Unbezahlte Arbeit, „vorgeschützte Methodenkritik“ und die Verführbarkeit von Diskutanten

Unter diese Überschrift muss man wohl eine Diskussion – oder eher: Diskussionsverweigerung, Schubladendenken oder gar Feindbildpflege – verbuchen, die Elfriede Harth mit ihrem Tweet ausgelöst hat, der auf meinen Beitrag zur begrenzten Aussagekraft von sogenannten Zeitverwendungsstudien hinweist. Ich hatte mich zur Aussagekraft statistischer Erhebungen zum Stundenvolumen „unbezahlter Arbeit“ geäußert, dass sie nicht nur unpräzise sind, sondern durch das zur Erhebung eingesetzte Kriterium für Unklarheit sorgen:

„Zur Abgrenzung der unbezahlten Arbeit von persönlichen Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten wird das sogenannte „Dritt-Personen-Kriterium“ herangezogen. Danach zählen alle Aktivitäten, die auch von einer anderen Person gegen Bezahlung übernommen werden können, zur unbezahlten Arbeit.“ („Entwicklung der unbezahlten Arbeit privater Haushalte“, S. 37)

Das Problem hierbei ist eines der Abgrenzung, wie ich versuchte deutlich zu machen, weil das Kriterium zu abstrakt ist und bei der „Dritt-Person“ nicht berücksichtigt, dass sich das Beziehungsgefüge ändert, wenn eine Tätigkeit auf sie übertragen wird. Es ist eben nicht dasselbe, wenn z. B. in der Familie mit- oder füreinander gebacken, gewaschen, gespielt wird oder entsprechende Leistungen eingekauft werden. Die entscheidende Eigenheit ist das Gemeinschaftliche der miteinander auf spezifische Weise verbundenen Personen (diffuse Sozialbeziehung). Das „Dritt-Personen-Kriterium“ unterstützt aufgrund dieser Abstraktheit sogar die Kommodifizierung von Beziehungen, die letztlich darauf hinausläuft, Beziehungen weitgehend für austauschbar zu erklären. Zugleich legt man ein Kriterium an, dass zwar für standardisierbare Güter und Dienstleistungen hilfreich ist, persönliche Beziehungen jedoch zerstört. Was unter „unbezahlte Arbeit“ verhandelt wird, ist in seiner Bedeutung also viel elementarer, als es die Statistiken erscheinen lassen.

Nun gab es zu diesem Tweet von Elfriede Harth Kommentare (verschachtelt, jeweils mit Unterkommentaren) von Ina Praetorius und Antje Schrupp, die sich beide mit diesen Fragen schon lange intensiv befassen.

Überraschend ist, dass auf die Stoßrichtung meines Beitrags so gut wie gar nicht eingegangen wird. Es werden schiefe Vergleiche angestellt (Präsenz in diffusen Sozialbeziehungen zwischen Eltern und Kind war mein Punkt, er wird mit Präsenz in Erwerbsverhältnissen verglichen). Ich hatte gerade versucht deutlich zu machen, dass dieser Unterschied besonders wichtig ist und mit statistischen Verfahren aufgrund ihrer Eigenheiten nicht erfasst werden kann. Das räumen die Autoren, auf die ich mich bezog (siehe oben) genau so ein, um der Messbarkeit willen halten sie aber am Kriterium fest. Worauf ich hinwies, ist methodisch betrachtet eine Binse, sie gehört zum Grundwissen über sozialwissenschaftliche Methoden und muss nicht erst „verifiziert“ werden, wie Ina Praetorius meint.  Dennoch ist es von öffentlicher Bedeutung, darauf hinzuweisen, weil gemeinhin die Möglichkeiten statistischer Verfahren überschätzt werden. Sie dominieren leider sowohl die Politikberatung als auch die sozialwissenschaftliche Forschung.

Wer mit Unterstellungen hantiert, ich wollte die Statistik zu unbezahlter Arbeit mit „vorgeschützter Methodenkritik“ „runterspielen“, es sei gut, mir nicht „auf den Leim“ zu gehen (da droht offenbar Verführung auf Irrwege), die Position gehöre ohnehin in die Götz-Werner-Ecke scheint an einer differenzierten Diskussion nicht interessiert. Wird Feindbildpflege bevorzugt, die es warm und behaglich in den „eigenen“ Reihen macht?

Sascha Liebermann