„Arbeitslosigkeit ist kein Anreizproblem“…

…so der Titel eines Interviews mit Barbara Prainsack in der Wiener Zeitung.

Auf die erste Frage antwortet Frau Prainsack, dass ein reiches Land eine „moralische Verpflichtung“ habe, ein „ausreichendes Einkommen für ein würdevolles Leben zu garantieren“. Woraus aber erwächst diese Verpflichtung genau und was lässt aus einer abstrakten Verpflichtung eine gemeinschaftliche Aufgabe werden, wäre hier zu fragen?

Man kann in diesem Zusammenhang auf die „Menschenrechte“ verweisen, das wäre allerdings abstrakt, denn zumindest die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen tut sich damit schwer, sie hebt zwar ein „Recht auf Arbeit“ (Art. 23) hervor, nicht aber ein Recht auf Einkommen. Davon abgesehen hilft eine Erklärung nicht weiter, solange sich ein Gemeinwesen nicht nur zu ihr bekennt, sondern diese Vorstellung von Rechten auch als etwas betrachtet, dass zu ihrem Selbstverständnis gehört und seinen Sozialstaat entsprechend gestaltet. Damit es soweit kommt, bedarf es eines bestimmten Verständnisses davon, welche Stellung der Bürger in der politischen Ordnung hat, denn erst wenn sich dazu bekannt wird, dass die Bürger die Ordnung auch tragen (müssen), kann Nicht-Bürgern ebenso ein solches Einkommen bereitgestellt werden, weil die Loyalität ersterer unerlässlich, die letzterer in keiner Form verlangt werden kann. Insofern läge es also viel näher und würde der Verfasstheit von Demokratien entsprechen, ein BGE aus der politischen Ordnung und der Stellung der Bürger in ihr abzuleiten. Dass dann auch Nicht-Staatsbürger ein BGE erhalten, folgte aus dem Verständnis personaler Würde.

An einer anderen Stelle antwortet Frau Prainsack mit Bezug auf ein Beispiel, dass der Interviewer eingeführt hat, eine Regelung in den USA betreffend:

„Kaum jemand kam früher in die Erwerbsarbeit zurück als in den Bundesstaaten, die sie mit Hilfen länger unterstützten. Bei Langzeitarbeitslosigkeit sind Krankheiten oder besondere Belastungen oft Ursachen. Auch das kann man nicht mit einem Anreiz lösen, das müsste man an der Wurzel anpacken. Es gibt auch Arbeitsplätze, die frei bleiben, weil sie Menschen nur dann annehmen, wenn es um das absolute Überleben geht. Die Ursache, warum sich dafür niemand findet, ist nicht das zu hohe Arbeitslosengeld, sondern dass diese Jobs krank machen und finanziell unattraktiv sind.“

Hier wird deutlich, was in Untersuchungen mit nicht-standardisierten Daten immer wieder herausgefunden wird, dass die Gründe dafür, Erwerbstätigkeit nicht aufzunehmen, vielfältig sind, der finanzielle „Anreiz“ aber gerade keine Rolle spielt, um „Anreize“ geht es gar nicht (siehe hier), der Begriff alleine führt schon in die Irre (siehe hier und hier). Man muss sich ohnehin fragen, welche Auswirkungen erzwungene Erwerbstätigkeit auf die Leistungsfähigkeit hat, kein Unternehmen wäre gut beraten, jemanden einzustellen, der bei ihm nicht arbeiten will bzw. dies nur tut, um Einkommen zu erzielen.

An einer weiteren Stelle geht es noch einmal um „Anreize“:

„[Wiener Zeitung] Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will mit einem degressiven, also zunehmend sinkenden Arbeitslosengeld Langzeitarbeitslosigkeit verhindern. Wie sehen Sie das?

[Prainsack] Das kann es nicht, weil die Ursache in den meisten Fällen eben kein Anreizproblem ist. Das ist ein Denkfehler, wobei der auch von bestimmten Interessensgruppen strategisch eingesetzt wird. Wie man ein Problem formuliert, legt auch bestimmte Antworten nahe. Sehe ich Arbeitslosigkeit als Motivationsproblem, dann werden Geldanreize oder weniger Geld meine Lösung sein. Sehe ich aber in normierten Erwartungshaltungen, die Menschen nicht erfüllen können, weil sie nicht gesund oder flexibel genug sind, das Problem, dann muss ich mir als Unternehmen und als Staat, der dabei unterstützen muss, die Frage stellen, wie kann ich Erwerbsarbeit so an Menschen anpassen, damit alle mit sinnvollen Tätigkeiten ihr Auskommen finden.“

Die Deutung der Problemlage führt zu einer spezifischen Antwort, eine andere Deutung zu einer anderen. Es ist ein elementarer Unterschied, ob man davon ausgeht, dass Leistungsbereitschaft durch „Anreize“ ausgelöst wird oder ihren Grund im Habitus der Person hat und es günstiger Bedingungen bedarf, damit sie sich entfalten kann. Widrige Bedingungen behindern sie also an ihrer Entfaltung. Die krude Vorstellung, für die die erste Deutung steht, ist empirisch nicht haltbar, wenn man sich nicht-standardisierte Daten genauer anschaut.

Zum Abschluss sei noch diese Passage kommentiert:

„[Wiener Zeitung] Es gibt aber jetzt schon einen Fachkräftemangel. Wie finden betroffene Branchen dann ihr Personal?

[Prainsack] Dieses Problem muss man mit besseren Arbeitsbedingungen und Aus- und Weiterbildung lösen. Das Grundeinkommen kann übrigens auch für kleinere und mittlere Unternehmen einen Vorteil haben. Als Unternehmer hat man eine Basis und Arbeitnehmer können in schwierigen Phasen flexibler arbeiten, weil sie ebenfalls eine Existenzsicherung haben. Wer nicht von einem Grundeinkommen profitieren würde, sind Großkonzerne wie Amazon, die von Ausbeutung leben, weil sich niemand mehr ausbeuten lassen müsste.“

Hier ließe sich noch weiter argumentieren. Wenn Unternehmen leistungsbereite Mitarbeiter suchen, die sich für das Aufgabenspektrum interessieren und diese Mitarbeiter für das Leistungsgefüge wichtig sind, dann ist ein BGE entscheidend, denn niemand muss eine Stelle haben, um Einkommen zu erzielen. Rekrutierungsgespräche werden einfacher, weil klar leistungsbezogen, für beide Seiten, beide können Klartext reden – auf jeder Qualifizierungsstufe.

Das Interview lässt anhand der Fragen allerdings erkennen, wie wenig die Bereitstellung standardisierter Güter und Dienstleistungen im Zentrum der Debatte steht, welch erstaunliche geringe Rolle Wertschöpfung spielt und welch groteskes Gewicht die Vorstellung erhält, der Einsatz menschlicher Arbeitskraft sei mehr oder weniger immer sinnvoll, ja der Zweck unternehmerischen Handelns.

Sascha Liebermann