„Wir nehmen ja als Unternehmer Lebenszeit in Anspruch“ – bodenständige und weitreichende Äußerungen von Götz W. Werner

Götz W. Werner ist – durchaus auch von Grundeinkommensbefürwortern – im Laufe der Jahre in etliche Schubladen gesteckt worden, er sei ein Träumer, ein weltfremder Anthroposoph oder gar naiver Humanist. Dabei besticht doch in vielerlei Hinsicht seine Bodenständigkeit, bestechen seine erfahrungsgesättigten Einschätzungen, wie an einem Interview mit dem Standard aus Wien aus dem Jahr 2017 auffällt. Hier ein paar Auszüge daraus:

„STANDARD: Sie treten seit mehr als zehn Jahren für bedingungsloses Grundeinkommen ein: 1000 Euro für alle ohne Wenn und Aber. Wurden Sie in Ihrem Glauben an das Gute im Menschen nie enttäuscht?
Werner: Man wird immer wieder enttäuscht. Was wir jedoch aus der Aufklärung gelernt haben, ist Gleichheit: Jeder hat die gleichen Rechte. Aus Grundeinkommen erwächst ein Raum der Freiheit. Es stellt eine ganze Gesellschaft vom Kopf auf die Füße. Niemand muss mehr zu Kreuze kriechen, keiner ist mehr bedrohbar oder erpressbar. Man begegnet Chefs, Ehepartnern, Schwiegereltern auf Augenhöhe. Betrüger, Bettler, Schlawiner gibt es immer. Aber Sie können dann sagen: Junge, hör mir zu, du hast ein Grundeinkommen.“

Für Werner ist vollkommen klar, dass Enttäuschung zum Leben gehört und damit hält er der Frage, die auf das „Gute“ im Menschen setzt, eine realistische Einschätzung entgegen. Für Werner ist nicht diese moralische Überhöhung nötig, er setzt auf Gleichheit, sie sei entscheidend und muss auch durch Einkommen abgesichert werden. Für Werner ist es selbstverständlich, dass wir bei allen Regeln und Institutionen, die nötig sind, auch vertrauen müssen. Ohne Grundvertrauen könnten wir der Welt überhaupt nicht vorbehaltlos begegnen, wir müssten immerzu alles unter Kontrolle haben, das wäre jedoch weltfremd, es ist unmöglich. Deutlich macht Werner auch, dass die Verantwortung für das eigene Leben noch stärker hervorträte durch ein BGE, weil der Freiraum, Entscheidungen zu treffen größer würde.

STANDARD: Was, wenn sich Menschen nicht über ihren Job definieren? Bei allem Respekt für den Verkauf von Zahnpasta: Aber stilisieren Sie Arbeit nicht zu etwas hoch, das sie für viele einfach nicht ist?
Werner: Jeder Topf hat einen Deckel, jeder Mensch findet seinen Platz im Leben. Welche Arbeit ich mache, hängt von der Wertschätzung ab, die ich erfahre. Deswegen ist Schlecker zugrunde gegangen. Weil ihn Kunden und Mitarbeiter nicht mehr wertgeschätzt haben. Wir brauchen Arbeit, um uns als Individuum zu definieren und um über uns hinauszuwachsen. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Journalist wären?“

Das genau macht Individuiertheit aus, die Ambitionen und Neigungen sind unterschiedlich, eben deswegen braucht „jeder Topf“ einen passenden „Deckel“ – und muss ihn sich selbst suchen. Worin dieses Sinnvolle, der Deckel, besteht, muss herausgefunden werden, die Verantwortung dafür liegt beim Einzelnen, denn nur er kann sagen, ob das, was er vorhat, zu ihm passt. Werner ist aber nicht naiv und räumt zugleich ein, dass diese Suche auch von Bedingungen abhängig ist, hier der erfahrenen Wertschätzung. Die Aufgabe selbst ist eines, wie miteinander umgegangen wird ein anderes – beides ist wichtig. Da „Arbeit“ als Deckel hier eine sein muss die zum „Topf“ passt, geht es auch nicht um irgendeine Arbeit, sie lässt sich noch weiter fassen im Sinne einer Aufgabe, die sich der Einzelne sucht oder derer er sich annimmt, auch außerhalb von Erwerbstätigkeit – auch wenn das hier nicht das Thema ist.

Hier noch ein Standardeinwand, der nüchtern pariert wird:

„STANDARD: Höhere Preise würden zur einer Konsumflucht über die Landesgrenzen hinaus führen.
Werner: An Grenzregionen ja. Aber letztlich regelt das die Entfernung.“

Trocken entgegnet Werner, dass dieses Problem heute längst bestehe, insofern also nicht durch ein BGE erst entstehen würde. Es gilt als ein Charakteristikum der BGE-Diskussion von Seiten der Kritiker, Probleme entstehen zu sehen, die längst bestehen und mit einem BGE nichts zu tun haben.

„STANDARD: Arbeitgeber wären von der Verantwortung freigespielt, für existenzsichernde Jobs zu sorgen.
Werner: Das ist auch nicht Aufgabe der Unternehmer. Ihr Job ist es, unter Einsatz von Geist, ressourcenschonend, mit sparsamen Umgang mit menschlicher Lebenszeit konsumfähige Güter herzustellen. Wir nehmen als Unternehmer ja Lebenszeit in Anspruch.“

Werner war hierin immer klar, es ist nicht des Unternehmers Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Wertschöpfung. Dass er dabei Lebenszeit in Anspruch nimmt, die nicht wieder zurückgewonnen werden kann, sowohl die eigene als auch die der Mitarbeiter, macht den schonenden Umgang mit ihr zum Maßstab für Erfolg. Diese ungewöhnliche Betrachtung ist jedoch genau Ausdruck eines modernen Verständnisses unternehmerischen Handelns auf der Grundlage liberaler Demokratien, dass die Wahrung der Autonomie Legitimationsgrund des Handelns ist.

In der folgenden Passage geht es um die Frage, ob ein BGE nicht zum „Magnet für Zuwanderung“ werde:

„STANDARD: Wer darf rein in dieses System, wer muss draußen bleiben – und wer zieht hier die Grenze? Es wäre Magnet für Zuwanderung.
Werner: Das ist doch schon heute so: Sie müssen bei jedem fragen, der unser Gast sein will, ob er ein Recht dazu hat. Wer gehört dazu, wer nicht: Dieses Problem ist immer zu lösen. Wir können nicht Leute einladen, beim Weihnachtsgansessen teilzunehmen, sie dann an den Katzentisch setzen und ihnen nichts zum Essen geben.“

Eine klare Einschätzung der Lage, auch hier wird deutlich, dass mit einem BGE nicht erst eine zu lösende Aufgabe entsteht, sondern schon längst entstanden ist. Werner macht auch deutlich, dass die Bereitschaft Menschen aufzunehmen, mit Verantwortung für diese einhergeht. Also muss die Frage gelöst werden, wie das Existenzminimum im Einklang mit unserem Verständnis von Autonomie sichergestellt werden kann.

Zum Abschluss noch eine Betrachtung zur Arbeitszeitverkürzung als Alternative zu BGE:

„STANDARD: Was halten Sie von einer Verkürzung der Arbeitszeit, um die Arbeitslosigkeit zu senken?
Werner: Oscar Lafontaine (Anm.: früherer SPD-Chef) hat mir einmal gesagt: Sie brauchen doch nur die Arbeitszeit verkürzen, dann haben alle wieder Arbeit. Ich habe zu ihm gesagt: Aber Herr Lafontaine, das heißt, Sie wollen die Zwangsarbeit wieder einführen? Finanziere ich alles über Arbeit, muss jeder einen Arbeitsplatz haben. Genau das gab es in der DDR: Den Leuten wurden Jobs zugewiesen.“

Werner kritisiert hier ein formales, durchaus auch sinnentleertes Verständnis von Arbeit dessen Grundlage gerade nicht die Wahrung von Autonomie ist, wenn nämlich der Zweck der Reduktion von Erwerbsarbeitszeit nur ist, möglichst von diesem Kuchen ein Stück für alle zu schaffen. Dass Lafontaine ein durchaus striktes Verständnis von Erwerbsverpflichtung hat, zeigen frühere Äußerungen, die er meines Wissens nicht zurückgenommen hat.

Sascha Liebermann