„1000 Euro für jeden sind unsozial“ – der DGB-Vorsitzende Rhein Main behauptet viel…

…in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zu Beginn sei festgehalten, dass Jacks in seiner Einschätzung schwankt. Heißt es am Anfang gleich, ein Bedingungsloses Grundeinkommen funktioniere nicht, sagt er in den folgenden Ansätzen, es funktioniere nicht ohne weiteres bzw. habe er heute Zweifel am BGE. Das ist ein ziemlicher Unterschied, denn Zweifel geben zuerst einmal Anlass dazu, Fragen zu stellen und die sind mehr als berechtigt, wenn es sich um Neuerungen handelt. Aber Zweifel um des Zweifelns willen führen auch nicht weiter. Am Ende sei es dann doch die Finanzierung, an der es hänge.

Was sagt er genau?

Gleich zu Beginn hält er fest, dass die Idee nicht „funktioniert“, auch wenn sie charmant sei. Weshalb soll sie nicht „funktionieren“?

„Der Knackpunkt ist nunmal die Finanzierung, das zeigt sich in der Corona-Krise: Wenn die Menschen weniger Einkommen haben und weniger konsumieren, soll der Staat ihnen dennoch ein Grundeinkommen zahlen, obwohl er selbst aber deutlich weniger Einnahmen hat. Das kann nicht funktionieren. Es gibt ja im Wesentlichen zwei Konzepte, wie solch ein Grundeinkommen zu finanzieren wäre…“

Zwar kann an einem Grundeinkommen auch dann festgehalten werden, wenn der Staat weniger Einnahmen „hat“, das wäre nichts anderes als eine kontrazyklische Politik zur Stärkung der Binnenkaufkraft. Sollte diese auf Dauer aber nicht stabilisierbar sein, würde ein Grundeinkommen sinken müssen – bestreitet das wer ernsthaft in der Debatte? Der Einwand ist eher ein Pappkamerad und gilt gleichermaßen für die heutige Situation.

Nach dem Hinweis des Interviewers auf das Sozialbudget, das zur Finanzierung genutzt werden könnte, antwortet Jacks:

„… das würde tatsächlich gerade so reichen für 1000 Euro für jeden Bürger – aber nur, wenn alle anderen Sozialleistungen eingestampft werden, zum Beispiel Renten, Krankenversicherungen und Jugend- und Sozialhilfen, stattdessen bekäme jeder 1000 Euro, egal ob reich, arm, gesund, krank, benachteiligt oder privilegiert. Das halte ich für unsozial. Übrigens, auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall würde dann wegfallen.“

Jacks macht die sogenannte Bruttorechnung, die in der Tat in der Grundeinkommensdiskussion hier und da angewendet wird. Jacks bezieht sich vermutlich auf eine Stellungnahme des Bundesvorstands von Ver.di und seine Kritik am BGENicht die Bruttokosten sind aber entscheidend, die Nettokosten sind maßgebend, also das Verhältnis von Aufwendungen für ein BGE und Wertschöpfung. In 2019 lag das Nettonationaleinkommen, also derjenige Teil am Bruttoinlandsprodukt, der für Einkommen zur Verfügung steht, bei etwa 2,8 Billionen Euro. Davon wäre ein Teil für das BGE aufzubringen (brutto), dem aber wiederum Steuereinnahmen gegenüberstehen, denn auch BGE-Bezieher zahlen mindestens Mehrwertsteuern und wenn sie erwerbstätig sind auch Einkommensteuern (je nach Steuerarten) – daraus ergeben sich dann die Nettoaufwendungen. Davon abgesehen sollen bedarfsgeprüfte Leistungen in der Regel – selbst Straubhaar zieht das in Erwägung – beibehalten werden – das zumindest ist die verbreitetste Vorstellung eines BGE (eine Streichung wäre in der Tat unsozial). Allerdings: auf der Basis eines BGE sinkt der Bedarf an bedarfsgeprüften Leistungen.

Jacks weist dann auf folgendes hin:

„In Frankfurt und Umgebung bekommen Alleinstehende im aktuellen System locker über 1000 Euro, wenn man Miete und Krankenversicherung mitrechnet. Und zwar sowohl bei der Grundsicherung für Erwerbsfähige, also Hartz IV, wie auch für die Grundsicherung im Alter, die viele aus Unwissen oder Scham nicht beanspruchen und in Altersarmut leben.“

Je nach dem wie ein BGE ausgestaltet würde, wären das dann Bedarfe, die über es hinausgingen. Es gibt aber auch Vorschläge, die vorsehen, dass die Krankenversicherungsprämie im BGE enthalten sein soll. Da es weitere bedarfsgeprüfte Leistungen geben kann, wäre, was Jacks als Problem mit einem BGE darstellt, gar keines. Entscheidend ist auch hier wieder, was er nicht erwähnt. Die Gewährungsbedingungen eines BGE sind vollständig anders, seine normative Basis wirkte sich auch auf bedarfsgeprüfte Leistungen auf, denn nicht mehr stünde die Erwerbsfähigkeit im Zentrum des Sozialstaats, sondern die Autonomie desjenigen, der Leistungen benötigt, die über das BGE hinausgehen. Dass dieser normative Unterschied nicht erwähnt wird ist auffällig, denn gerade die Erwerbszentrierung ist der Grund für die strukturelle Stigmatisierung von Leistungsbeziehern im heutigen System.

Auf die Frage, ob ein BGE nicht eine Reaktion auf den sinkenden Bedarf an „menschlicher Arbeit“ sei, sagt Jacks:

„Die These, dass den Menschen die Arbeit ausgeht, glaube ich nicht. Das wird seit 40 Jahren immer wieder behauptet, ohne dass es nur ansatzweise eingetreten ist. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ist in den vergangenen Jahrzehnten relativ konstant [Herv. SL] geblieben – auch wenn sie aufgrund von prekärer Beschäftigung wie Minijobs und Teilzeit nun auf mehr Schultern verteilt sind. Maschinen mögen den Menschen bei mancher Arbeit ersetzen, aber er sucht sich dann etwas Neues.“

Was er hier zum Arbeitsvolumen sagt, ist einigermaßen erstaunlich, denn sein Kollege, Kai Eicker-Wolff, hat vor einigen Jahren gerade herausgestellt, dass das Arbeitsvolumen sowohl absolut als auch pro Kopf sehr wohl gesunken ist (siehe hier; leider ist der Betrag von Eicker-Wolf nur noch mittelbar über meine Kommentierung zugänglich). Dasselbe zeigt auch eine Erhebung des Statistischen Bundesamts (siehe hier, S. 77) im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ab 1970. Es geht also nicht darum, was es zu glauben gilt, sondern was wir darüber zumindest statistisch wissen. Allerdings ist diese Entwicklung für die Relevanz eines BGEs ohnehin nicht notwendig und die These vom Ende der Arbeit litt von Anfang an unter Ungenauigkeit – es ging stets nur um Erwerbstätigkeit, auch bei Jacks ist das so.

An einer späteren Stelle kommt Jacks noch einmal darauf zu sprechen, dass der hier in Rede stehende Betrag von 1000 Euro angesichts der Lebenshaltungskosten in Frankfurt z. B. nicht ausreiche. Ja, aber was folgt daraus? Entweder muss der Betrag dann höher angesetzt oder durch entsprechende bedarfsgeprüfte Leistungen ergänzt werden. Wie sich Mietpreise nach Einführung eines BGE entwickeln, steht auf einem ganz anderen Blatt, man berücksichtige nur etwaige Folgen eines geringeren Zuzugs in die Ballungsgebiete, eine andere Wohnungsbaupolitik usw. Jacks macht es sich hier leicht. Kein Wort verliert er darüber, dass seine Sorge nur für Alleinstehende gilt, in Haushalten würden die BGE kumulieren, deren Lage stellt sich also ganz anders dar. Am Ende sagt er:

„Was glauben Sie, wie geht es mit der Debatte weiter?

Sie wird immer wieder mal aufflammen, ohne dass es zu einem Ergebnis führt. Die Emotionalität, in der diese Diskussion geführt wird, ohne nachzurechnen oder auch grenzübergreifend zu denken, ist schon oft enttäuschend. Aber vielleicht führt es ja dazu, dass sich mehr Menschen intensiver mit den Instrumenten unseres Sozialstaats auseinandersetzen.“

Vollmundig unterstellt Jacks den Befürwortern, dass sie nicht nachrechnen, kennt er etwa nicht verschiedene Berechnungsmodelle wie z. B. das Ulmer Transfergrenzenmodell (siehe auch hier)? Jacks muss sich hier vorhalten lassen, dass er Zusammenhänge (siehe oben) ausblendet, die für die Auswirkungen eines BGE aber von Bedeutung sind wie z. B. die Kumulierung von BGE in einem Haushalt. Für die Finanzierung ist das Volkseinkommen, auch Nettonationaleinkommen, relevant – es ist eine Verteilungsfrage. Es fehle an grenzübergreifendem Denken? Als gehe es in der Diskussion nicht seit Jahren genau darum. Bei aller Kritik, die er an „Hartz IV“ übt, sieht er nicht, dass die Sanktionen in ihm gerade nicht aufgehoben werden können, ohne das gesamte Prinzip der Erwerbszentrierung in Frage zu stellen. Kurzgefasst: Jacks hält am erwerbszentrierten Sozialstaat fest, das ist sein gutes Recht. Er flankiert das aber mit fadenscheinigen Einwänden gegen ein BGE.

Sascha Liebermann