„Ein völlig neuer Sozialstaat“ – so wünschenswert das ist,…

…so gewagt scheint die Betrachtung von Tina Groll auf Zeit Online, in der sie einen Vorblick auf Möglichkeiten gibt, die sich einer Ampel-Koalition bieten. Sozialpolitisch macht sie ein große Nähe zwischen FDP, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen aus, doch ist diese Nähe bislang gegeben? Es ist richtig, dass die SPD mit dem Slogan, Hartz IV abzuschaffen oder wahlweise hintersichzulassen schon zu Zeiten der damaligen Bundesministerin Andrea Nahles für eine Erneuerung warb. Doch die zu lesenden Vorschläge ließen erheblichen Deutungsspielraum und wiesen letztlich den Weg zu Hartz light, daran ändert die Bezeichnung „Bürgergeld“ nichts. Die Grünen haben mit ihrer Garantiesicherung schon einen Vorschlag von anderer Trag- und Reichweite, denn sie wollen auf Sanktionen verzichten. Die FDP beruft sich mit ihrem Vorschlag auf die viel herbeigeredete Armuts- bzw. Arbeitslosigkeitsfalle, die einer empirischen Überprüfung schon vor langer Zeit nicht standgehalten hat. Im Vergleich zu früheren Beschlüssen erscheint der aktuell geltende Beschluss (siehe auch hier) in der Tat freilassender, verzichtet allerdings nicht auf Sanktionen:

„So stehen diejenigen, die arbeiten, in der Pflicht, Steuern und Sozialabgaben zu entrichten, und diejenigen, die Arbeit suchen, in der Pflicht, etwas für die Überwindung ihrer Arbeitslosigkeit zu tun.

So bleibt gewährleistet, dass unser Sozialstaat mit den notwendigen Mitteln ausgestattet ist, diese zielgenau einsetzen kann und breite Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt. Wer dagegen Sanktionen grundsätzlich abschaffen will, verabschiedet sich von diesem Grundprinzip unseres Sozialstaats, der Hilfen für diejenigen vorsieht, die sie brauchen und nicht für diejenigen, die sich nicht einbringen wollen. Sanktionen abzuschaffen, wäre schlichtweg unfair gegenüber allen, die diese Hilfen finanzieren. Alle, die können, sind zur Hilfe gegenüber allen, die sie brauchen, verpflichtet. Jedoch steht jeder in der Verantwortung darauf hinzuwirken, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Wir brauchen ein klares System, das sinnvolle Sanktionen vorsieht, deren Ziel der Weg in den Arbeitsmarkt ist. Anders als bisher sollten jedoch Sanktionen aufgehoben werden, wenn Pflichtversäumnisse nachgeholt werden. Denn jede Anstrengung verdient Respekt, jede Einsicht Beachtung.“

Die Frage ist hier nun, was mit denjenigen geschieht, die keine „Arbeit“ suchen, weil sie schon voll beschäftigt sind z. B. mit Haushaltstätigkeiten? Würden Sie denn das Bürgergeld erhalten? Das klingt in der Passage nicht so, zumal die Gegenüberstellung von denjenigen, die Hilfen brauchen und anderen, die sich nicht einbringen wollen, keinen Zwischenraum lässt. Hier liegt der größte Unterschied zum Vorschlag der Grünen.

Einmal mehr geht ein maßgeblicher Bereich des Zusammenlebens unter, die sogenannte unbezahlte Arbeit, bzw. Sorgetätigkeit. Sie findet im Artikel womöglich keine Erwähnung, da die Differenzen zwischen den Parteien minimal sein dürften, ihre programmatische Ausrichtung zur Familienpolitik bzw. „Frühförderung“ (siehe Kindertagesbetreuung kompakt, hier eine Grafik Betreuungsquoten im Zeitverlauf) scheint hier ziemlich ähnlich.

Sascha Liebermann