„…mit Kürzungen und Streichungen bei den sozialen Transferleistungen zu rechnen haben…“ – Oskar Lafontaine zur Sozialpolitik 1999

Kürzlich bin ich auf diese Ausführungen Oskar Lafontaines aus dem Jahr 1999 durch einen Tweet (darin in einem Kommentar) aufmerksam geworden. Nun war es damals beileibe nicht so, dass die Mehrheit das anders sah, sonst wäre es gar nicht so weit gekommen. Und noch heute halten sich Verklärungen des Sozialstaats vor der Agenda 2010 oder solche, die meinen, eine Abschaffung von Sanktionen (siehe auch hier) sei möglich, ohne das Erwerbsgebot aufzuheben – das wäre aber ein Widerspruch in sich.

Hier die Äußerungen Lafontaines laut Plenarprotokoll.

„Ich möchte zu den Angeboten auf dem Arbeitsmarkt eines hinzufügen: Wir können hier von Skandinavien und vielleicht auch von den angelsächsischen Ländern noch lernen. Das ist meine Überzeugung. Wir können lernen, daß das Angebot auf dem Arbeitsmarkt allein nicht ausreichend ist; vielmehr muß es mit Maßnahmen verbunden sein, die dazu führen können, daß Mitbürgerinnen und Mitbürger, die dieses Angebot nicht annehmen wollen, mit Kürzungen und Streichungen bei den sozialen Transferleistungen zu rechnen haben. Ich meine, daß es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten in unserem Staat gibt. Dies muß auch in der Sozialgesetzgebung zum Ausdruck kommen.“ (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/ 20 – 14. Wahlperiode, 20. Sitzung,  23. Februar 1999, S. 1408)

Eine klare Ansage, die ganz dem Geist von Hartz IV entspricht, aber auch schon vor diesem vorgesehen war. Denn Sanktionen sind keine Erfindung der Agenda 2010 (siehe hier).

Im Jahr 2016 äußerte Lafontaine sich in einer Stellungnahme zu Hartz IV so:

„Hartz IV ist die Hauptursache für die Ausweitung des Niedriglohnsektors mit Hungerlöhnen, die später zu Hungerrenten führen. Deshalb muss die Zumutbarkeitsklausel gestrichen werden, die Arbeitslose dazu zwingt, jeden angebotenen Job anzunehmen, egal wie unwürdig er bezahlt wird. Auf diese Art wirkt Hartz IV als ‚Rutschbahn der Löhne nach unten‘ und setzt die Arbeitnehmer so unter Druck, dass sie sich kaum noch trauen, sich für ihre Interessen einzusetzen.“

War, was er hier kritisiert, nicht genau seine Stoßrichtung in 1999? Hat er sich davon einmal ausdrücklich distanziert?

Auch zum BGE äußerte Lafontaine sich in  einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2010:

„Lafontaine: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine gute Idee, scheitert aber allein schon daran, dass kein nachvollziehbarer Vorschlag vorliegt. Deshalb müssen wir auf absehbare Zeit noch nach dem Grundsatz vorgehen, dass diejenigen, die arbeiten können, auch arbeiten gehen – und jene, die aus vielfältigen Gründen keiner Erwerbsarbeit nachgehen können, ihr Einkommen über den Sozialstaat beziehen.“

Das klingt ja schon beinahe nach vorsichtiger Befürwortung, die lediglich an den noch fehlenden umsetzbaren Vorschlägen scheitert – oder ist das doch lediglich der Versuch, eine Stellungnahme wie in 1999 zu vermeiden?

Sascha Liebermann