„…kann auch die Pflicht des Staates sein, seine Bürger zu fordern […] im Interesse der Betroffenen“…

…das stammt nicht von Andrea Nahles (SPD) oder Clemens Fuest (ifo-Institut), nein, Marcel Fratzscher (DIW) hat sich so geäußert, und zwar in einem Beitrag für Wirtschaftsdienst.

Die Passage lautet in Gänze:

„Wir wissen aus der Glücksforschung, dass Zufriedenheit mit dem eigenen Leben nur relativ schwach vom Einkommen und den eigenen wirtschaftlichen Bedingungen abhängt. Genauso wichtig ist es, Teil der Gemeinschaft zu sein, Anerkennung und Respekt zu erhalten und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Deshalb ist eine Umwandlung des gegenwärtig bedingten Grundeinkommens in ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht zielführend und muss nicht zu mehr Lebenszufriedenheit und Glück führen. Ganz im Gegenteil, es ist nicht nur das Recht, sondern kann auch die Pflicht des Staates sein, seine Bürger zu fordern, und dies nicht nur zum Wohle der Gemeinschaft, sondern auch im Interesse der Betroffenen. Natürlich besteht die Gefahr, dass ein Fordern des Staats schnell paternalistisch werden kann und die Freiheiten des Individuums einschränkt. Das sollte es nicht sein. Aber ein solcher Paternalismus kann meist das kleinere Übel im Vergleich zur staatlichen Ignoranz gegenüber dem Einzelnen sein.“ (Irrweg des bedingungslosen Grundeinkommens, in: Wirtschaftsdienst 2017, H 7, S. 522)

Fratzscher kann sich schlicht nicht vorstellen, dass „Teil der Gemeinschaft zu sein, Anerkennung und Respekt“ durch ein BGE in einem grundsätzlichen Sinne realisiert werden, und zwar gerade, weil der Einzelne so genommen würde, wie er ist. Er muss nach nichts streben, er muss nichts leisten oder geleistet haben, um diese Anerkennung zu erfahren. Genau diese elementare Erfahrung enthält der Geist der „Arbeitsgesellschaft“ uns vor, obwohl wir in einer anderen Hinsicht diese Erfahrung machen: als Staatsbürger, da werden wir einfach genommen, wie wir sind – Träger von Grundrechten, souverän. Fratzscher plädiert ausdrücklich für Paternalismus, weil der Staat doch besser weiß, was im Sinne der „Betroffenen“ ist. Schon diese Begriffswahl ist bezeichnend, denn zu „Betroffenen“ werden die Bürger, weil der Staat ihnen gegenüber sich etwas anmaßt, ohne Not. Der Staat wird zum Zwangshelfer. Wenn Fratzscher nun diesen Paternalismus verteidigt, weil er „das kleinere Übel im Vergleich zur staatlichen Irgnoranz gegenüber dem Einzelnen“ sei, so unterstellt er, dass das BGE bzw. ein Staat, der es einführe, den Einzelnen ignoriere. Wie kommt er darauf?

Fratzscher ist allerdings nicht alleine mit dieser fürsorglichen Haltung, die letztlich dem Einzelnen abspricht, es in der Regel am besten zu wissen. Wer das BGE als Stilllegungs- oder Stillhalteprämie bezeichnet, legt eine ähnliche Haltung an den Tag.

Der gesamte Beitrag ist ein erstaunliches Dokument dafür, sich mit einem Vorschlag nicht differenziert auseinanderzusetzen. Für etliche Behauptungen, was „die Befürworter“ sagen oder schreiben, werden keine Quellen benannt. Wissenschaftliche Publikationen zum BGE werden im ersten Teil kaum erwähnt. Fratzscher ist immerhin Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, eine öffentlich finanzierte Forschungseinrichtung.

(Siehe auch frühere Beiträge zur Ausführungen Fratzschers)

Sascha Liebermann