„Arbeitskräftemangel bekämpft man nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen“ – Unternehmen als Erziehungsanstalt?

Diese Frage stellt sich, wenn man eine Pressemitteilung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände e. V. liest (auf deren Internetseite konnte ich sie nicht finden). Es heißt dort:

„Wir brauchen jede und jeden im Arbeitsmarkt. Arbeitskräftemangel bekämpft man nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Das Aussetzen der Sanktionen bei gleichzeitigen sehr großzügigen Regelungen zum Vermögensschutz durch den sog. vereinfachten Zugang zur Grundsicherung bis Jahresende wäre faktisch ein bedingungsloses Grundeinkommen.“

Da es nur um eine vorübergehende Aussetzung von Sanktionen geht bislang (bis Jahresende) und selbst das vorgeschlagene Bürgergeld eine Mitwirkungsverpflichtung kennt, ist der Schritt zum BGE doch noch ziemlich weit, denn wo es Mitwirkungspflichten geben soll, muss es Sanktionsinstrumente geben. Außerdem muss ALG II immer noch beantragt werden, auch das unterscheidet es vom BGE. Die Furcht des BDA vor einem BGE muss erheblich sein, wenn er sie hier vorbringt, dabei vergisst er nicht nur genau hinzuschauen, sondern er verliert auch das Verhältnis von Arbeitskrafteinsatz und Wertschöpfung aus den Augen. Man braucht eben nicht „jede und jeden im Arbeitsmarkt“, sondern diejenigen, die eine entsprechende Leistungsbereitschaft haben und in vielerlei Hinsicht Aufgaben verlässlich übernehmen können und wollen. Keinem Bäcker ist damit geholfen, wenn er Mitarbeiter stetig beaufsichtigen muss, was dennoch manche nicht davon abhält, schärfere Sanktionen zu fordern (siehe hier und hier). Außerdem stellt sich die Frage, wo in welchem Umfang Arbeitsgänge auf Automaten übertragbar sind und inwiefern hier noch vieles möglich ist, das nicht genutzt wird – auch das diente der Wertschöpfung und der Rückgewinnung von Lebenszeit. Dort, wo eine Automatisierung nicht möglich ist, wäre über Arbeitsbedingungen zu reden, und wer es damit ernst meint, muss ein BGE nicht fürchten, denn an Leistungsbereitschaft mangelt es nicht, wie die Pressemitteilung selbst erkennen lässt:

„Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen, die Grundsicherung beziehen, versuchen mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter alles ihnen mögliche, um wieder in Beschäftigung zu kommen und unabhängig von Sozialleistungen zu leben. Nicht nur das unentschuldigte Fernbleiben von Terminen oder andere Meldeversäumnisse müssen Folgen haben können. Bei den wenigen Menschen, die zumutbare Arbeit oder sinnvolle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht annehmen, muss Mitwirkung in Form von Sanktionen eingefordert werden können.“

Wenige sind es also nur, wozu dann der ganze Aufwand angesichts der Folgen? Was bringt es denn, mit Sanktionen die Mitwirkung einzufordern, wenn ein Unternehmen dadurch in eine Erziehungsanstalt verwandelt wird (siehe hier und hier) und mehr damit beschäftigt ist, die Aufgabenerledigung einzufordern als Güter und Dienstleistungen bereitzustellen? Es erstaunt doch, dass der BDA hier auf der einen Seite sehr realistisch ist und darum weiß, dass Leistungsbezieher nicht aus Jux und Dollerei im Leistungsbezug sind, auf der anderen Seite aber ein antiquiertes Leistungsverständnis an den Tag legt, als ob es hilfreich sei, jemanden zu etwas zu drängen, das er partout nicht will und dafür womöglich gute Gründe hat. Am Ende der Pressemitteilung heißt es:

„In der Pandemie waren Sanktionen faktisch ausgesetzt. Erfahrungen aus der Praxis haben gezeigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter keinen Zugang mehr zu einigen Menschen gefunden haben und Angebote weniger angenommen wurden.“

Jetzt sind es auf einmal nicht mehr wenige, sondern einige – nichts Genaues weiß man nicht. Zum einen wäre doch die Frage, weshalb kein Zugang gefunden wurde, so weisen Erkenntnisse aus der dynamischen Armutsforschung deutlich darauf hin, dass die Lage komplexer ist, in der Regel gute Gründe gegen eine Erwerbsbeteiligung sprechen, die aber angesichts der Fixierung auf die Rückführung in den Arbeitsmarkt als nicht legitim erachtet werden. Zum anderen gilt auch hier, dass es doch nicht darauf ankommen kann, irgendeinen Mitarbeiter zu finden, der für die Aufgabe nicht geeignet ist oder nicht willens ist, sie zu übernehmen. Keinem wäre damit gedient, außer denjenigen, die gerne andere ein wenig oder auch ein wenig mehr erziehen wollen.

Wenn wirklich Wertschöpfung, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit angesichts zu bewältigender Aufgaben im Zentrum stehen sollen, ist gerade ein BGE das richtige „Instrument“. Wer aber Beschäftigung gegenüber Wertschöpfung den Vorrang gibt, denkt pädagogisch.

Sascha Liebermann