„Zwölf Jahre arbeiten, ein Jahr frei“ – ein erneuter Enterversuch mit einer Politik für Besserverdiener

Man mag sich die Augen reiben ob der Entwicklung in der SPD, wie nun innerhalb eines Jahres schon der zweite Vorschlag unterbreitet wurde, der das Schlagwort „Grundeinkommen“ aufgreift. Offenbar sind es die positiven Konnotationen des Wortes, die dazu Anlass geben. Gleichwohl ist etwas anderes drin in diesem Grundeinkommen als im Bedingungslosen Grundeinkommen, denn schießlich muss man es sich verdienen, wie Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, in seinem Interview mit Zeit Online darlegt (siehe auch hier). Mittlerweile liegt ein detaillierteres Faltblatt vor. Damit rückt es in die Nähe eines „Chancenkontos“. Mit dem „Grundeinkommen“ wird hier Schindluder getrieben, um die eigenen Vorschläge rhetorisch attraktiver zu machen. Das spricht dafür, dass das Schlagwort mittlerweile durchaus positiv besetzt ist. An einer Stelle heißt es:

„ZEIT ONLINE: Wem wollen Sie damit helfen?
Klingbeil: Prinzipiell kann das Grundeinkommensjahr von allen Beschäftigten in ganz unterschiedlichen Berufsgruppen und Lebenssituationen genutzt werden. Es würde zum Beispiel Menschen helfen, die in sozialen Berufen arbeiten. Auch Menschen aus dem Kreativbereich würden profitieren. Es ist kein Modell für Reiche.“

„Kein Modell für Reiche“ – das müsste also bedeuten, dass auch diejenigen mit niedrigen Erwerbseinkommen es sich leisten können sollten. Ist das realistisch? Es klingt ganz nach dem Elterngeld, auch wenn Klingbeils Vorschlag nicht als Lohnersatzleistung konstruiert ist. Doch das Elterngeld, wie sein Vorschlag ebenso, setzt voraus, in der Zeit der Erwerbstätigkeit soviel ansparen zu können, dass das Elterngeld wie eben das Grundeinkommen in dem einen Bezugsjahr durch Erspartes ergänzt werden kann. Wer aber kann über diese Dauer entsprechend ansparen? Das setzt doch ein bestimmtes Einkommensniveau voraus. Folgerichtig die Rückfrage:

„ZEIT ONLINE: Aber von 1.000 Euro im Monat kann man als Alleinstehende kaum leben. Handelt es sich dann nicht doch eher um ein Angebot für Menschen, die auch auf Erspartes zurückgreifen können?
Klingbeil: Alle, die gut verdienen und ihren Lebensstandard halten wollen, können sich darauf vorbereiten und zusätzlich Geld ansparen. Das Grundeinkommensjahr ist finanziell vor allem für Beschäftigte mit niedrigen Einkommen interessant, weil der Abstand zum vorherigen Lohn kleiner ist als bei Besserverdienern.“

Wie? Aha! Ein direkter Selbstwiderspruch. Es ist also zwar nicht für „Reiche“, aber für Gutverdiener. Wie geht das mit der Bemerkung zusamen, es sei „vor allem für Beschäftigte mit niedrigen Einkommen interessant“? Entweder ist das nicht durchdacht oder gezielt irreführend. Klingbeil setzt hiermit eine Politik fort, die gerade nicht denjenigen hilft, die geringe Einkommen haben. Direkt im Anschluss an diese Passage wird er nach dem BGE gefragt, das in der SPD Befürworter habe:

„Ich habe Verständnis für die Motive, die hinter der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen stecken: der Wunsch, Stress zu reduzieren und mehr Zeit für sich oder ein Ehrenamt zu haben. Diese Gedanken nehme ich mit dem Grundeinkommensjahr auf.“

Er benennt hier zwar Aspekte eines BGE, doch lässt er Vieles aus. Familie scheint keine Rolle zu spielen, sie leidet heute aber am meisten unter dem Erwerbsgebot und wird immer weiter in die Enge getrieben. Dass ein BGE das Solidarverständnis der Demokratie stärken würde, in jeder Hinsicht innovationsfördernd sein könnte, unbezahlte Arbeit aus ihrem Schattendasein holte (ohne ein Bezahlung zu sein und zugleich ihre Notwendigkeit anerkennen würde) und manches mehr – man sucht vergeblich. Dann heißt es:

„Aber ich bin auch davon überzeugt, dass Arbeit einen ganz zentralen Wert hat. Es hat ja einen Grund, dass man Leute, die man neu kennenlernt, oft zuerst nach ihrem Beruf fragt. Arbeit stiftet Identität, Selbstwertgefühl und hält unsere Gesellschaft zusammen.“

Das ist aber Resultat des Erwerbsgebots mit allen Folgen der Entwertung und Pervertierung nicht-erwerbsförmiger Tätigkeiten (siehe hier). Nicht die „Arbeit“ hält unsere Gesellschaft zusammen, sondern die bedingungslose Anerkennung der Bürger als Träger der politischen Ordnung. Jeder Erwerbstätige ist austauschbar und im Wertschöpfungsgeschehen nur von Bedeutung, solange er dazu beiträgt. Für Wertschöpfungsprozesse und ein Leistungsethos ist es entscheidend, dass es um die Sache selbst geht, nicht um Personen. Gerade die Personalisierung im Wertschöpfungsprozess ist Zeichen einer Entwertung des Leistungsethos, denn für es ist nicht entscheidend, wie Güter- und Dienstleistungen zustandekommen, entscheidend ist, dass es sie gibt. Und, da wäre Klingbeil zuzustimmen, eine solche Erfahrung kann erfüllend sein. Sie stiftet aber nicht den vielbeschworenen „Kitt“. Klingsbeils Haltung ist, wie jede Form von „Sozial ist, was Arbeit schafft“ gerade nicht leistungsfördernd, sie ist leistungshemmend.

Jens Berger von den Nachdenkseiten kommentiert den Beitrag ebenfalls treffend und macht deutlich, wie dieser Vorschlag eines Grundeinkommensjahres doch wieder auf eine Politik für Besserverdiener hinausläuft. Die SPD hat diejenigen aus den Augen verloren, die um ihr Einkommen kämpfen müssen. An einer Stelle aber Bergers Kommentar indes schief bzw. vorurteilsbehaftet:

„Aber warum sollte die Krankenschwester mit ihren Steuern die Auszeit des Chefarztes mit einem „Taschengeld“ subventionieren, der gerne mal ein Jahr am Stück die Welt bereisen würde?“

Reformulieren wir das etwas: Warum sollte der Grundfreibetrag in der Einkommenssteuer auch dem Chefarzt gewährt werden, der ihn doch nicht braucht? Immerhin stellt dieser Freibetrag einen Besteuerungsverzicht dar, also für den Staat weniger Einnahmen. Ein Besteuerungsverzicht, den auch die Krankenschwester zu tragen hat, wie allen anderen. Wenn wir Bergers Gedankengang weiterführten, dann müsste der Grundfreibetrag ab einem bestimmten Jahreseinkommen gestrichen werden – dann nämlich, wenn jemand ihn nicht mehr „braucht“. Es handelt sich dabei aber um eine Leistung, deren Legitimationsquelle die Unangreifbarkeit des Existenzminimums ist, es soll nicht besteuert werden. Genau das wäre ja der Grund, weshalb ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle bereitstehen und nicht vom Bedarf abhängig sein sollte. Wie man darüber hinaus Leistungen oder Steuern gestaltet, ist eine separate Frage.

Anders als Klingbeil in seiner Arbeitsgesellschaftsdenke meint, sind in einer Demokratie nicht die Erwerbstätigen Träger der politischen Ordnung, es sind die Bürger. Deswegen sind sie auch nicht substituierbar. Ihr Status hängt weder von Leistung noch von Engagment ab. Der Status ist direkt mit der Zugehörigkeit zum Gemeinwesen verbunden. Es ist bezeichnend und wohl gerade ein Symptom für die Krise des Politischen, wenn Klingbeil das in dieser Passage ebenso wenig sieht wie viele andere. Man muss, wie an diesem Vorschlag zu sehen ist, das BGE gegen seine vollständige Verkehrung ins Gegenteil verteidigen, damit seine Möglichkeiten nicht verschüttet werden. Es sind zugleich die Möglichkeiten der Demokratie.

Sascha Liebermann