einer paradoxen Situation befinden. Einerseits gibt es nach wie vor das Ideal der gesellschaftlichen Integration durch Arbeit. Andererseits vermag die Arbeitswelt diese Funktion nicht angemessen zu erfüllen. Der Umfang prekärer Beschäftigungsverhältnisse hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Zugleich beeinflussen Einkommensformen wie Schenkungen oder Erbschaften, die gerade nicht an Arbeit gekoppelt sind, unser Leben stark. Aus Sicht der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte die Gesellschaft dadurch besser werden, dass es die Menschen von prekären ökonomischen Entwicklungen unabhängig macht, sie materiell absichert und davon befreit, als Bittsteller aufzutreten.“

Schmidt am Busch folgt hier konsequent der These, es handele sich beim gegenwärtigen Gemeinwesen um eine Arbeitsgesellschaft, ohne in irgendeiner Form die politische Ordnung zu erwähnen. Das ist dann doch überraschend, zumal er auf den Widerspruch zwischen der normativen Stellung von Erwerbstätigkeit und dem tatsächlichen Stellenwert von Sorgetätigkeiten ebensowenig eingeht.

Sascha Liebermann