Demokratie – ohne sie zu thematisieren: Rückblick auf eine Diskussion mit Ulrike Herrmann…

…im Deutschen Historischen Museum, zu der sie und ich am 7. Juli eingeladen waren. Dass Ulrike Herrmann von einem Bedingungslosen Grundeinkommen nicht viel hält, auch wenn sie die Ziele teilt, die einige damit verfolgen, daraus machte sie kein Hehl (siehe z. B. hier und hier). Ihr Einwand richtete sich vor allem darauf, dass es nicht finanzierbar und nicht durchsetzbar sei.

Das Format der Veranstaltung war nicht auf eine Podiumsdiskussion ausgerichtet, so dass wir nur wenig aufeinander reagieren konnten und das Publikum sehr früh mit seinen Fragen zu Wort kam. Die Veranstaltung wurde nicht aufgezeichnet. Ich gebe die in meinen Augen wichtigen Punkte der Diskussion aus der Erinnerung wieder.

Demokratie
„Welche Ungleichheiten verträgt Demokratie?“ – das war der Titel der Veranstaltung, in der es um ein Bedingungsloses Grundeinkommen gehen sollte. Von daher wäre eine Diskussion zu erwarten gewesen, die sich mit der heutigen Konstruktion des Sozialstaats sowie seiner Leistungen und deren Verhältnis zu den Grundfesten der Demokratie befasst. In meinem Kurzvortrag (5 Minuten) hob ich genau das heraus, was in meinen Augen den entscheidenden Zugang zum BGE darstellt, seine Herleitung aus der Verfasstheit der modernen westlichen Demokratie (siehe z. B. hier, hier und hier). Von dort aus lassen sich dann leicht viele Aspekte, die in der BGE-Diskussion angeführt werden, hinzuziehen. Doch genau hierauf reagierte Frau Herrmann gar nicht, die Demokratie wurde nicht weiter erwähnt, obwohl sie als Kritikerin der Ungleichheit und der Machtverhältnisse sich einen Namen gemacht hat. Nur an einer Stelle wurde deutlich, dass sie um die Eigenheiten der Demokratie weiß, als ein Zuhörer darauf hinwies, es habe in der Antike schon ein Grundeinkommen gegeben. Hier stellte Frau Herrmann klar, dass im Unterschied zu heute der Bürgerstatus dort ein ganz anderer war und Sklavenhalterschaft dafür die Voraussetzung.

Verhandlungsmacht, Gewerkschaften
Wo sie diesbezüglich steht, war daran zu erkennen, wie sie auf den Einwand aus dem Publikum, ein BGE verschaffe Verhandlungsmacht, reagierte. Sie setzte ihm entgegen, dass dies genauso über Gewerkschaften erreichbar sei und wir eine flächendeckende Geltung der Tarifverträge benötigten, eine Allgemeineverbindlichkeitserklärung, damit kein Arbeitgeber sich aus den Tarifverträgen verabschieden könne. Das würde in der Tat eine Machtverschiebung bedeuten, doch vertreten denn die Gewerkschaften immer selbstverständlich die Interessen einer Betriebsbelegschaft oder kann es diesbezüglich nicht auch zu Interessenkonflikten kommen? Welche Freiräume verschaffen denn Tarifverträge demjenigen, der nicht erwerbstätig ist? Auf diese Frage ging sie nicht ein.

Sanktionsfreie Grund- bzw. Mindestsicherung
Darauf ergänzte sie, dass sie für eine sanktionsfreie Grundsicherung sei, die sei auch einfacher zu finanzieren. Allerdings höbe eine solche Grundsicherung (sie nannte keine Höhe, obwohl sie die von den BGE-Befürwortern ja immer wissen will) weder den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit auf und damit die Abwertung aller anderen Tätigkeiten, noch die damit einhergehende Stigmatisierung derer, die der Norm nicht folgen. Dazu sagte sie nichts weiter, wie sie überhaupt zur normativen Grundlage der Sicherungssysteme nichts sagte. Ist denn eine sanktionsfreie – manche reden auch von einer repressionsfreien – Grundsicherung realistischer als ein BGE? Das ist nur dann der Fall, wenn man die normative Stellung von Erwerbstätigkeit übersieht, deren Komplement die Sanktionen sind. Seit es Mindestsicherungsleistungen gibt, gibt es auch Sanktionen, das gilt für alle Wohlfahrtsstaaten, denn in allen hat Erwerbstätigkeit den normativen Vorrang vor anderem. Gleichwohl sind die Wohlfahrtsstaaten sehr unterschiedlich konstruiert (siehe z. B. in Schweden). Wer also die Sanktionen aufgeben will, muss das Erwerbsgebot in Frage stellen – das sind wir bei derselben Diskussion wie im Falle des BGE. Wenn wir also diesen Schritt zu gehen bereit wären, stellt sich sofort die Frage, mit welcher Begründung wir an der Erwerbszentrierung festhalten und die Mindestsicherung nicht an den Status knüpfen (Staatsbürgerschaft bzw. Wohnbürgerprinzip – in der Schweiz wird z. B. zwischen Stimm- und Wohnbürgern unterschieden)? Das war aber für Ulrike Herrmann gerade keine Frage. Insofern ist ihr Vorschlag, die Gewerkschaften zu stärken, fest in der deutschen Tradition eines außergewöhnlich stark auf das Erwerbsgebot ausgerichteten Sozialstaats verankert.

Finanzierung
Die Finanzierungsfrage zäumte sie anhand des Sozialbudgets auf (das tat sie hier auch schon) und ging davon aus, dass ich ebenfalls das Sozialbudget nutzen wollte, um ein BGE zu finanzieren. Sie erwähnte allerdings zwei Dinge nicht, die für die Finanzierungsfrage viel interessanter sind als das Sozialbudget. Zum einen hätte sie sich auf das Volkseinkommen (siehe auch hier) beziehen können, das waren in 2017 etwa 2,5 Billionen Euro. Aus diesem Gesamtkuchen, wenn man so will, muss das BGE finanziert werden wie das Sozialbudget auch, das lediglich eine statistische Größe ist, um bestimmte Leistungsarten zu erfassen (z. B. Sozialleistungen und Sozialversicherungen). Zum anderen erwähnte Frau Herrmann nicht, dass es eine Mindestsicherungsleistung gibt, die mit dem Sozialbudget gar nichts zu tun hat und gleichwohl existiert: der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer. Er soll ein Mindesteinkommen von Erwerbstätigen dadurch sichern, dass bis zur Höhe des Freibetrags gar keine Besteuerung vorgenommen wird. Der Staat verzichtet dadurch auf Einnahmen. Sollte das Erwerbseinkommen nicht ausreichen, müssen zusätzliche Leistungen beantragt werden, um das Mindesteinkommen zu sichern (z. B. durch Arbeitslosengeld II). Die vermeintlich skandalösen Ausgaben, die zur Finanzierung eines BGE nötig wären, sind in Anbetracht der Steuerfreibeträge im Grunde nur eine Umbuchung, soll das BGE höher ausfallen, geht es um Mehrausgaben aus demselben Kuchen des Volkseinkommens, aus dem das Sozialbugdet finanziert wird. Aus Freibeträgen würden durch die Umbuchung Zahlbeträge, also Einkommensausschüttungen, die Freibeträge könnten gestrichen werden, zumal der Grundfreibetrag und die Kinderfreibeträge. Damit stünde eine stabile Kaufkraft bereit und zugleich könnte jedes Einkommen oberhalb des Grundeinkommens sofort direkt besteuert werden, dadurch würden Einnahmen entstehen (siehe als Beispiel für eine Finanzierungsrechnung das Transfergrenzenmodell von Helmut Pelzer). Die Bezugnahme auf das Sozialbudget ist also irreführend bzw. verkürzt, das hat Ulrike Herrmann selbst gesagt und sich dennoch daran orientiert. Ob ein Mindesteinkommen nun über Sozialleistungen, Sozialversicherungsleistungen oder in Löhne integriert bereitgestellt wird, ist für die Finanzierung gar kein Unterschied. Das Volkseinkommen entscheidet darüber, was verteilt werden kann (zur Finanzierungsfrage siehe auch diesen Vortrag von Stefan Bach, DIW, ab Stunde 2:41).

„Unbezahlte Arbeit“
Ein weiterer interessanter und aufschlussreicher Punkt war, was nicht thematisiert wurde. Ulrike Herrmann sagte, obwohl ich ausdrücklich darauf hinwies, zu Leistungen jenseits von Erwerbsverhältnissen nichts. Dass diese Leistungen jedoch genau die Voraussetzungen für das Wertschöpfungsgeschehen erst schaffen, Leistungsbereitschaft überhaupt erst in Bildungsprozessen entsteht und der entscheidende Ort dafür die Familie ist – wurde mit keiner Silbe erwähnt. Damit argumentierte sie ähnlich abstrakt über Wertschöpfungsprozesse wie diejenigen, die „unbezahlte Arbeit“ letztlich doch für etwas halten, das Erwerbstätigkeit nachgeordnet ist, weil die Erwerbstätigen ja die Nicht-Erwerbstätigen finanzieren. Eine groteske Verkürzung der Verhältnisse (siehe auch hier, hier und hier). Die eine Leistungsform gegen die andere auszuspielen ist aberwitzig, beide sind nötig, beide leisten etwas, das nicht miteinander verglichen werden kann. Im einen Fall geht es um ein Beziehungsgefüge, in dem Personen als ganze Menschen im Zentrum stehen (siehe auch hier), im anderen geht es nur um Personen, sofern sie einer Aufgabe zugeordnet sind und bei Nicht-Eignung wieder entlassen werden. Das eine kann es ohne das andere nicht geben.

Digitalisierung, Demographie
Hier war Ulrike Herrmann ganz deutlich, als sie auf die Frage eines Studenten antwortete, der sich darüber wunderte, dass Digitalisierung in der Diskussion im DHM keine Rolle spiele. Herrmann erwiderte daraufhin, dass seine Generation sich keine Sorgen um den Arbeitsmarkt machen müsse, das habe mit der demographischen Entwicklung und einer zu erwartenden Entspannung am Arbeitsmarkt zu tun (hier eine Grafik, Artikel dazu hier und hier). Dazu hatte sie sich vor einigen Jahren schon einmal geäußert (siehe hier). In der Tat vollzieht sich eine erhebliche demographische Veränderung, die zur Entspannung am Arbeitsmarkt führen kann, zugleich jedoch ist unklar, was genau die Digitalisierung mit sich bringen wird (siehe hier). Beide Effekte könnten sich aufheben, ja, könnten, oder eben auch nicht. All das hat, darauf machte ich dann aufmerksam, mit einem BGE jedoch gar nichts zu tun, denn es sei von der Entwicklung am Arbeitsmarkt unabhängig, es gehe bei ihm um etwas anderes und zwar um eine den demokratischen Grundfesten entsprechende Sozialpolitik.

Sascha Liebermann