„Bergab geht’s immer nur bei den anderen“ – Missgunst in Deutschland…

…darüber schrieb Gerald Wagner in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und bezieht sich die Befragung im Rahmen der zweiten Welle der „Vermächtnis“-Studie, die das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt hat. Wagner kritisiert die Deutungen der Befragungsergebnisse durch Jutta Allmendinger und meint, Klärung könnte hierzu nur die Sozialstatistik bieten. Sie kann aber allenfalls darüber aufklären, ob zutrifft, wie Befragte die gesellschaftliche Lage deuten (also Einkommensverhältnisse, prekäre Arbeitsverhältnisse usw.), nicht aber, weshalb Befragte diese Verhältnisse so deuten, wie sie es tun, und wie dann eine Diskrepanz zwischen realen Verhältnissen und Deutung zu erklären sei. Da hilft die Statistik nicht weiter, hierzu bedarf es „qualitativer“ Studien im Sinne z. B. der fallrekonstruktiven Forschung (siehe z. B. hier). Befragungsdaten sind ohnehin denkbar oberflächlich, weil sie nur abfragen, was der Befragte auch bewusst angeben kann.

Wagner macht in dem Beitrag auf ein Phänomen aufmerksam, dass aus der Grundeinkommensdiskussion ebenso bekannt ist:

„Ganz so rosig ist das Bild natürlich nicht. Es gibt zwei Themen, da fallen die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Befragten dramatisch auseinander. Das seien ausgerechnet die Familie und die Arbeit, so Allmendinger. Während man eigene Kinder für sich selbst als sehr wichtig erachte und davon überzeugt sei, dass ein entsprechendes Wir-Gefühl höchst bedeutend ist und die Erwerbstätigkeit sinnvoll und den eigenen Erwartungen daran entsprechen müsse, sinkt die Erwartung für die Zukunft der anderen hier drastisch. So halten über 75 Prozent der Befragten Kinder für das eigene Leben heute wichtig, glauben aber, dass das nur noch für 25 Prozent der kommenden Generationen ebenfalls gelten wird. Bei der Arbeit ist es noch deutlicher: Über 75 Prozent sagen heute, der Sinn ihres Jobs sei ihnen sehr wichtig, sehen diese Einstellung bei anderen in Zukunft aber nahezu gegen null gehen.“

Wo so über andere gedacht wird, sind entsprechende Befürchtungen die Folge, z. B. dass ohne Erwerbszwang die Wirtschaft zusammenbreche usw. Wie aber ist die Diskrepanz zu erklären? Woher kommt die negative Einschätzung der anderen? Was die Befragung offenbar nicht deutlich macht – Wagner erwähnt das zumindest nicht – ist, dass tatsächlich, trotz dieser Diskrepanz, jeder sein Leben lebt und jeder darauf vertraut, dass andere es ebenso tun. Eine Kontrollinstanz für gute Lebensführung gibt es nämlich gar nicht – das scheint aber gerade von manchen für ein Problem gehalten zu werden (siehe „Die Sorge vor dem Kontrollverlust…“).

Sascha Liebermann