„Wir übersehen die positiven Seiten der Arbeit“ – oder überschätzen ihre Bedeutung…

…so könnte auf den Titel eines Interviews mit Lisa Herzog, Professorin für Politische Philosophie an der Hochschule für Politik in München, das im vergangenen Februar auf Zeit Online veröffentlicht wurde, entgegnet werden. Das ganze Interview dreht sich nur um Erwerbsarbeit, anderes kommt nicht vor, das ist als solches schon erstaunlich, vielleicht aber auch ausdrücklich der Fokus des Buches, das den Hintergrund bildet. An einer Passage lässt sich deutlich machen, was in meinen Augen durcheinander geht:

„Herzog: Wir verstehen Arbeit ja meistens eher instrumentell: Ein bestimmter Job ist dafür da, dass bestimmte Dinge erledigt werden – etwa dass der Müll abgeholt wird oder Flure geputzt werden. Aber Arbeit hat immer auch damit zu tun, dass wir in ihr bestimmte Formen von Gemeinschaft erleben. Arbeit kann uns die Gelegenheit geben, gemeinsam mit anderen Widerstände zu überwinden und Dinge zu schaffen. In einer modernen Gesellschaft ist die Arbeit sehr stark geteilt. Die einzelnen Tätigkeiten greifen ineinander und bedingen einander. Wir arbeiten also immer mit der Hilfe anderer und für andere. Dieser soziale Aspekt der Arbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig beleuchtet worden.“

„Instrumentell“ klingt hier negativ, dabei ist doch genau die Bewältigung der Aufgabe ein Positivum, ein Dienst wird damit bereitgestellt. Wer Arbeit darauf bezogen betrachtet, hat ihren Sinn erfasst, für andere etwas zu leisten. Ihr fehlt an dieser Betrachtung das Gemeinschaftliche, das zur Arbeit gehört. Wer aber bestreitet, dass dies durchaus als wichtig wahrgenommen wird, die arbeitsteilige Erledigung unerlässlich ist?

Es gehört doch eher zu den Dauerthemen in Unterhaltungen über die Arbeitsverhältnisse, ob es gute Kollegen gibt oder nicht, wohlgemerkt: Kollegen und nicht Freunde. Weil es um Kollegialität geht und nicht um Beziehungen um der Personen selbst willen, wäre es auch unangemessen, von „Gemeinschaft“ zu sprechen. Denn es zeichnet kollegiale Beziehungen gerade aus, dass sie auf eine gemeinsame Sache gerichtet sind, der der Einzelne dient. Es geht nicht um ihn, sondern nur um diese, die Sache. Moderne Arbeitsverhältnisse, das ist ihre Errungenschaft, haben keinen Anspruch mehr auf den Mitarbeiter über sein Mitarbeitersein hinaus, das war einst ein großer Fortschritt. Deswegen können sie Personen um ihrer selbst willen auch nicht integrieren, ihre Austauschbarkeit zeichnet diese Art von Arbeitsverhältnissen aus. Ganz anders ist das in den Sphären, in denen die Person um ihrer selbst willen, das Gemeinschaftliche um seiner selbst willen im Zentrum steht, in Familie, im Gemeinwesen, auch in sogenannten ehrenamtlichen Tätigkeiten. Sie folgen einer anderen Logik. Doch genau über sie spricht Herzog gar nicht.

Welche Gemeinschaft sucht Herzog dann, wenn sie davon schreibt, „Widerstände“ könnten mir ihr überwunden werden? Das ist doch eine genuin politische Frage, ein Engagement als Bürger ist dafür nötig, auch wenn es darum geht, Arbeitsverhältnisse im Allgemeinen zu verändern, im Konkreten nur als Mitarbeiter.

Ein Aspekt ihrer Ausführungen trifft eine Borniertheit der Rede über Leistung und Arbeit – die Zurechnung. Eine Seite der modernen Seite von Selbstbestimmung und Individuierung ist das Missverständnis, diese Autonomie sei eine gemeinschaftslose, frei von all den Abhängigkeiten, die zum Leben gehören. Das ist aber eine Verkürzung, wie Herzog zurecht hervorhebt. Sie reicht aber weiter, als sie es darlegt. So ist schon die Entstehung von Leistungsbereitschaft Resultat eines Bildungsprozesses (Sozialisation), der sich durch nicht hintergehbare Abhängigkeit auszeichnet: Abhängigkeit von verlässlicher Zuwendung, Fürsorge, Hinwendung – in der Regel leisten das die Eltern (siehe unbezahlte Arbeit). Doch auch das taucht bei Herzog nicht auf. So ist ihr Plädoyer dafür, die „positiven Seiten der Arbeit“ zu sehen, letztlich doch eine verklärende Überschätzung ihrer Bedeutung.

Siehe auch dieses Interview mit ihr.

Sascha Liebermann