Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Familie und Kinder als Übel

In der Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung heißt es:
„Ein aktuelles Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben wurde, zeigt: Die Erwerbsquote der Mütter steigt je nach Szenario um zwei bis sechs Prozent. Mütter, die bereits erwerbstätig sind, erhöhen infolge der Reform ihre Arbeitszeit. Davon profitieren einerseits die Mütter und die Familien selbst,“ – zwar ist man einerseits etwas irritiert, wie denn die Erhöhung der Arbeitszeit den Familien nutzen kann, aber andererseits doch erfreut. – Wie geht es weiter?

„da ihr Bruttoeinkommen steigt.“

Es geht also nicht um die Familie als Familie, sondern um die Familie als profitorientiertes Wirtschaftsunternehmen, dem es besser geht, je höher das Einkommen ist; die Wortwahl – „profitieren“ – macht dem Leser dies ja auch zuvor schon klar. – Was aber ist mit der Zeit, derer das familiale Leben bedarf? Was mit der Zeit, derer die Sozialisation bedarf? Was mit der Zeit, derer die Bildung einer Gemeinschaft und die Bildung von Subjekten bedarf?

„Andererseits aber auch der Staat, der sich über höhere Steuereinnahmen und weniger Sozialtransfers freuen kann. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder finanziert sich aus Sicht des Staates also zu einem guten Teil von selbst.“

Es geht also um eine Maßnahme, deren Zweck hier in der Studie nicht infrage steht; genauer, es geht, so der Titel der Studie, um „Fiskalische Wirkungen eines weiteren Ausbaus ganztägiger Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“. Der Zweck ist vorgegeben, es geht um die Auswirkungen – warum aber ist dann die Rede davon, dass „Mütter und Familien selbst“ profitierten? Hier wird unterschwellig und unhinterfragt – unter dem Sonntagsslogan der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ein Modell von Familie propagiert, das mit Familie als einer Institution, in der durch die gleichzeitige Bildung der Individualität des Kindes und seine Bildung als Angehöriger einer Gemeinschaft, nichts mehr zu tun hat – ja letztlich wird eine Familie mit Kindern als Störfaktor im Wirtschaftskreislauf betrachtet – wie es ja auch in der verbreiteten Rede von „Kinder als Armutsrisiko“ der Fall ist. Besser für den Wirtschaftskreislauf und für den Staat, der ja ebenfalls abstrakt als Wirtschaftsunternehmen gedacht wird, dem es offenbar um hohe Einnahmen („höhere Steuereinnahmen“) und weniger Ausgaben („weniger Sozialtransfers“) gehen muss – besser also für die Ökonomie und die ökonomisch reduziert verstandene Welt wäre es, wenn Frauen und Männer nicht egoistisch darauf bestünden, Mütter und Väter zu werden, also Kinder in die Welt zu setzen, sondern lieber direkt und vollständig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung ständen. Dann bedürfte es der Reparaturmaßnahme Ganztagsbetreuung nicht.

Ja aber – ein Bedingungsloses Grundeinkommen will doch auch Familien nur ein höheres Einkommen ermöglichen, betrachtet sie also als Wirtschaftunternhmen, das billig an seine Ressourcen kommt… Was ist da der Unterschied? Das höhere Einkommen aus der Perspektive des DIW (und auch aus der des Bundesministeriums für Familie?) ist Zweck an sich, dem die sonst in der Familie in Erziehung, Bildung, gar – horribile dictu – Spiel verschwendeten Zeit dienen muss: Time is money. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen hingegen würde aufgrund seiner Bedingungslosigkeit eine freie, zumindest freiere Verfügung über Zeit ermöglichen, Zeit, die dann genutzt werden kann für die genuinen Aufgaben der Institution Familie – „Time is honey“ formuliert dies schick, aber ansprechend und augenöffnend der Zeitforscher Karlheinz Geißler.

Thomas Loer