„Empfänger von Hartz IV sind nicht faul“ – ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist dennoch keine Lösung…

…so äußert sich Rainer Radloff, Geschäftsführer des Jobcenters in Bielefeld, in einem Interview mit der Neuen Westfälischen. Radloff bewegt sich ganz in der normativen Konstruktion des heutigen Sozialstaats. Leistungsgerechtigkeit sei sein Prinzip, wer also etwas erhalte, müsse auch etwas geben. Im Interview gibt es einen tiefen Einblick in die Herausforderungen, vor denen das Jobcenter aufgrund der heutigen Gesetzeslage steht. Hier wichtige Passagen daraus:

„Es geht also nicht darum, dass Bezieher von Hartz IV leistungsunwillig sind?
Radloff: Nein, mir ist es wichtig, den Blick darauf zu lenken, dass SGB-II-Leistungsbezieher nicht faul sind. Ein großer Teil der Menschen arbeitet. Wir bringen jährlich zusätzlich 6.000 Leistungsbezieher wieder in Arbeit. 25 Prozent unserer Kunden haben eine Berufsausbildung. Das ist zwar nicht die Mehrheit, aber eine Gruppe, auf die man aufbauen kann.“

Dann eine Passage über Sanktionen:

„Trotzdem sind in einigen Fällen Sanktionen veranlasst worden. Was sind dann die Gründe dafür?
Radloff: In 74 Prozent der Fälle geht es um Meldeversäumnisse. Wenn sie häufiger vorkommen, haben wir festgestellt, dass einige Kunden mittlerweile Arbeit haben oder weggezogen sind, sich aber nicht abgemeldet haben. Dass sich jemand aus Faulheit weigert zu arbeiten, erleben wir sehr selten. Wir haben allerdings Menschen bei uns, die unter psychischen Störungen leiden. Diese trauen sich zum Beispiel nicht mehr, Straßenbahn zu fahren. Sie sind eigentlich bereit, zu arbeiten, tauchen dann aber beim Arbeitgeber nicht auf. In solchen Fällen geht es darum, die Gründe zu finden, was dahintersteckt.“

Triviale Gründe für Sanktionen durch Meldeversäumnisse. Dass Radloff überhaupt von „Faulheit“ spricht, überrascht angesichts seiner differenzierten Ausführungen, denn sogenannte Faulheit hat Gründe und ist nicht einfach eine Frage des Wollens. Hier würde man gerne wissen, ob auf genauere Nachfrage Radloff einräumte, dass dahinter stets lebensgeschichtliche Traumatisierungen stecken.

„Im Bielefelder Jobcenter werden mit einer Quote von 1,3 Prozent vergleichsweise sehr wenige Sanktionen verhängt. Wie gelingt das?
Radloff: Es geht uns mehr um die Beratungsbeziehung. Die Menschen, die zu uns kommen, befinden sich oft in einer Lebenskrise. Sie sind zum Beispiel als Flüchtlinge hierhergekommen. Diese Menschen brauchen nicht nur finanzielle Hilfe, sondern Beratung, wie es jetzt weitergehen kann. Wir können keine Menschen in Lebenskrisen in irgendeiner Form sanktionieren. Dann verschärfen wir die Situation eigentlich nur. Besser ist es, wenn wir Vertrauen aufbauen und Verbindlichkeit schaffen.“

Lebenskrisen spielen also eine große Rolle in diesen Fällen (siehe dazu die Studie „Verwaltung des Sozialen“), wäre es dann nicht um so besser, wenn das Beratungssetting auf einer anderen Grundlage stünde, und zwar auf einer, die nicht mit Sanktionen bewehrt ist? Radloff räumt hier ja nur ein, wann sie es für nicht sinnvoll halten zu sanktionieren, sie könnten es aber.

Dann kommt die Passage zum BGE:

„Sie sind gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Radloff: Wir haben festgestellt, dass wir ganz viele alleinstehende, ältere Männer in den Stadtteilen haben, die aus ihrem Viertel seit Jahren nicht mehr herausgekommen sind, weil sie wirklich isoliert sind. Außer den Beratern im Jobcenter haben diese Menschen kaum Gesprächspartner. Da ist es schwer zu sagen, denen geben wir einfach nur Geld. Natürlich bin ich sehr dafür, die sozialen Leistungen, die wir geben, zu entbürokratisieren. Man sollte die Menschen aber auch nicht allein lassen.“

Das ist eine häufig anzutreffende Begründung, als sei das Jobcenter die einzige Möglichkeit, in der Bürgern Angebote gemacht werden können. Stadtteilnahe Angebot, die auf Freiwilligkeit setzen, Angebote, die ausgeschlagen werden können, sind etwas ganz Anderes als Begegnungen, die nur stattfinden, weil Leistungen beantragt werden müssen. Außerdem überspringt Radloff hier den Zusammenhang zwischen der Bewertung von Erwerbstätigkeit auf der einen und den Folgen, die das für den Renteneintritt hat, auf der anderen Seite. Gerade für sein Beispiel wäre das zu beachten, denn Männer identizieren sich mit Erwerbstätigkeit erheblich stärker als Frauen, der Renteneintritt kommt also einem Bedeutungsverlust gleich. Ein BGE würde aber gerade die Bedeutung von Erwerbsarbeit relativieren und damit andere Formen, sich einzubringen aufwerten. Was Radloff dagegen anführt, spräche im Grunde dafür, doch dazu müsste man sich vor Augen führen, woher manche Phänomene rühren, an die Ursache gehen und nicht Symptome kurieren wollen, dazu noch durch Beaufsichtigung.

Sascha Liebermann