Armutsforscherin Irene Becker zum „Bürgergeld“ und was sie von Sanktionen hält…

…im Interview mit der Berliner Morgenpost. Ihre Einschätzung ist insgesamt interessant und nüchtern, an einer Stelle überrascht sie, diese Stelle sei hier gleich zuerst zitiert:

„Was positiv ist, ist die Erhöhung der Erwerbsanreize, also etwa der erhöhte Erwerbsfreibetrag.“

Angenommen wird hier, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hänge überhaupt davon ab, dass „Erwerbsanreize“ vorliegen. Dass diese Annahme viel zu einfach und geradezu krude ist, darauf hatten schon vor vielen Jahren Georg Vobruba und Kollegen hingewiesen, die sich mit der „Armutsfalle“ befassten.

Zu Sanktionen sagt sie folgendes:

„Becker: Ich halte Sanktionen nicht für sinnvoll, denn ich sehe da ein logisches Problem. Wenn wir ein absolutes Existenzminimum haben und jeder Mensch ein Recht darauf hat, dann kann ich dieses Minimum nicht mehr kürzen. Dieses Grundrecht ist ja nicht an bestimmte Verhaltensregeln gebunden. Und warum sollte man die Situation von Millionen Menschen, die durchaus gerne arbeiten würden, daran ausrichten, dass es einige wenige mit besonderen Problemen gibt, die sich verweigern? Das machen wir bei anderen Gesetzen auch nicht. Wir richten das Einkommensteuergesetz nicht daran aus, dass es Leute gibt, die die Einkommensteuer systematisch hinterziehen. Da muss die Gesellschaft leider damit leben, dass es bestimmte Gruppen gibt, die die Gesetzeslage geschickt für sich ausnutzen.“

Eine sehr klare Einschätzung, die durchaus im Widerspruch zu den „Erwerbsanreizen“ oben steht, denn Frau Becker sagt, dass „Millionen Menschen“ gerne arbeiten würden, sie brauchen keine „Anreize“, die Erwerbstätigkeit selbst ist Grund genug. Ihre Ausführungen zur Gesetzeslage sind auch deutlich.

Ob denn nun das Bürgergeld den Weg zum BGE bahnen würde, wird sie auch gefragt:

„Becker: Das sehe ich nicht so, wir haben ja weiterhin die Sanktionen. Da hat sich nur marginal etwas geändert. Die Menschen, die Bürgergeld erhalten, müssen diverse Pflichten erfüllen, sonst werden sie nach wie vor sanktioniert. Und selbst wenn wir, wie ich es befürworten würde, auf Sanktionen ganz verzichten, hätten wir kein bedingungsloses Grundeinkommen. Denn es wird ja nicht automatisch an jeden und jede ausgezahlt. Allein die Beantragung ist eine Hürde, da muss schon mitgearbeitet werden. Deswegen ist es weit hergeholt, beim Bürgergeld von einem bedingungslosen Grundeinkommen zu sprechen.“

Damit ist alles gesagt, abschließend noch zur „Abschaffung“ von Hartz IV:

„Becker: Ich sehe nicht, dass Hartz IV abgeschafft wird. Es wird umbenannt. Ansonsten ist es eine Fortführung des Systems, das wir haben – mit moderaten Reformen. Teilweise sind die okay, in vielen Bereichen gehen sie aber nicht weit genug.“

Sascha Liebermann